Operation CoronaBonner Haus der Geschichte sammelt Exponate zur Pandemie

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Corona Sammlung

Dietmar Preißler, Sammlungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte in Bonn

Streng genommen sind es nur eine Strickjacke und ein Pullover, die im Haus der Geschichte in der Vitrine hängen. Doch im historischen Kontext werden sie zu echten Zeitzeugen. Was mit den ehemaligen Trägern zu tun hat. Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow (Pullover) hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (Strickjacke) im Juli 1990 in seine Datscha in dem Kaukasusdorf Archys eingeladen, um dort die entscheidenden Gespräche über den weiteren Gang der deutschen Einheit zu führen. Auf einem Spaziergang zum Ufer des Flusses Selemtschuk, der von Fotografen begleitet wurde, trugen beide Politiker besagte Kleidungsstücke. Eine politische Inszenierung, die der Welt zeigen sollte, wie entspannt, vielleicht auch freundschaftlich die Atmosphäre war.

Eines Tages wird der eigentlich unspektakuläre blaue Bierkranz aus Gangelt erzählen, wie alles begann mit Corona. Zumindest in Deutschland. Der Bierkranz kursierte bei der legendären Kappensitzung des Karnevalsvereins „Langbröker Dicke Flaa“ mit rund 300 Teilnehmern in der Gemeinde Gangelt, Kreis Heinsberg, am 15. Februar 2020, bei dem ein mit Covid-19 infiziertes Ehepaar teilnahm. Deutschlands erster Hotspot. „Der Präsident des Karnevalsvereins hat uns den Bierkranz, seine Kappe und weitere Stücke überlassen“, sagt Dietmar Preißler, „der Anfang ist für den Historiker besonders wichtig“. Etwa 450 Exponate rund um die Pandemie stehen schon in Preißlers Datenbank.

Corona-Sammlungskonzept

Bierkranz Gangelt

Auch der Bierkranz aus Gangelt darf in der Sammlung nicht fehlen.

„Mit dem Lockdown wurden wir aktiv“, erzählt Preißler, Sammlungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte in Bonn, „als Museum für Zeitgeschichte ist das unsere Aufgabe, wir müssen die Gegenwart beobachten und sofort reagieren, wenn etwas passiert“. „Wir haben schnell gemerkt: Es findet ein medizinhistorisches Ereignis in Deutschland statt, das dokumentationswürdig ist.“ Dabei sammelt das Haus der Geschichte nicht ins Blaue. In kürzester Zeit verständigte man sich auf ein Corona-Sammlungskonzept, das auf 25 Seiten die Strategie festlegt und den Häusern der Stiftung an den Standorten Bonn, Berlin und Leipzig Kriterien an die Hand gibt.

Ähnliche Konzepte erarbeiteten Preißler und seine Kollegen auch für das Ende des Steinkohlebergbaus, für das Thema Flüchtlinge. „Es geht um Inhalte und Objekte mit einer hohen Aussagekraft, wenn sie in einer Ausstellung gezeigt werden“, erläutert Preißler.

Nach dem Lockdown habe man sich direkt zusammengesetzt gemäß der Devise des Präsidenten der Stiftung, Hans Walter Hütter, „jetzt sitzt ihr zuhause, da könnt ihr darüber nachdenken“. Und es entstand ein Konzept, das folgende Sammlungsbereiche umfasst: Corona im Alltag, Corona und Politik, Corona und Wirtschaft, Corona und Medien, Corona und Kultur, Corona und Medizin, Corona und Tod. „An diesen roten Fäden können wir und entlangarbeiten.“

Die Bedeutung der Corona-Pandemie sei allen klar gewesen, sagt Preißler und erinnert an ähnlich prägende medizinhistorische Ereignisse in Deutschland: Die Einführung der Pille, der Contergan-Skandal, Aids. „Corona ist kein durch Medien aufgeheizter Hype, es zeichnet sich ab, dass uns das noch lange beschäftigen wird, weit ins Gesellschaftliche und Politische hineinreicht.“

„Die Maske ist natürlich das Symbol der Pandemie“, meint Preißler und zieht sein persönliches Exemplar aus der Jackentasche: ein Mundschutz mit einem Emblem seines Fußballclubs VfB. „Der VfB und der HSV waren die ersten Fußballvereine, die damit angefangen haben, die anderen haben nachgezogen“, berichtet er. Er sammelt Masken aus dem Alltag, improvisierte Modelle bis zu Luxus-Accessoires die zum Hals- und Einstecktuch passen, trägt Karikaturen und Zeitzeugenberichte zusammen, Zeitschriftencover, Fernsehmitschnitte – „in jeder Talkshow wird über Corona geredet“.

Das gesamte Inventar einer Drive-In-Teststation gehört ebenso zu den Funden wie Dokumente über den Ablauf des digitalen Schul- und Universitätsalltags in Coronazeiten. Von Kai Wohlgemuth kam ein Graffiti-Porträt einer Krankenschwester mit Supermankostüm ins Haus: „Die ‚Super-Nurse‘ steht für die Alltagshelden der Pandemie“, sagt Preißler. Mit Partnern durchforstet er das Web nach Berichten zur Pandemie. Und es gibt außergewöhnliche Stücke, etwa der Ball und ein Trikot des ersten Geisterspiels zwischen Köln und Mönchengladbach am 11. März 2020. Vorsichtig und mit weißen Handschuhen holt der Sammlungsdirektor den Ball aus dem Karton als sei es eine mittelalterliche Krone. Für Großveranstaltungen, die nicht stattfanden, steht ein bunter Bierkrug mit der Aufschrift „Oktoberfest 2020“. In der Sammlung findet sich auch die Einladungskarte zum 60. Geburtstag eines Freundes von Preißler mit dem Stempel „abgesagt“.

Wo und wann werden die Corona-Exponate zu sehen sein?

Der Sammlungsdirektor könnte sich ein Corona-Kapitel in einer überarbeiteten Dauerausstellung vorstellen. Was er da zeigen würde? Da weicht Preißler schmunzelnd aus: Er sei nur fürs Sammeln zuständig, fürs Präsentieren andere Kollegen. „Die Maske als Ikone wird sicherlich dabei sein.“

Großes Thema in dem Corona-Spektrum sei auch das Protestverhalten und die Frage, wie weit darf der Staat mit seinen Maßnahmen gehen? Und dann zeigt er einen „Grabstein“, den Mitglieder der Identitären Bewegung vor dem Wahlkreisbüro von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Stralsund abstellten: Da werden Pressefreiheit, Bewegungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gefordert, den Bezug zur Pandemie stellt eine Maske her.

Bei Corona hat das Haus der Geschichte vorbildlich, schnell und systematisch klug reagiert. Gibt es denn vielleicht auch Themen, die das Haus verschlafen hat? Da lacht der Sammlungsdirektor: Ab 1988 habe er alle wichtigen Trends erfasst, vorher war nicht am Haus beschäftigt, das 1994 eröffnet wurde. Im Ernst: Es sei natürlich ärgerlich, dass man etwa Dokumente über die `68-Revolte erst im Nachhinein erwerben konnte. Preißler: „Es war ein gutes Konzept, ein Haus der Geschichte zu gründen, das nach dem Prinzip ‚von der Straße ins Museum‘ unmittelbar Dokumente der Zeit sammelt.“ Und: „Wir schaffen einen unschätzbaren Fundus für ein kulturelles Gedächtnis.“

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