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Britischer RegierungschefStarmer warnt vor „Insel der Fremden“

Lesezeit 3 Minuten
Kehrtwende in der Migrationspolitik: Keir Starmer. dpa/ap

Kehrtwende in der Migrationspolitik: Keir Starmer. dpa/ap

Strengere Visa-Vorgaben, mehr Hürden für Familiennachzug: Starmer will die Einwanderung reduzieren, um Rechtspopulisten zu stoppen.

Es waren die Kommunalwahlen Anfang Mai in England, die der britischen Labour-Regierung erneut einen deutlichen Warnschuss versetzt hatten. Die rechtspopulistische Partei Reform UK unter ihrem Chef Nigel Farage erzielte in mehreren traditionellen Hochburgen der Sozialdemokraten beachtliche Zugewinne – nicht zuletzt mit ihrer Forderung nach einer „Netto-Null-Migration“, bei der die jährliche Zahl der Einwanderer auf das Niveau der Auswanderer begrenzt werden soll.

Nettozuwanderung bleibt ein ungelöstes Problem

Der knappe Wahlsieg in der einstigen Labour-Hochburg Runcorn & Helsby, einem Wahlkreis im Nordwesten Englands, machte deutlich, dass die weiterhin hohe legale Migration aus Sicht vieler Wähler ein ungelöstes Problem bleibt.

In dieser Woche kündigte Premierminister Keir Starmer nun als Reaktion auf den wachsenden politischen Druck ein umfassendes Reformpaket an, das eine signifikante Reduzierung der Zuwanderung auf die Insel zum Ziel hat. Bei einer Pressekonferenz sagte er, eine unkontrollierte Einwanderung berge das Risiko, dass das Vereinigte Königreich zu einer „Insel der Fremden“ werde, und bezeichnet es als „richtig“ und „fair“, die Regeln zu verschärfen. Starmer betonte, sein Plan werde die Nettozuwanderung in den kommenden Jahren deutlich senken, lehnte eine starre Obergrenze jedoch ab.

Strengere Visa- und Staatsbürgerschaftsanforderungen geplant

In ihrem 82-Seiten-Papier legte die Regierung ihre Vorhaben offen. Labour plant die Abschaffung des „Care Worker Visa“ für ausländische Pflegekräfte. Stattdessen fordert Starmer Investitionen in die Ausbildung und Beschäftigung britischer Pflegekräfte, um langfristig eine nachhaltige Lösung für den Pflegenotstand zu schaffen. Zudem strebt die Regierung strengere Voraussetzungen für das „Skilled Worker Visa“, das Arbeitsvisum für qualifiziertes Personal, an.

Ferner sind erstmals verpflichtende Englischkenntnisse für mitreisende Familienangehörige vorgesehen. Ebenfalls geplant ist eine Verlängerung der Wartezeit für die britische Staatsbürgerschaft von fünf auf zehn Jahre. Unternehmen, die sich nicht ausreichend um inländische Arbeitskräfte bemühen, droht der Entzug ihrer Lizenz zur Ausländerbeschäftigung.

Nettozuwanderung erreicht historischen Höchststand

Tatsächlich hatten viele Brexit-Befürworter 2016 für den EU-Austritt gestimmt, weil sie sich einen spürbaren Rückgang der Zuwanderung versprachen – eine Erwartung, die bislang nicht erfüllt wurde. Die legale Migration ins Vereinigte Königreich ist nicht abgeflacht, sondern gestiegen.

Im Jahr bis Juni 2023 betrug die Nettozuwanderung 906.000 Personen – ein historischer Höchststand. Selbst nach einem Rückgang auf 728.000 im Jahr bis Juni 2024 liegen die Zahlen weiterhin deutlich über dem Niveau vor dem Brexit, als die Nettozuwanderung zwischen 200.000 und 300.000 lag.

Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung war die wirtschaftspolitische Ausrichtung früherer Regierungen, die legale Migration als Mittel zur Förderung von Wachstum und zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs betrachteten. Doch trotz deutlich höherer Nettozuwanderung sei das „Wirtschaftswachstum nicht gestiegen, es stagnierte“, betonte Starmer. Auch vor diesem Hintergrund legte der Labour-Premierminister nun eine Kehrtwende hin.

Kritik an Abschaffung des „Care Worker Visa“

Die Reaktionen auf das „White Paper“ fielen gemischt aus. Während konservative Medien den Schritt als überfällig lobten, äußerten verschiedene Organisationen Kritik an den Maßnahmen. Der Verband der unabhängigen Pflegeanbieter „Care England“ bezeichnete die geplante Abschaffung des Visums für ausländische Pflegekräfte als „vernichtenden Schlag“. Er befürchtet, dass sich der chronische Mangel an Arbeitskräften – verschärft durch den Verlust von Zehntausenden einheimischen Angestellten in den vergangenen Jahren – weiter zuspitzen könnte. „Wenn wir in einem Jahr feststellen, dass wir Pflegekräfte aus dem Ausland ausgeschlossen haben und gleichzeitig keine Briten bereit sind, diese Stellen zu übernehmen, droht eine echte Krise – in einem Sektor, der schon jetzt 140.000 offene Stellen kaum besetzen kann“, sagte der auf Einwanderungsrecht spezialisierte Jurist Harjap Singh Bhangal.

Kritiker betonen zudem, dass Starmer trotz der geplanten Verschärfungen bei der legalen Einwanderung die illegale Migration weiterhin nicht unter Kontrolle habe. Besonders die anhaltenden Überfahrten in Booten über den Ärmelkanal werfen Zweifel an der Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen auf und nähren den Vorwurf, Labour setze vor allem auf Symbolpolitik, während die tatsächlichen Probleme ungelöst bleiben.