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Roman „Kaiserstuhl“Nachkriegswehen und die Jagd nach Hitlers Champagnerflasche

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Köln – Wenn die Tochter eines Weinhändlers beim Knall eines Champagnerkorkens das Licht der Welt erblickt, kann man das durchaus für ein gutes Omen halten. Und scheinbar hat Henny Köpfer, inzwischen 41 Jahre alt, ihren Weg gemacht: „Es ging ihr gut, sehr gut. Eigenes Haus, eigenes Geschäft, eigenes Geld, sogar einen eigenen Wagen, den sie selbst chauffierte.“ Für eine Frau 1962 in Freiburg keine Selbstverständlichkeit. Zumal sie ohne Mann lebt, was argwöhnisch zur Kenntnis genommen wird. Doch Henny hat gute Gründe für ihr Alleinsein…Nach „Bühlerhöhe“ (2016) und „Rheinblick“ (2019) schlägt Brigitte Glaser mit „Kaiserstuhl“ ein weiteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte auf. „Ich finde, das ist eine sehr spannende Zeit“, sagt sie im Gespräch mit der Rundschau. „Und bei mir ist es ja immer so, dass ich weniger von einem Ort, als von einem Ereignis ausgehe.“ Diesmal ist es der Besuch Charles de Gaulles, der 1962 zum ersten Mal nach Kriegsende nach Bonn reist: „Da schien ein friedliches Europa plötzlich möglich.“

Was für ein großer Schritt es von Adenauer und de Gaulle war, eine deutsch-französische Freundschaft zu initiieren, so Glaser, könnten viele heutzutage nicht verstehen. Um zu zeigen, wie tief die Gräben waren, die die beiden Völker trennten und wie schwer die Verletzungen, wechselt sie die Zeitebenen: „Das Buch lebt von ganz vielen Rückblenden in den Zweiten Weltkrieg.“

Dadurch wird nach und nach auch klar, welche Schuld Henny einst auf sich geladen hat und warum sie 1946, am Morgen ihrer geplanten Hochzeit, dem Bräutigam davonlief. Einem Elsässer namens Paul Duringer, der aussieht wie Jean Gabin und den etwas entsetzlich quält: Hat er im Krieg seinen Bruder Auguste getötet, der auf deutscher Seite kämpfte? Eine der Kernfragen lautet: „Kannst du vergeben?“ Glaser lässt Pauline, die bei der Résistance war und ins KZ kam, einen Satz sagen, der sich tief einbrennt: „Wenn der Hass siegt, haben die anderen gewonnen.“

Geschenk von Göring an Hitler: Champagner mit Symbolkraft

Vieles von dem, was Glaser beschreibt, kennt sie: „In allen Büchern steckt ja was von einem selbst.“ Wie Henny Köpfer und Paul Duringer ist sie nah der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen. Von Freiburg, wo die gebürtige Offenburgerin studiert hat, „ist es nicht weit zum Kaiserstuhl, ich war da relativ oft, abends einen Wein trinken oder wandern.“ Und dass sie, die begeisterte Kinogängerin, die als Medienpädagogin etliche Filmreihen zusammenstellte und Filmseminare gab, Paul Duringer einer Lichtspielhaus-Dynastie entstammen und für Filmmagazine schreiben lässt, ist sicherlich auch kein Zufall.

„Kaiserstuhl“ erzählt deutsche Geschichte nicht nach, sondern füllt sie, durch psychologisch glaubwürdige Protagonisten und deren Schicksale, mit Leben. Glaser, die seit 1980 in Köln lebt, ist auch eine erfolgreiche Krimiautorin. Das kommt „Kaiserstuhl“ zugute.

Verbindendes Element zwischen Kriegs- und Nachkriegszeit ist eine Flasche legendären Champagners von 1937, die einst Hermann Göring Hitler schenkte. Erst 17 Jahre lang versteckt, dann wiederbeschafft, dann verschwunden, weckt sie viele Begehrlichkeiten. Auch die von einigen Altnazis, die sich anschicken, in der aufblühenden Bundesrepublik erneut Karriere zu machen. Die Jagd nach der Champagnerflasche trägt unbedingt zur Spannung bei – und verhilft dem Roman zu seinem furiosen Ende.

Brigitte Glaser: Kaiserstuhl. Roman, List, 432 S., 23 Euro.