Vor zehn Jahren sind 150 Menschen beim Absturz eines Germanwings-Flugzeugs ums Leben gekommen. Reichen die Sicherheitsmaßnahmen aus, die seit der Katastrophe eingeführt wurden?
Germanwings-AbsturzDas hat sich zehn Jahre nach der Katastrophe verändert

Die Absturzstelle des Germanwings-Flugzeugs in den französischen Alpen 2015
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24. März 2015: Ein Germanwings-Airbus zerschellt in den französischen Alpen. 150 Menschen kommen ums Leben, darunter allein 16 Schülerinnen und Schüler aus Haltern. Ins weltweite Entsetzen und in die tiefe Trauer mischt sich Fassungslosigkeit, als die Behörden mitteilen: Der Co-Pilot hat das Flugzeug, das von Barcelona nach Düsseldorf fliegen sollte, wohl bewusst gegen eine Felswand gesteuert, weil er sich wegen Depressionen das Leben nehmen wollte.
Die Fluggäste und die anderen Angehörigen der Crew hat er mit in den Tod gerissen. Der Mann, der seit Jahren wegen massiver psychischer Probleme behandelt wurde, hätte an diesem Tag gar keine Maschine steuern dürfen. Er war krankgeschrieben, hatte dies aber seinem Arbeitgeber verschwiegen.
Spekulationen um die Unglücksursache zurückgewiesen
Spekulationen, das Unglück sei dennoch nicht auf menschliches Fehlverhalten, sondern auf einen technischen Defekt zurückzuführen, hat der ermittelnde Staatsanwalt Christoph Kumpa gegenüber dem ZDF kürzlich entschieden zurückgewiesen.
Der Lufthansa-Konzern ist heute nicht mehr mit seiner früheren Marke Germanwings am Markt aktiv. Deren Geschäfte hat die Lufthansa-Tochter Eurowings übernommen. Dort äußert man sich ungern zu Details des Unglücks von 2015 und ebenso ungern zu der Frage, was seitdem bei den Sicherheitsvorkehrungen verbessert wurde.
Pauschal wird dort auf eine Stellungnahme des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) verwiesen. Die Maßnahmen, die darin aufgezählt werden, klingen durchaus hilfreich. So wurde nach dem Germanwings-Absturz eine europaweite flugmedizinische Datenbank eingeführt. Alle Ärzte, die Piloten beruflich betreuen, haben darauf Zugriff. Vor dem Unglück gab es eine solche Vernetzung nicht.
Kulturwandel nach dem Absturz
Stichprobenartig werden auch ohne konkreten Anlass Kontrollen auf den Missbrauch von Alkohol, Drogen und Medikamenten durchgeführt. Auch die psychische Gesundheit wird auf diese Weise überprüft. Vor dem Absturz im Jahr 2015 war das nach Angaben des BDL nur der Fall, wenn Piloten bei einem Flugunternehmen neu eingestellt wurden.
Bei den deutschen Fluggesellschaften wurde direkt nach dem Absturz zeitweise ausprobiert, streng zu regeln, dass immer zwei „autorisierte Personen“ im Cockpit sein müssen. Das hätte im Fall Germanwings die Katastrophe womöglich verhindern können. Wenig später wurde die Regel wieder verworfen, weil sie andere Risiken barg. Die Beschäftigten selbst haben sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt.
Die Pilotenvereinigung Cockpit kritisiert beispielsweise, dass die psychologische Begutachtung derzeit durch einen Fragebogen stattfinde. Das sei „weder eine Verbesserung der Flugsicherheit noch eine echte Unterstützung für hilfesuchenden Menschen.“ Vertrauensvolle Gespräche mit Flugmedizinern seien „sicherlich zielführender“.
Zudem rät Cockpit seinen Mitgliedern, etablierte Systeme zur Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wie sie von etwa Fluggesellschaften mittlerweile angeboten werden müssen: „Nicht jedes ärztliche Personal weiß um die Besonderheiten unserer medizinischen Flugtauglichkeit, was gerade im Hinblick auf die kommende elektronische Patientenakte und die Möglichkeit zur Dateneinsicht durch verschiedene Ärzte und Ärztinnen zum Problem werden kann.“
Mentale Gesundheit der Piloten rückt mehr in den Fokus
Eine schnell geschriebene Diagnose könne dazu führen, dass Betroffene „flugunfähig geschrieben“ werden. Das sieht auch Dennis Dacke so. Der Gewerkschafter ist Chef der „Aircrew Alliance“, einer Vereinigung, die die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für das fliegende Personal gegründet hat.
Programme mit kompetenten Ansprechpartnern für Piloten und deren mentale Gesundheit seien positiv, so Dacke: „Man muss solche Probleme nicht mehr wie in der Vergangenheit vor sich herschieben, sondern kann damit umgehen.“ Das sei ein Kulturwandel, der nach dem Absturz vor zehn Jahren eingeleitet worden sei.
Die Fliegerei werde in der Gesellschaft immer noch glorifiziert, glaubt der Gewerkschafter. Dabei sei der Job für Piloten, aber auch für das weitere Flugpersonal ein „hoch belastendes Arbeitsfeld“ – auch psychisch. Die Experten, die in den Programmen Piloten beraten, seien selbst Piloten: „Die können, bevor man zu einem Arzt geht, im Gespräch klar analysieren, welche Gefahren das haben kann.“ Die Angst vor einem Verlust der Fluglizenz dürfe nicht unterschätzt werden.
Dacke selbst ist in seiner Funktion bei der „Aircrew Alliance“ erst kürzlich von der Begleitung eines quasi weltumspannenden Frachtflug-Programms zurückgekehrt. Acht Tage lang war er mit einem Team unterwegs. Da habe er selbst gemerkt, wie belastend es ist, ständig an einem neuen Ort zu sein.
Soziale Bindungen zu Freunden oder Familien würden leiden, wenn man diesen Beruf dauerhaft ausübe. Der Schritt zu einer psychischen Krankheit sei oft nicht weit. Hinzu komme die immer größere Arbeitsverdichtung. Nach der Covid-Pandemie habe das Fachpersonal gefehlt.
Die Folge seien kürzere Ruhezeiten und mehr Stress. Für Konsumenten sei es schön, aus dem Fernen Osten billige Waren bestellen zu können. Man müsse sich aber auch die Frage stellen, was das für die Fluggesellschaften und ihre Mitarbeiter bedeute.
Ähnliches gelte für den Transport von Passagieren. „Unser Ansinnen muss es immer sein, dass wir die Leute gesund halten und sie nicht krank machen“, sagt Dacke. Die Fluggesellschaften müssten noch stärker als bisher den Druck akzeptieren, der auf ihren Beschäftigten laste: „Wenn du dir ein Bein gebrochen hast, das versteht jeder – bei psychischen Krankheiten nicht immer.“
Der Verdi-Vertreter setzt sich dafür ein, dass mentale Beeinträchtigungen beim Flugpersonal konsequenter als Berufskrankheit anerkannt werden. Dazu gehöre dann auch, für Entlastung zu sorgen und im Zweifel die Flugpläne auszudünnen – auch wenn das bedeute, dass die Flüge teurer werden. Ein Gegensteuern sei jedoch unabdingbar, so Dennis Dacke, wenn man Katastrophen wie den Absturz vor zehn Jahren vermeiden wolle.