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Interview mit Irina von WieseEuropaabgeordnete verliert wegen des Brexits ihren Job

Lesezeit 4 Minuten
DPA_Großbritannien_Brexit

Grobritannien und die EU - und somit auch Deutschland - gehen bald getrennte Wege.

London – 73 britische Europaabgeordnete verlieren am 31. Januar ihren Job, wenn das Königreich offiziell aus der EU austritt, darunter auch die gebürtige Deutsche Irina von Wiese, die für die pro-europäischen Liberaldemokraten Großbritanniens im Europäischen Parlament sitzt. Den Kampf für Europa will die Politikerin trotz Brexit aber keineswegs aufgeben.

Frau von Wiese, der Brexit-Tag am 31. Januar ist Ihr letzter Arbeitstag als Europa-Abgeordnete. Was werden Sie tun?

Ich bin den ganzen Tag für Interviews gebucht und habe deshalb keine Zeit zu trauern. Aber ich denke, ich werde zum Abschied am Abend eine Kerze in mein Fenster stellen, um damit zu zeigen, dass wir weiterhin ein Licht für Europa sein werden.

Wie geht es für Sie weiter?

Das weiß ich noch nicht. Ich werde arbeitslos ab dem 1. Februar sein. Aber ich möchte weiterhin die pro-europäische Stimme Großbritanniens stärken, ob als Politikerin in meiner Partei oder für eine parteiübergreifende Bewegung, hoffentlich für beides. Ich würde gerne auf meiner Arbeit im Parlament aufbauen.

Es waren lediglich sieben Monate, die Sie im Europaparlament saßen. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit und ich will keine Sekunde davon missen. Ich bin so froh, dass wir mit der Fristverlängerung im Oktober diese drei Monate Bonuszeit bekommen haben. Wir haben unglaublich viel erreicht, zum Teil auch deshalb, weil die Brexit-Wolke über unseren Köpfen hing.

Zur Person

Irina von Wiese (52) wurde bei der Europawahl im Mai 2019 für die britischen Liberaldemokraten in London ins Europaparlament gewählt. Die Partei punktete damals vor allem durch ihre äußerst pro-europäische Einstellung. Von Wiese ist stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte.

Die gebürtige Kölnerin zog 1996 ins Vereinigte Königreich und besitzt mittlerweile neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft. Bevor die Juristin in die Politik wechselte, arbeitete sie als Kartellrechtlerin.

Es war wichtig, dass wir als pro-europäische Europaabgeordnete aus Großbritannien vertreten waren und zahlenmäßig bei weitem jene von der Brexit-Partei übertroffen haben. Wir haben lauter als sie geschrien, was eine wichtige Botschaft für unsere europäischen Freunde war.

Diese wissen, dass viele Briten mit einer Stimme für Europa sprechen. Das war von unschätzbarem Wert. Zugleich konnten wir die Gewissheit mit nach Hause nehmen, dass wir fabelhafte Freunde unter den 27 Mitgliedstaaten haben, die ihr Vertrauen in uns setzen und uns stets unterstützt haben. Sie wünschen, dass wir zurückkommen.

Sie klingen äußerst positiv, aber der Kampf der Pro-Europäer ist verloren. In der Nacht zu Samstag tritt Großbritannien aus. Es ist vorbei.

Es ist überhaupt nicht vorbei. Natürlich müssen wir akzeptieren, dass der Brexit nun passiert und bei der Abschiedsfeier der Fraktion sind auch Tränen geflossen. Aber wir sind bereit, den Boden zu bereiten für den Wiedereintritt.

Angesichts der Feierlaune der Brexit-Anhänger klingt das fast etwas realitätsfremd.

Ich bin nicht naiv und glaube auch nicht, dass dies in den nächsten fünf Jahren passieren wird. Aber irgendwann wird es soweit sein, dass Großbritannien wieder Mitglied in der EU wird. Wir müssen den Weg dafür ebnen, was viel Arbeit erfordert. In Großbritannien haben wir heute die größte pro-europäische Bewegung Europas. Drei Mal gingen mehr als eine Million Menschen auf die Straße, um für ihren Platz in Europa einzutreten.

Und natürlich gibt es Möglichkeiten, außerhalb der EU zu kooperieren. Britische Pro-Europäer werden weiterhin zur Debatte beitragen. Ich möchte in London für die Freundschaft zwischen EU und dem Königreich kämpfen. Es ist also keineswegs vorbei, sondern der Start eines neuen Kapitels, das mit unserem Wiedereintritt enden wird. Davon bin ich überzeugt.

Was wird dafür nötig sein?

Wir müssen das Wahlsystem ändern, sonst gibt es keine Chance auf den Wiedereintritt. Ich hoffe sehr auf eine pro-europäische Labour-Führung und dann sollten wir parteiübergreifend eng zusammenarbeiten. Die Bedingung für alles aber ist, dass sich die Menschen aussöhnen. Wenn wir das Land nicht einen, können wir uns das Wiedereintreten abschminken. Wir müssen mit jenen Menschen, die für den Austritt gestimmt haben, reden, uns mit ihnen auseinandersetzen und herausfinden, warum sie so gewählt haben.

Ich glaube, dass viele Gründe nichts mit dem Brexit oder Europa zu tun haben, sondern mit einer tief gespaltenen Gesellschaft. Viele Menschen fühlen sich entfremdet, denken, dass sie nicht mehr gehört werden. Dabei handelt es sich nicht nur um ein britisches Problem, es ist dasselbe in Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden.