„Nachts nicht weit von wo“Unterwegs auf der dunklen Seite Köln-Ehrenfelds
- „Nachts nicht weit von wo“ ist die erste Veröffentlichung des neu gegründeten Weissmann-Verlages
- Gedichte, Aphorismen und Prosa-Formate verschiedenster Autoren beleuchtet in Woirt und Bild die Dunkelheit der Stadt.
Köln – Sie ist nicht einfach der Tag in einer mangelhaft beleuchteten Version, sie ist eine Sphäre mit ganz eigenen Gesetzen: In der Nacht werden die Konturen unscharf, die Zuschreibungen, Bedeutungen ändern sich. Wer sich hinaus in die Nacht begibt, setzt sich dem Geheimnisvollen, dem Unberechenbaren aus, mag auf Poesie stoßen. Peter Rosenthal beschreibt den Gegensatz am Anfang des Bandes „Nachts nicht weit von wo“ anschaulich in der Geschichte vom Clown Francesco, der nachmittags in die Praxis des Autors an der Venloer Straße zu Blutabnahme und EKG kommt, abends aber den Arzt in seinem Zirkus begrüßt, in einer Welt, die mit einem „magischen Schleier“ umhüllt ist.
Paar auf dem Bordstein
Gedichte, Aphorismen und Prosa-Formate der unterschiedlichsten Autoren sowie eine Vielzahl von Fotografien versammelt die erste Veröffentlichung des neuen Kölner Verlags Weissmann, um das Wesen der Nacht zu ergründen. In einer assoziativen, selten inhaltlich begründeten Anordnung von Texten und Bildern geht es um Tanz und Taumel, Rausch und Absturz, Zärtlichkeit und Gewalt.
Auf dem Streifzug durch die Dunkelheit treffen wir Immanuel Kant und William Butler Yeats ebenso wie den jungen Ehrenfelder Buchhändler und Dichter Christoph Danne, trinken ein Bier mit einem melancholischen Paar auf dem Bordstein vor einem Kiosk und erfahren, was nachts auf dem Platz des Himmlischen Friedens so läuft. Natürlich geht es auch um Liebe, ein schwankendes Gefühl, das sorgsam ertastet werden will.
Die meisten Fotos aus Ehrenfeld
Und auch des einstigen Edelbordells in der Piusstraße wird gedacht, die ansehnliche Kneipen- Bar- und Rotlicht-Szene des Stadtteils steht jedoch keineswegs im Mittelpunkt. In Ehrenfeld wurde auch der überwiegende Teil der Fotografien aufgenommen, schon der Einband zeigt den derzeit wegen Bauarbeiten verhüllten Turm von St. Joseph. „Wir wurden hier im Veedel zu diesem Thema inspiriert, sind aber im Schutze der Nacht hinausgeschlichen und haben uns auch anderswo umgesehen“, erklärt Rosenthal lächelnd.
Grafiker Stefan Flach, der für das Design des Bandes zuständig war und dessen Schreibtisch 18 Jahre lang in einer Ehrenfelder Bürogemeinschaft stand, hält die Konzentration auf den Stadtteil ebenfalls für naheliegend: „Hier gibt es solch eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Gruppen, Milieus und Lebensentwürfe, man hat alle möglichen Facetten des sozialen Lebens vor Augen.“
Das Veedel als soziokulturellen Entwurf hatte Peter Rosenthal bereits als Herausgeber des Bandes „Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“ behandelt, der im Stadtteil zum Top-Seller wurde: 4000 Stück davon hat allein die Bunt-Buchhandlung an der Venloer Straße verkauft, mehr als von jeder anderen Buchveröffentlichung bis dato.Flach hatte bereits die Gestaltung des 2017 erschienenen Bandes übernommen, für das „Nacht“-Projekt beschlossen die beiden, einen eigenen Verlag zu gründen.
Das Buch
Auf den 160 Seiten des Buches „Nachts nicht weit von wo“ finden sich 41 Beiträge, Erzählungen, Gedichte und mehr von 15 Autoren sowie 76 Farbfotografien von elf Fotografen aus Ehrenfeld und „dem Rest der Welt“. Erhältlich zum Preis von 19,95 Euro im Buchhandel oder direkt über die Homepage weissmann-verlag.de. (EB)
Schon, weil man da vom Inhaltlichen über die Wahl des Papiers bis zum Vertrieb, der im Wesentlichen über den persönlichen Kontakt mit den Buchhandlungen laufen soll, alles selbst in der Hand habe. Weissmann Verlag heißt die Neugründung nach dem Dritten im Bunde, Michael Weißmann, der im kaufmännischen Bereich tätig ist und im Belgischen Viertel lebt – „Ost-Ehrenfeld“ sozusagen: „Seit etwa 50 Jahren bin ich aber auch begeisterter Hobby-Fotograf und habe viele Aufnahmen in Ehrenfeld gemacht.“
Der Titel des neuen Bandes übrigens ist ein abgewandeltes Zitat von Stefan Zweig, der einst, als er im brasilianischen Exil lebte, auf seinen neuen Wohnsitz angesprochen wurde: „Das ist aber weit weg.“ Zweig hatte darauf entgegnet: „Weit von wo?“. Dem gebürtigen Rumänen Rosenthal, selbst Mitglied des Exil-Pen, gefiel das Unbestimmte dieser Antwort, das passe auch zum Thema Nacht.
In verlassenen Häusern
Der Tag kommt nicht so gut weg, als er schließlich anbricht. Mit dem letzten Satz eines Texts von John Williams: „Und der Morgentau verströmte einen modrigen, übel riechenden Duft, der ihm so unangenehm in die Nase drang wie der muffige Geruch düsterer Zimmer in verlassenen Häusern“, schließt ein durchaus anregender Band, der die Nacht selbstverständlich nicht erschöpfend erkunden kann und soll.
Für den Weissmann Verlag wird es aber weitergehen, die drei frisch gebackenen Verleger haben allerdings keine Eile und warten auf die nächste Inspiration: „Heimat, und wie sie sich für die zahlreichen Migranten darstellt, die mittlerweile in Ehrenfeld leben – das könnte so ein Thema sein“, deutet Rosenthal an.