„Very British“Brexit, Fußball und Winke-Queen – Ausstellung im Haus der Geschichte

Ein Besucher geht an einem Bild von Prinzessin Diana vorbei.
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- Die Ausstellung „Very British“ startet mit einem Ende: dem Brexit.
- Der Parcours arbeitet sich durch die britische Kultur aus deutscher Sicht.
- Vom WM-Ball von 1966 über den Tiger von „Dinner for One“ bis zur Winke-Queen.
Bonn – Was für ein Timing! Was für ein Gespür für Themen! Eine Ausstellung wie „Very British“, die mit dem Brexit startet und sich dann chronologisch und thematisch aus deutscher Perspektive durch Jahre und Jahrzehnte arbeitet, entlang an Stereotypen und Irritationen, vorbei an großen emotionalen Momenten, die uns Deutsche immer wieder tief berührten (Royals) oder auch aufregten (Fußball) trifft den Nerv unserer Zeit.
Es sind Schlaglichter auf eine sehr einseitige Liebesbeziehung: Die Deutschen lieben die Briten und alles, was britisch ist, meint Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Anders herum herrsche eher britische Zurückhaltung. Was gibt es für ein treffenderes Bild für das Brexit-Phänomen – just in time. Sensationell!
Mays Abschiedsbrief
Die Schau beginnt mit einem Knall. Die blaue Eingangswand mit den Europasternen ist quasi geborsten, ein Mini Cooper mit Union Jack auf dem Dach wurde herausgeschleudert (das Kultauto wird inzwischen von BMW produziert).

Das originale Tigerfell aus dem Sketch „Dinner for One“
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„Dear EU, It's time to go“, titelte der „Daily Mirror“, es ist Zeit zu gehen; in der Bildzeitung liest man „OUTsch!“ Neben diesen Zeitungen hängen Theresa Mays Abschiedsbrief an Donald Tusk, die knappen Abstimmungsergebnisse über den Brexit und allerlei bedauernde Zeilen aus deutschen Zeitungen. Auf dem Boden dramatische Bremsspuren.
Ausstellung neu geplant
Als man erstmals über „Very British“ sprach, Anfang 2016, war von Brexit noch keine Rede. Erst vier Monate später fand die entscheidende Abstimmung statt. Für Dezember 2018 war die Bonner Schau ursprünglich geplant. Doch die Ausstellungsfirma machte Pleite. Eine neue Firma, ein neuer Termin mussten her, Leihgeber, darunter die Queen, erneut angefragt werden. Alles klappte, und die britische Regierung vertagte den Vollzug des Brexit. Wenn jetzt etwas in Sachen Brexit passiert, wird die Ausstellung aktualisiert.
Der Raum ist blau, so blau wie das „Sapphire Blue“ von Margaret Thatcher, das Kleid von Aquascutum, das mit obligater Handtasche in der Vitrine zu sehen ist. Die „Eiserne Lady“ setzte 1984 mit dem Ruf „I want my money back“, ich will mein Geld zurück, den Britenrabatt durch und reiht sich ein in die lange Sequenz der Euroskeptiker.
Sechs spannende Episoden nach dem Brexit
„Der Brexit war kein Unfall“, sagt Ausstellungsleiter Thorsten Smidt, er habe eine lange Geschichte, beginnend mit Winston Churchills Beharren auf Eigenständigkeit der Briten. Der Europa-Visionär dachte größer als Europa: „Wir sind mit Europa, aber kein Teil von Europa. Wir gehören nicht einem einzigen Kontinent, sondern allen.“

Eine Besucherin schaut sich den Entwurf eines Karnevalswagen aus dem Jahr 2017 für den Düsseldorfer Rosenmontagszug an.
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Auf den sehr starken Brexit-Einstieg folgen sechs nicht minder spannende Kapitel. Es geht um die die Rolle der Briten in der unmittelbaren Nachkriegszeit; um das Verhältnis der Deutschen zu den Royals; um den durch das Weltkriegstrauma geprägten, klischeevollen Blick der Briten auf uns und Versuche der Versöhnung; Deutschland gegen England – auch im Fußball eine hochemotionale Paarung; Kapitel sechs hat die Wirtschaftsmacht England im Visier; das Schlusskapitel bestreiten die Beatles und die Stones, James Bond, Monty Python und nicht zuletzt „Dinner For One“ – als Synonyme für die in Deutschland so geschätzte britische Kultur.
Ein Traum in Hellblau
Seit 1714 sind die Deutschen praktisch Teil der britischen Monarchie – was vielleicht die unglaubliche und durch eine Wand von Illustrierten-Titelblättern dokumentierte Royal-Verehrung erklären könnte. 1714 wurde Kurfürst Georg Ludwig von Hannover zum König George I. von Großbritannien und Irland gekrönt. Seine Krone aus dem Londoner Tower steht jetzt in Bonn.
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Daneben Bilder der blutjungen Elizabeth beim Besuch in der jungen Bundeshauptstadt. Elf Tage tourte sie 1965 durch Deutschland. Eine Sensation. Das Abendkleid von Hardy Amies, das sie gelegentlich trug, war von der Innendekoration des Brühler Schlosses inspiriert. Ein Traum in Hellblau. Deutschland lag der Queen zu Füßen. Jahrzehnte später wiederholt sich der Royal-Hype mit Prinzessin Diana.
Weltkriegs-Stereotype auch beim Fußball
Kontrastprogramm: Im spannenden Kapitel „Gegenwärtige Vergangenheit“ tritt das mediale Zerrbild des hässlichen Deutschen, der Kommandos schnarrend im Stechschritt der Nazis unterwegs ist, gegen das Messgewand des Erzbischofs von Coventry, auf dem Bilder von Dresden und Coventry zu sehen sind, und das berühmte Nagelkreuz von St. Nikolai in Kiel als Versöhnungsgesten an. Und doch sind in dieser Abteilung auch Handtücher zu sehen: „I got to the Pool before the Germans“ und „Sorry! Dieser Liegestuhl gehört heute mir“ – der Handtuchkrieg wird in südlichen Urlaubsgebieten erbittert geführt.

Ein Mini Automobil steht im Haus der Geschichte vor dem Eingang der Ausstellung
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Auch beim Fußball ploppen Weltkriegs-Stereotype auf, sobald es zu deutsch-britischen Begegnungen kommt. „Achtung! Surrender. For you Fritz, ze Euro 96 Championship is over“, ätzt der „Daily Mirror“ 1996 – ergebt euch, rufen die britischen Stahlhelmträger. England flog gegen die Deutschen raus und die wurdendann Europameister. 1966 holten die Briten ihren einzigen WM-Titel – gegen Deutschland.
„Always look on the bright side of life“
Der lederne Finalball kam am Montag per Kurier an, bleibt zwei Wochen in Bonn, wird dann von einem Stück Wembley-Rasen in Gießharz ersetzt. Das Fußball-Kapitel ist toll – mit etlichen Legenden gespickt: „Traut the Kraut“, Bernd Trautmann, „The Diver“ Jürgen Klinsmann, der bei Tottenham kickte, und Kevin „Mighty Mouse“ Keegan, der beim HSV spielte.

Der Spielball des Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1966 im Wembley-Stadion
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Mit einer Winke-Queen, einer Hörbar mit 40 unvergesslichen Hits, George Harrisons Beatles-Anzug, Sean Connery und Emma Peel sowie dem beschwingten „Always look on the bright side of life“ der Monty Pythons endet dieser Parcours very British.
Das Königreich mag vielleicht bald nicht mehr zu Europa gehören – zu Deutschland aber gehört es unbedingt.
Haus der Geschichte, Bonn; bis 8. März 2020. Di-Fr 9-19, Sa So 11-18 Uhr