Das Stück „Judith Shakespeare - Rape & Revenge“ erzählt von der fiktiven Schwester von William Shakespeare und thematisiert Gewalt an Frauen – in der Realität, auf der Bühne und hinter den Kulissen des Theaters.
Premiere im Schauspiel KölnWer ist Shakespeares Schwester?

Rebecca Lindauer als Judith Shakespeare
Copyright: Schauspiel Köln
Große Themen werden da verhandelt, an diesem Abend im Depot 2 des Kölner Schauspiels. Es geht um Gewalt gegen Frauen, wie sie seit je her auf der Theaterbühne verhandelt wird und wie sie – sicherlich genau so lange – hinter den Kulissen stattfindet. Machtstrukturen in der darstellenden Kunst werden seit einiger Zeit – zurecht – infrage gestellt. Und was mit dem Hashtag metoo in der Filmbranche begann, fand auch landauf, landab auf den verschiedenen Bühnen seine Fortsetzung.
Mit ihrem Stück „Judith Shakespeare – Rage & Revenge“ (deutsch: Vergewaltigung und Rache) schafft die Autorin Paula Thielecke nun die Möglichkeit für das Theater, sich selbst auf den Zahn zu fühlen – im Beisein des Publikums.
Judith (Rebecca Lindauer) ist die kleine Schwester des berühmten William (Benjamin Höppner) und ebenfalls Autorin – eine Idee, die Virginia Woolf in „Ein Zimmer für sich allein“ aufbrachte. Kontakt zu einem Theaterdirektor (Jörg Ratjen) bekommt Judith allerdings erst, nachdem sie Röschen an der Pforte mit der Telefonnummer ihres Bruders „bestochen“ hat.
Mit der sprichwörtlichen Faust in der Tasche lässt sie sich vom Intendanten dazu drängen, statt über die „Urwälder in Europa“ ein Stück über Vergewaltigung zu schreiben. Währenddessen wird Röschen bei ihrem Date mit dem Star-Schreiber Shakespeare von diesem vergewaltigt. In der Folge tun sich Röschen und Judith zusammen, während die beiden Machtmenschen an ihrer Selbstherrlichkeit scheitern.
Thieleckes Text verknüpft verschiedene Genres, ist mal poetisch, mal brutal ehrlich, mal unter der Gürtellinie. In den Dialogpassagen wird oft geschliffen gesprochen, aber auch genauso gut an einander vorbeigeredet. Man tauscht sich aus, man fällt sich ins Wort (was aber auch dem Premierenüberschwang geschuldet gewesen sein könnte). Im Stakkato, fast parolenhaft melden sich darüber hinaus die Figuren aus Judiths entstehendem Stück zu Wort – berühmte Frauen aus der (Theater-)Literatur wie Lucretia, Leda oder Gretchen berichten von Gewalterfahrung, Ohnmacht und Selbstermächtigung.
Die Entscheidung von Regisseur Dennis Nolden, diese starken, unter die Haut gehenden Passagen aus dem Off einsprechen zu lassen, nimmt ihnen ein Stück weit die ursprüngliche Intensität – im Vergleich zur mitreißenden Darstellung des vierköpfigen Ensembles.
Es ist erst Rebecca Lindauers zweite Spielzeit in Köln, wohin sie frisch von der Schauspielschule kam. Schon mit ihrem ersten Auftritt in „Ode“ überzeugte sie voll und ganz, mit ihrer ersten Hauptrolle fügt sie ihrem Repertoire eine weitere Glanzleistung hinzu. Im schlabbrigem 70er-Jahre Jeans-Look (Kostüme: Teresa Schimmels), die Haare zum angedeuteten Vokuhila gesteckt verkörpert sie Selbstbewusstsein, Selbstzweifel und Verzweiflung, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Zurecht fiel der begeisterte Premierenapplaus für Rebecca Lindauer noch etwas lauter aus als für ihre verdienten Kollegen.
Doch Benjamin Höppner und Jörg Ratjen lassen mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Lässigkeit die Machtmenschen raushängen – beide gehören von Anfang an zu Stefan Bachmanns Ensemble, keinen von beiden hat man jemals mittelmäßig oder gar schlecht erlebt.
Als vierter im Bunde agiert Justus Maier. Autorin Thielecke hatte für die Rolle „Röschen“ keine Geschlechterzuordnung vorgegeben. Und nachdem Maier in Pumps und mit lackierten Fingernägeln anfangs etwas zu „warm“ spielt, lässt er schnell vergessen, welchem Geschlecht hier Gewalt angetan worden ist.
War es die richtige Entscheidung, die Rolle von einem Mann spielen zu lassen, dessen Darstellung der Inszenierung einen queeren Aspekt hinzufügt? Oder wäre es nicht besser gewesen, weniger um die Ecke zu denken, und Rebecca Lindauer eine zweite Frau an die Seite zu stellen?
Doch auch Paula Thieleckes Stück thematisiert eine Ambivalenz. Muss Röschen als Fan des berühmten Shakespeare diesen unbedingt kennenlernen wollen? Ihm aufreizende Selfies schicken? Den Abend an der Bar in seinem Hotelzimmer ausklingen lassen? Muss sie nicht. Aber, und das macht das Stück einmal mehr klar, wenn sie es tut, heißt dennoch das „Nein“ zu allem Weiteren auch wirklich „Nein“. Keine Diskussion.
75 Minuten, wieder am 19. April sowie am 9. und 29. Mai, jeweils 20 Uhr,