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„Inakzeptabel“Grüne-Jugend-Chefin provoziert mit „ACAB“-Pulli – Nietzard rudert zurück

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 15.11.2024, Hessen, Wiesbaden: Jette Nietzard, Sprecherin der Grünen Jugend, spricht bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. (zu dpa: «Grüne Jugend legt eigenen Zehn-Punkte-Plan vor») Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Jette Nietzard, Sprecherin der Grünen Jugend, hat mit ihrem Outfit nicht nur bei der Opposition für Empörung gesorgt (Archivbild).

Jette Nietzard, Vorsitzende der Grünen Jugend, hat sich in einem Pulli mit umstrittenem Slogan präsentiert.

Jette Nietzard ist seit Oktober vergangenen Jahres Sprecherin der Grünen Jugend, zusammen mit Jakob Blasel. Einer breiteren Öffentlichkeit war die 26-Jährige bislang vermutlich nur wenig bekannt. Das dürfte sich nun geändert haben, denn die in Leverkusen geborene Politikerin provozierte mit einem Social-Media-Post, in dem es um ihr Outfit geht.

In ihrer Instagram-Story postete sie ein Selfie, das sie mit grünem Pullover mit dem Kürzel „ACAB“ zeigte, angelehnt an den Stil eines Adidas-Logos. Zudem trug sie eine Cap mit dem Aufdruck „Eat the rich“. Dazu stellte sie die Frage: „Auf dem Weg in den Bundestag. Was findet Julia Klöckner schlimmer: ACAB Pulli – Eat the rich Cap?“ Zu dieser Umfrage sollten ihre 22.000 Follower ihre Meinung sagen. Screenshots der Instagram-Story verbreiteten sich in den sozialen Medien.

Nietzard bezog sich damit offensichtlich auf den Linken-Abgeordneten Marcel Bauer, der in der vergangenen Woche von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner aufgrund einer Baskenmütze des Sitzungssaals verwiesen wurde.

Nietzard setzte allerdings vor allem mit dem Slogan „ACAB“ eine klare Provokationsstufe drauf, denn die Abkürzung steht für „All Cops Are Bastards“ („Alle Bullen sind Schweine“). Sie wird vor allem in linken und anarchistischen Kreisen verwendet, um die Polizei zu kritisieren. Mit der Kappe „Eat the rich“ kritisierte Nietzard soziale Ungleichheit und die angebliche Macht der Superreichen. Auch die Linke propagiert mit diesem Slogan die von ihr geforderte Umverteilung und höhere Besteuerung der Vermögenden.

Rainer Wendt polemisiert gegen Jette Nietzard

Vor allem für „ACAB“ erntet Nietzard Kritik, und zwar parteiübergreifend. Besonders für konservative und rechte Kreise ist der Slogan indiskutabel, und auch Polizeivertreter sind empört. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sagte der „Bild“: „Die sogenannte Grüne Jugend ist leider nichts anderes, als ein wohlstandsverwahrloster Haufen von Linksextremisten, dem alles Potenzial für demokratisches Bewusstsein fehlt.“

Wendt selber ist allerdings nicht unumstritten und zog in der Vergangenheit häufig Kritik mit Äußerungen auf sich, die von vielen als rassistisch, mindestens aber rechtspopulistisch gewertet wurden.

Allerdings kommt Kritik auch von Parteien der demokratischen Mitte. Der FDP-Politiker Gert Wöllmann schreibt im Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, solche Aktionen würden die Spaltung der Gesellschaft, die die Grünen angeblich immer kritisierten, vorantreiben.

CSU verlangt Entschuldigung – Kritik auch von Grünen

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert eine umfassende Entschuldigung von Nietzard wegen „Beleidigung unserer Polizisten“. Es handele sich um „dumme Polemik“ der Politikerin, Nietzards Beitrag sei geist- und geschmacklos gewesen, so Herrmann.

Auch aus der eigenen Partei gibt es Widerworte für Nietzard. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck meldete sich mit einem Statement über X: „Für demokratische Politiker:innen inakzeptabel“, so das Urteil Becks.

Inzwischen distanzierte sich auch die Grüne Bundestagsfraktion von Nietzard. „Solche provokanten Einzeläußerungen spiegeln nicht die Position unserer Fraktion und der Partei wider“, sagte der innenpolitische Sprecher Marcel Emmerich dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Polizei verdiene „Respekt und Rückhalt und keine pauschale Abwertung.“ Parteichef Felix Banaszak sagte im RT/ntv-„Frühstart“, niemand bei den Grünen könne sich einer solch pauschalen Beurteilung anschließen. Die Aussage sei „inakzeptabel“.

Nietzard hatte sich auf Instagram später zur Debatte geäußert und darauf hingewiesen, dass es bei der Polizei strukturellen Rassismus gebe, und man wolle offenbar nichts dagegen tun. Sie halte das System für „mehr als nur kritikwürdig“. 

Ist „ACAB“ strafbar?

In der Tat hatte erst wenige Tage zuvor eine von der Antidiskriminierungsstelle beauftragte Studie festgestellt, dass strukturelle und institutionelle Diskriminierung sehr wohl in allen Bereichen der Polizeiarbeit verbreitet ist. Hier sieht die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman großen Handlungsbedarf.

Ob der Slogan „ACAB“ allerdings genutzt werden darf, ist umstritten. Es handelt sich um eine rechtliche Grauzone und hängt vom Kontext ab. Die Abkürzung ist nicht strafbar, wenn es sich um eine allgemeine Meinungsäußerung oder Systemkritik handelt, beispielsweise auf einem T-Shirt oder Graffiti. Es darf auch keine konkrete Person oder eine klar identifizierbare Gruppe gemeint sein. Auf diese Auslegung bezieht sich auch Nietzard selbst, die bei X darauf hinweist, dass es sich um eine „systemkritische Auseinandersetzung mit Polizeiarbeit“ gehandelt habe. 

Anders läge der Fall, wenn „ACAB“ als Beleidigung gegen konkrete Polizeibeamte verwendet wird. Dies ist der Fall, wenn jemand vor einer Polizeikette steht und den Slogan ruft. Auch ein Graffiti auf einem bestimmten Polizeifahrzeug wurde von Gerichten als strafbar gewertet.

Jette Nietzard bedauert „ACAB“-Pulli

Nietzard ruderte inzwischen zurück. Im „Stern“-Podcast „5-Minuten-Talk“ sagte sie nach Angaben vom Montag: „Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg war, um auf die Probleme aufmerksam zu machen“. „Ich besitze diesen Pulli als Privatperson, habe als Privatperson eine Instagram-Story gepostet. Dass ich als Sprecherin der Grünen Jugend damit auffalle, hätte mir vielleicht klar sein müssen“, sagte sie nun dazu. 

Inhaltlich rückte sie jedoch nicht von ihrer harten Polizei-Kritik ab. Nietzard glaubt, dass es zu wenig Transparenz und Aufarbeitung von Gewalt und rassistische Tendenzen im System gebe. Sie habe mit ihrem Pulli eigentlich keinen Diskurs anstoßen wollen. „Jetzt haben wir ihn. Aber ich glaube nicht, dass es der richtige Weg war“, so ihr Fazit. (mit dpa)