Schauspiel KölnSelten so wenig gelacht bei Molières eingebildetem Kranken

Furioser Hypochoder: Rosa Enskat.
Copyright: Thomas Aurin
Köln – Auf Furzwitze kann sich jeder einigen. Endlich wird gelacht, nicht zu laut jedoch, sondern gekichert und gegluckst ob der Wortspiele, dass Colon – lateinisch Dickdarm– so klingt wie Köln und die Stadt daher nichts anderes ist. Höhöhö.
So steht es natürlich nicht im Original von Molières Komödien-Klassiker „Der eingebildete Kranke“ aus dem Jahr 1673. Die Fassung, die das Schauspiel Köln nun auf die Bühne bringt, ist eine als Überschreibung betitelte Neufassung. Das Autorenduo Barbara Sommer und Plinio Bachmann hat den wohlbekannten Klassiker um eine halbe Stunde gekürzt, die Handlung beibehalten, einige Figuren hinauskomplimentiert und andere nicht nur textlich, sondern auch charakterlich neu aufgesetzt. Molières bekannte, annähernd zeitlose Karikaturen des Hypochonders, der geldgierigen Ärzte und berechnenden zweiten Ehefrau bekommen zeitgenössische Witzfiguren ins Team.
Zeitgenössische Soziopathen
Die Tochter ist eine Hochsensible, die von allem und jedem sofort verletzt ist und gerne direkt darüber reden möchte. Ihr Geliebter Cléante ist ein hyper-woker Jüngling, der allzu gerne auf alles eingeht und dem Fantasie-Pronomen sehr wichtig sind. Anstatt vor allem um körperliche Krankheiten geht es hier also auch um zeitgenössische Soziopathen.
Auf einen Blick
90 Minuten, wieder am 12. und 23.10., 6. und 22.11., jeweils 20 Uhr, Karten-Tel.: 0221/221 284 00
Das Stück: Der Molière-Klassiker gekürzt, thematisch aktualisiert und in zeitgenössischem Sprachgewand.
Die Regie: Minimalistische Produktion von Stefan Bachmann als Therapiesitzung im Stuhl-Halbkreis um das Krankenlager.
Das Ensemble: Starkes Team mit Mut zum Bizarren und Derben. (fel)
Regisseur und Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann hat die sprachliche und thematische Aktualisierung noch weiter gedreht und die Geschlechter der Figuren getauscht. Die Hauptrolle als des Kranken Argan ist mit Gastschauspielerin Rosa Enskat besetzt, die den Alten mit Mutterwitz weniger leidend als schnodderig darstellt. Die zartbeseelte Tochter kommt im kräftigen Körper von Paul Basonga, der samt Bartschatten in cremefarbenem Kleidchen mit Spitzenstrumpfhose steckt. Der Geliebte ist die zierliche Lola Klamroth in Brokatrock mit Pumphose und aufgeklebtem Bärtchen. Ehefrau Béline wird mit Kei Muramoto zum katzenhaft schnurrenden Transvestiten. Mehr Gender-Vielfalt und -Fluidität geht kaum. Die Stimmen der Vernunft bleiben bei ihren von Molière zugewiesenen Geschlechtern: Melanie Kretschmann gibt die Dienerin als motzige Praktikerin, die sich nicht alles sagen lässt, und Bruder Béralde (Kais Setti) ist ein klassischer Geck.
Das alles ist sehr durchdacht und vielschichtig. Bachmann schickt die Figuren wie zur Gruppentherapiesitzung in einen Stuhl-Halbkreis um die schmuddelige Chaiselounge des Kranken. Im kalten Licht sind die üppig kostümiert vor minimalistisch vor schwarzem Hintergrund den Betrachtern ausgesetzt (Bühne und Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes).
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Das alles könnte nun kreischend lustig sein, doch es wird wenig gelacht im Theater. Sehr wenig. Die verfremdeten Figuren mit ihren Bewegungsstereotypien verfangen nicht. Ihr Geschwätz ist ein ad absurdum geführter Diskurs voller Totschlagargumente, Buzzwörter und Empörtheiten und ermüdet mehr als zu erheitern. Denn wer kennt sie nicht aus dem echten Leben, diese Überkorrekten, Überengagierten oder Überempfindlichen, die sich gerne selbst in die Opferrolle setzen und damit (vermeintlich) unangreifbar machen? Oder die Menschen, die ihre Umwelt seit dem Erscheinen eines gewissen Bestsellers ungefragt mit Berichten über den Zustand ihres Darms belästigen? Sie sind nicht einmal in der Überzeichnung lustig, sondern einfach nur nervig bis unsympathisch mit ihrem Gedöns und in ihrer selbstgerechten Suche nach Aufmerksamkeit. Ganz in diesem Sinne führt jede der Figuren zwischen den Szenen zur knarrenden Fiedel des Todes jeweils ihren eigenen hedonistischen Schautanz auf.
Sogar über den Tod lachen, das sollten die Zuschauer bei Molière, und natürlich auch über alles andere. Man wird doch noch lachen dürfen – das ist das Motto jeglicher Komödie. Hier ersäuft das Lachen zu großen Teilen in Galle. Gut, dass es auch allerlei harmlos-derbe Furzwitze gibt, eine kleine Verschwörungstheorie zum Brandschutz und Sprüche wie: „Man muss die Exkremente feiern, wie sie fallen.“