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Kaputt durch LangeweileBeamte im Bundesamt für Ausrüstung leiden unter Arbeitsmangel

Lesezeit 4 Minuten
Bundesamt für Ausrüstung

Soldaten vor ihrer Aus­rüs­tung. Für die Be­schaf­fung ist die Koblenzer Behörde zu­stän­dig.

Koblenz – Jürgen P. (Name geändert) hat eine Stelle. Aber keine Arbeit. Keine Mail, kein Anruf, kein Arbeitsauftrag, niemand will etwas von ihm. Einfach nur die Platte putzen in seinem Zehn-Quadratmeter-Büro. Und das nach vielen Dienstjahren für etwa 4100 Euro netto jeden Monat, ein Gehalt, von dem viele Arbeitnehmer im Lande ihr Leben lang nur träumen können. Bezahlt von der Bundesrepublik Deutschland, denn P. ist technischer Beamter in Diensten des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit Sitz in Koblenz. So geht das seit mehr als einem Jahr. Frühmorgens rein, nachmittags raus. Tätigkeit: null. Hoch bezahlt, nicht gefragt.

Dschungel von Beschaffung und Rüstung

Hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht nach ihrem Amtsantritt angekündigt, sie wolle die Bundeswehr zu einem der modernsten Arbeitgeber machen? Und dazu eigens die frühere McKinsey-Managerin Katrin Suder angeheuert, die als Staatssekretärin den Auftrag hatte, den Dschungel von Beschaffung und Rüstung zu lichten. Seit Jahrzehnten pflegt die Rüstungslobby als quasi monopolistischer Anbieter enge Kontakte in die Koblenzer Behörde mit ihren insgesamt knapp 11.000 Dienstposten auf dem Papier, davon 6500 Stellen an den Standorten Koblenz, Lahnstein und Bonn.

In seiner Verzweiflung über seine Nullbeschäftigung bei vollem Salär schaltet der 59-jährige technische Beamte P. Anfang Juli eine Stellenanzeige in der Koblenzer „Rhein-Zeitung“, die dann zuerst über den Fall berichtet. Der Beamte erzählt dem Blatt, er sei mittlerweile in psychiatrischer Behandlung und habe einen Herzinfarkt erlitten. Vor allem: Er sei kein Einzelfall. Mittlerweile ist ein zweiter technischer Beamter aus dem Koblenzer Bundesamt an die Öffentlichkeit gegangen, ebenfalls in der „Rhein-Zeitung“.

Aus Verzweiflung für Auslandseinsätze gemeldet

Der Mann sagt über sich: „Ich war Hartz IV-Beamter.“ Auch dieser Fall liest sich unglaublich. Der Bedienstete, studierter Mechatroniker, war nach eigener Beschreibung völlig fehl eingesetzt. Er musste trotz seiner Qualifikation nur einfachste Sachverhalte prüfen, etwa, ob Software, die das Bundesamt bestellt hatte, auch auf der Rechnung stehe. Wohl gemerkt in einer Behörde, die beklagt, dass 1000 Dienstposten nicht besetzt seien. Auch dieser zweite Bedienstete sucht einen Ausweg und meldet sich in seiner Verzweiflung für Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Aus dem Beamten wird also ein Soldat – bis sich die Rüstungsbehörde meldet. Er sei nicht abkömmlich und müsse zurück ins Amt, so erzählt es der Beamte seiner Zeitung am Ort. Der Fall des 59-Jährigen, der die Stellenanzeige geschaltet hatte, sei sogar „hoch bis zur Ministerin“ gegangen, erzählen sie in Koblenz.

Kaputt durch Langeweile

Der Vorsitzende des Verbandes des technischen Dienstes bei der Bundeswehr, Jens Obermeyer, selbst beim Koblenzer Rüstungsamt beschäftigt, bestätigt unserer Redaktion zum Boreout-Syndrom (chronische Unterforderung) in der Bundesbehörde am Rhein: „Da haben wir eine erkleckliche Anzahl an Mitarbeitern, das stimmt.“ Kaputt durch Langeweile. Obermeyer betont, dass dies für die Gesamtheit der Bediensteten in Koblenz nicht gelte. „Ja, es stimmt, solche Fälle haben wir, aber sie stehen nicht für die 4500 Bediensteten, die in Koblenz beschäftigt sind.“ Bei dem einen „brennt der Baum“, andere wiederum seien unterbeschäftigt. Die Führung bekomme es nicht hin, Arbeit gleichmäßig zu verteilen. Die Organisation sei zu statisch.

„Es kann nicht sein, dass da jemand im Amt sitzt und nichts zu tun hat“, so Obermeyer. Der Verbandschef spricht von einem „eklatanten Führungsversagen“, nicht zuletzt, seit Staatssekretärin Suder 2014 begonnen habe, mit Controlling und Umstrukturierungen die Behörde in Koblenz aufzumischen. Suder hat das Ministerium mittlerweile auf eigenen Wunsch verlassen.

Die Rüstungsbehörde antwortet auf Anfrage schriftlich: „Das Bundesamt für Ausrüstung kommt seinen Aufgaben nach. In den vergangenen vier Jahren sind in den Strukturen und Prozessen der Beschaffungsorganisation aber auch systemische Grenzen erkennbar geworden.“ Die Organisation werde mit dem Ziel überprüft, „ein modernisiertes, transparentes und schneller funktionierendes Beschaffungswesen“ zu schaffen. Der Vorwurf der Unterbeschäftigung sei „haltlos“. Das Amt sei stark ausgelastet: mehr als 10.000 Gesamtprojekte, über 10.000 jährlich geschlossene Verträge.

„Enormes geleistet“

Mit einem Budget von über zehn Milliarden Euro sei das BAAINBw eine der größten europäischen Vergabebehörden. Auch das Ministerium in Berlin verweist darauf, die Mitarbeiter in Koblenz hätten „Enormes geleistet“. Ihnen sei zu verdanken, „dass in den vergangenen vier Jahren fünf Mal so viel Rüstungsvolumen umgesetzt werden konnte wie im Vergleichszeitraum davor“.

Verbandschef Obermeyer weist auf die Palette der Ausrüstung für die Truppe hin, die das Amt vorhalten müsse. „Wir haben einfach alles.“ Von der Atemmaske für den Schäferhund, der mit seinem Herrchen vom Kommando Spezialkräfte aus großen Höhen abspringt, über das Himalaya-taugliche Zelt, Ausrüstung für eine Maultier-Kompanie oder den Großraumtransporter A400M – die Inspekteure der Teilstreitkräfte wollten die gesamte Bandbreite an Ausrüstung und Gerät. Entsprechend groß seien die Aufgaben des Amtes. Obermeyer sagt zur Stimmung im Amt: „Die Führungskultur ist irre schlecht.“ Die beiden Beamten sind derweil abgetaucht. Operation Mailbox. Kein Funkkontakt mehr zur Außenwelt.