Tochter bettina berichtetErinnerungen an den Komponisten Bernd Alois Zimmermann
Weh dem, der allein ist" und "Es ist genug". Zwei Sätze am Ende einer Partitur, zwei Sätze am Ende eines Lebens. Als Bernd Alois Zimmermann im Sommer 1970 die Arbeit an seinem letzten Werk beendet, verabschiedet er sich mit einem Bach-Choral und einem Spruch des Predigers Salomo. Fünf Tage nach Abschluss seiner "Ekklesiastischen Aktion", am 10. August, wählt der Komponist, Ehemann und Vater dreier Kinder den Freitod. Nun steht er von diesem Wochenende an im Mittelpunkt des Festivals "Acht Brücken".
Die letzten Jahre müssen für die Familie die Hölle gewesen sein. Immer tiefere Abstürze in die Depression machen alle Hoffnung auf Frieden und Glück im neuen Haus in Königsdorf jäh zunichte. Auch die Musik, die bereits früh Züge von Fatalismus und Verzweiflung trägt, verdüstert sich mehr und mehr.
Bilder, die voller Sonne sind
Es ist dieses Bild vom lebensmüden Komponisten und einem hoffnungslosen Werk voller Katastrophen, das das Andenken an Zimmermann bestimmt. Das Bild, das uns seine Tochter Bettina mit auf den Weg gibt, am Ende ihres Buches "Con tutta forza", ist ein anderes. Da lehnt ein offenbar quietschvergnügter Mann mit T-Shirt und Sandalen lässig an einen Baum, um ihn herum erstrahlt die Welt in hellem Licht. "Südfrankreich 1957" steht darunter. Und es gibt noch viele andere Bilder, die voller Sonne sind. Bilder einer glücklichen Familie, die Urlaub macht in Italien, von einem Vater, der mit seinen Kindern herumtollt, und vom verliebten jungen Mann, der in Badehose mit seiner schönen Frau Sabine am Strand posiert.
Es macht viel Spaß, diesen anderen Zimmermann zu entdecken in diesem wunderbaren Buch, das halb Biografie ist und halb Familienalbum. "Ein persönliches Por-trät" nennt es die heute 66-jährige Bettina.
Nach dem schrecklichen Sommer 1970 hat sie lange gebraucht, um wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Erst mal hieß es: Abstand gewinnen, weg von allem. Flöte hat sie zu spielen begonnen, dann aber Ethnologie studiert, nicht etwa Musik. Doch die Musik ihres Vaters hat sie immer begleitet.
Auf einem Festival in Straßburg, so erinnert sie sich im Gespräch, sei ihr dann plötzlich eine Idee gekommen. "Da habe ich den Komponisten Hans Zender, einen Freund meines Vaters, nach langer Zeit wiedergesehen. Ich hatte Zender mit seinen dunklen Haaren in Erinnerung, und da stand ein weißhaariger Mann vor mir. Und da wurde mir bewusst: Es ist nicht mehr viel Zeit." Der Entschluss war gefasst: "Mikrofon einpacken und Stift und Papier und Stimmen derer einfangen, die meinen Vater noch persönlich gekannt haben. Ich hatte zunächst gar kein Buch im Sinn, ich wollte nur sammeln."
Gott sei Dank ist es dann aber doch ein Buch geworden - ein Buch, wie es kein anderes gibt. Welcher Komponist schließlich hat schon das Glück gehabt, vom eigenen Kind porträtiert zu werden? Dabei drängt sich Bettina Zimmermann weder dem Leser noch dem Vater irgendwo auf: Sie sucht keine Deutungshoheit, behauptet kein Geheimwissen, sondern stellt vor allem neugierige Fragen: an Kollegen, Schüler und Musiker wie Hans Zender, Georg Kröll oder York Höller, an Manfred Schoof, Peter Eötvös, Christoph Caskel. Und an Michael Gielen, der 1965 das angeblich "unaufführbare" Hauptwerk "Die Soldaten" an der Kölner Oper dirigiert hat, wo es an diesem Sonntag wieder Premiere hat. Die jahrelangen Auseinandersetzungen um die "Soldaten" haben ihren Vater viel Kraft gekostet, erinnert sich Bettina Zimmermann, auch die Querelen an der damals durch und durch reaktionären Musikhochschule, wo er Komposition unterrichtete. Doch Bernd Alois war keiner, der leicht aufsteckte. Immer wieder forderte er in seinen Partituren: "con tutta forza".
So hat Bettina den Vater in Erinnerung, als einen Mann "mit aller Kraft": "Er hatte viel Energie und brauchte auch viel Energie, um dieses Werk stemmen zu können. Das Leben hat sich mein Vater ,con tutta forza' zugemutet. Und zugleich hat sich mein Vater mit seinen Stücken auch uns ,con tutta forza' zugemutet, seinem Publikum."
Bettina Zimmermann: Con tutta forza. Bernd Alois Zimmermann. Ein persönliches Portrait. Wolke-Verlag, 464 S., zahlreiche Abb., 34 Euro. Lesung: 1. Mai, 14 Uhr, Philharmonie Köln, Eintritt frei.