An Corona gestorben„Dann habe ich zugeguckt, wie mein Kind gestorben ist“

Berührende Gespräche: Menschen, die Angehörige durch das Coronavirus verloren haben, schildern dem Bundespräsidenten in einer Video-Veranstaltung ihr Schicksal.
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- Der Bundespräsident hat schon viele Gespräche mit Pandemie-Betroffenen geführt.
- Wohl kaum eines dürfte so eindringlich gewesen sein wie das jüngste – mit Menschen, denen das Virus einen Angehörigen genommen hat.
Berlin – „Tschüss, mein Kind, Mama kommt bald wieder.“ Als Michaela Mengel diesen Satz am 24. Dezember zu ihrer Tochter sagt, weiß sie nicht, dass es ein Abschied für immer ist. Zum letzten Mal sehen sie einander an, dann nehmen Rettungssanitäter Annalena mit. Wenige Tage später im Januar stirbt die 23-jährige Annalena an den Folgen einer Coronainfektion auf der Intensivstation.
Zwei Monate später ist Michaela Mengel aus Essen per Video ins Berliner Schloss Bellevue zugeschaltet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu einem Gespräch mit Hinterbliebenen eingeladen, die in der Corona-Pandemie Angehörige verloren haben. Er wisse aus vielen Briefen, „dass das Thema Sterben und Tod in dieser Pandemie viele Menschen bedrückt und bewegt“, sagt Steinmeier. Hinter jeder Zahl stünden Schicksale und Menschen, „die ihre Liebsten verloren haben.“ „Menschen, die gebangt, gezittert, gekämpft haben, die sich manchmal nicht einmal verabschieden konnten.“ Fünf von ihnen hat Steinmeier eingeladen, damit sie stellvertretend für die vielen sprechen können.
Noch kaum verarbeitet
Michaela Mengel sitzt zuhause vor dem Bildschirm, im Hintergrund ist ein Foto von Annalena zu sehen. Eine junge Frau, die noch kindlich wirkt, Brille, kurze Haare, lächelnd am Strand. Die Mutter erzählt Steinmeier ihre ganze traurige Corona-Geschichte. Sie scheint wie erleichtert, dass jemand sie hören möchte. Es ist alles noch kaum verarbeitet.
Wegen eines Gen-Fehlers ist Annalena von Geburt an schwer geistig behindert. Sie kann nicht sprechen und vieles andere auch nicht. „Aber sie war ein sehr kuscheliger Mensch“, erzählt die Mutter, die wie sie sagt, „immer um ihr Kind herum war“. Gegen Ende des vergangenen Jahres, in dem sie noch viel häufiger als sonst zusammen zuhause sind, geht Annalena im Winter wieder in die Notbetreuung ihrer Behindertenwerkstatt. „Sie war glücklich dort“, sagt die Mutter. Sie weiß nicht genau, ob ihre Tochter sich in der Werkstatt mit dem Virus infiziert hat. Gut möglich. Annalena kann keine Maske tragen und nimmt nach wie vor gerne andere in den Arm.
Mutter und Tochter mit Corona infiziert
An einem Samstag beginnt es. Schlappheit, Husten, Fieberschübe. „Sie wollte nichts mehr essen.“ Sie machen einen Test: Mutter und Tochter haben sich mit Corona infiziert. Als Annalena an Heiligabend immer weniger Luft bekommt, ruft die Mutter den Rettungsdienst, der sie sofort mit ins Krankenhaus nimmt. Michaela Mengel darf nicht mit, muss in Quarantäne bleiben, sie selbst hat kaum Symptome. „Ich habe gebettelt und gefleht. Ich war doch immer bei ihr.“ Wegen der Schutzmaßnahmen darf sie ihre Tochter nicht begleiten.
Zentrale Gedenkfeier
Nach Ostern will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einer zentralen Gedenkfeier die Erinnerung an die Toten der Corona-Pandemie wach halten. Als er diese Pläne am 22. Januar ankündigte, gab es rund 50000 Corona-Tote. Inzwischen sind schon 71240 Menschen in Deutschland mit oder an Covid-19 gestorben. „Eine erschütternde, verstörende Dimension“, sagt das Staatsoberhaupt. Im Januar hatte Steinmeier die Bürgerinnen und Bürger zu einem Zeichen des Gedenkens aufgerufen. Die Menschen sollten ein Licht in ihre Fenster stellen und auch ein Bild davon mit dem Hashtag #lichtfenster in den sozialen Medien teilen. „Hinter jeder einzelnen Zahl steht ein Schicksal, steht ein Mensch, der von uns gegangen ist. Der Tod ist ein besonderer Tod in Corona-Zeiten, weil er eben ein besonders einsamer ist“, so der Bundespräsident weiter. Auch für Angehörige sei das schwer, da sie mit ihrer Trauer weitgehend allein blieben, schildert Seelsorger Andreas Steinhauser. (dpa)
Michaela Mengel darf stattdessen von nun an ein Mal am Tag auf der Station anrufen, um mitgeteilt zu bekommen, wie es ihrer Tochter geht. Am Telefon erfährt sie, dass ihre Tochter ins künstliche Koma gelegt wird. „Ich sollte mir einen Seelsorger suchen“, erzählt Michaela Mengel. An einem Tag machen die Nierenwerte den Ärzten Sorgen, am nächsten Tag sind die Leberwerte schlecht. Zu Covid-19 ist eine bakterielle Lungenentzündung hinzugekommen. „Sie wird es nicht schaffen“, sind die Ärzte überzeugt.
Noch ein Mal kann sie zu ihrer Tochter, endlich. „Mein Kind lag da mit 1000 Maschinen am Körper, ganz gelb. Ich konnte sie nur festhalten und warten.“ Sie spielt sich und der Tochter im Koma noch ein Lied mit dem Handy vor. „Der letzte Tanz“ von Bosse: „Und man weiß immer erst beim Abschied, was es einem bedeutet und wie schön es eigentlich war ...“ Michaele Mengel stockt zum ersten Mal die Stimme. „Dann habe ich zugeguckt, wie mein Kind gestorben ist.“
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Sie erzählt noch, dass sie seither viel arbeitet in ihrem Beruf, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte. Das war vorher kaum möglich. Alles ist jetzt anders. „Mein Leben war doch nur für mein Kind da“, sagt sie. Es quält sie die Frage, ob die Infektion ihrer Tochter zu verhindern gewesen wäre. Sie glaubt: Ja. Es stünden immer die Älteren im Mittelpunkt, um die anderen, die jungen Gefährdeten wie ihre Tochter, „schert sich kein Mensch“. „Da ist doch eine Lücke im System.“ Es klingt verzweifelt und bitter.