100 Tage nach Imamoglus Verhaftung kocht der Protest in Istanbul erneut hoch – er ist der wichtigste Rivale von Präsident Erdogan.
100 Tage nach Verhaftung10.000 Menschen demonstrieren in Istanbul gegen Imamoglus Festnahme

Ein Demonstrant mit einem Pikachu-Hut hält während einer Kundgebung gegen den 100. Tag der Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu einen Böller auf dem Sarachane-Platz in Istanbul.
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100 Tage nach der Festnahme von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu haben erneut zehntausende Menschen in der türkischen Metropole demonstriert. Vor dem Rathaus versammelten sich Unterstützerinnen und Unterstützer des populären Politikers, skandierten Parolen wie „Gegen den Faschismus, Schulter an Schulter“ und „Präsident Imamoglu“.
Zu der Kundgebung aufgerufen hatte die CHP – die größte Oppositionspartei der Türkei, die bei den letzten Kommunalwahlen landesweit erstmals vor der regierenden AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan lag. Ekrem Imamoglu ist ihr Präsidentschaftskandidat.
Welle des Protests: „Ekrem Imamoglu wird Präsident werden“
Imamoglu gilt als schärfster innenpolitischer Rivale Erdogans. Seine Verhaftung am 23. März und die anschließende Amtsenthebung lösten in der gesamten Türkei eine Welle des Protests aus – die größte seit den Gezi-Protesten von 2013. Zahlreiche weitere CHP-Mitglieder und Mitarbeiter der Stadtverwaltung wurden in den darauffolgenden Wochen in Gewahrsam genommen.

Demonstranten hören dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei der Türkei Özgür Özel (nicht im Bild) bei einer Kundgebung zu, die gegen den 100. Tag der Inhaftierung von Ekrem Imamoglu stattfindet.
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„Heute stehen wir alle zusammen an dem Ort, an dem alles begann“, sagte CHP-Chef Özgür Özel bei der Demonstration in Istanbul. „Dieser Kampf richtet sich gegen den Faschismus, für die Freiheit.“ Er attackierte Präsident Erdogan scharf: „Sie fürchten die Plakate von Bürgermeister Ekrem, seine Broschüren, sein Foto und seine Stimme. Doch Angst ist angesichts des Schicksals sinnlos. Sie werden gehen. Ekrem Imamoglu wird Präsident werden.“
Ein Gericht hatte nach Imamoglus Verhaftung Untersuchungshaft wegen Korruptionsvorwürfen angeordnet – ein Vorwurf, den der Bürgermeister entschieden zurückweist. Die CHP stellte ihn dennoch kurz darauf offiziell als Präsidentschaftskandidaten auf. Die nächsten regulären Wahlen sind für 2028 angesetzt.
120 Stadtmitarbeiter wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen
Zusätzlichen Zündstoff bekam der Protesttag durch einen weiteren Schlag gegen die Opposition: In der CHP-Hochburg Izmir nahm die Polizei am Morgen mehr als 120 Stadtmitarbeiter wegen Korruptionsvorwürfen fest. Nach Angaben des CHP-Vizevorsitzenden Murat Bakan sind insgesamt 157 Haftbefehle erlassen worden – darunter auch gegen den früheren Bürgermeister Tunc Soyer und zahlreiche hochrangige Beamte.

Lars Klingbeil (v.l.), Bundesminister der Finanzen, Vizekanzler und SPD-Bundesvorsitzender, Özgür Özel, CHP-Vorsitzender, und Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Parteivorsitzende, halten beim SPD-Bundesparteitag Plakate mit der Aufschrift „Free Imamoglu“.
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Bakan sprach von einem „politischen“ Manöver und zog Parallelen zur Causa Imamoglu. Viele der Festgenommenen seien bereits zuvor verhört worden und wären bei erneuter Vorladung freiwillig erschienen. Immer wieder werden in der Türkei Anhänger Imamoglus festgenommen.
Während die Regierung unter Präsident Erdogan regelmäßig betont, die Justiz arbeite unabhängig, sieht die CHP in den Entwicklungen eine gezielte Kampagne zur Schwächung der Opposition. Dass die Justiz kurz nach dem Wahlerfolg der CHP gegen ihre prominentesten Köpfe vorgeht, dürfte diese Deutung weiter befeuern. (sbo/afp/dpa)