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Liebe zur SPDOskar Lafontaine über sein Verhältnis zu Gerhard Schröder

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Schroeder und Lafontaine

Oskar La­fon­taine und Gerhard Schröder

Wir treffen Oskar Lafontaine in seinem Büro in Saarbrücken. Von 1985 bis 1998 war er dort Ministerpräsident mit SPD-Parteibuch, jetzt führt er die Linksfraktion im saarländischen Landtag. Mit ihm sprach Kristina Dunz.

Warum haben Sie 1998 dafür gesorgt, dass Gerhard Schröder SPD-Kanzlerkandidat wurde?

Wir wollten die Regierung Kohl nach 16 Jahren endlich ablösen und wieder den Kanzler stellen. Gerhard Schröder war bei den SPD-Mitgliedern eher unbeliebt, hatte aber eine starke Unterstützung in den Medien. Nach dem Wahlsieg in Niedersachsen sprach alles dafür, dass wir die Bundestagswahl gewinnen würden.

Bereuen Sie ihre Entscheidung für Schröder?

Selbstverständlich. Aber nicht, weil ich ihm bei der Kandidatur den Vortritt gelassen habe, sondern weil seine Entscheidungen für einen völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg und den Sozialabbau viel Leid zur Folge hatten und der SPD, die im Laufe der Jahre die Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verlor, schweren Schaden zugefügt haben.

Wann kam dieses Gefühl das erste Mal auf?

Die Personalentscheidung, Bodo Hombach zum Chef des Bundeskanzleramtes zu machen, war nicht abgestimmt, obwohl wir uns in die Hand versprochen hatten, politische und personelle Entscheidungen von Relevanz gemeinsam zu treffen. Hombach war, wie Schröder wohl später selbst festgestellt hat, für diese Aufgabe nicht geeignet. Er neigte zu Intrigen und Durchstechereien an die Presse. Und als Schröder und Fischer dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg zugesagt hatten, ohne mich zu informieren, war ich bedient.

War Ihr Verzicht auf alle drei Funktionen – SPD-Vorsitz, Finanzminister, Bundestagsabgeordneter – ein Blackout?

Es war eher eine emotionale Überreaktion. Aber Wortbruch und Intrigen sind keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Aber Sie haben der Partei mit dieser abrupten Entscheidung die Probleme vor die Füße geklatscht.

Ich hatte Jahre darauf hingearbeitet, dass es einen politischen Wechsel in Deutschland gibt. In der Wahlnacht hatte ich das Gefühl, dass wir es endlich geschafft haben. Wir hatten die Union geradezu deklassiert. Das war eine große Genugtuung nach den Niederlagen der Jahre zuvor. Und dann schien es so, als sei diese große Anstrengung umsonst gewesen, weil die rot-grüne Politik in eine andere Richtung ging und sich dem neoliberalen Zeitgeist unterwarf.

Zur Person

Oskar Lafontaine wurde 1943 in Saarlouis geboren. Er war Ministerpräsident des Saarlandes, Kanzlerkandidat der SPD, SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister im ersten Kabinett Schröder. Im März 1999 legte er überraschend alle politischen Ämter nieder. 2005 wechselte er von der SPD zur Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die zunächst ein Wahlbündnis mit der PDS einging und 2007 mit dieser zur Partei Die Linke fusionierte. Von 2005 bis 2009 war Lafontaine mit Gregor Gysi Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, von 2007 bis 2010 neben Lothar Bisky Vorsitzender der Partei Die Linke. Seit 2009 ist er Fraktionschef der Linken im Saarbrücker Landtag. Seit 2014 ist er in vierter Ehe mit Sahra Wagenknecht verheiratet. (EB)

Wann kamen bei Ihnen Rachegefühle gegen die SPD auf?

Es gab keine Rachegefühle gegen die SPD. Der SPD, in der ich fast 40 Jahre Mitglied war, fühle ich mich auch heute noch verbunden. Ich hatte eine offene Rechnung mit Schröder und seiner Entourage, und diese war spätestens 2005 beglichen. Leider hat die SPD den historischen Fehler gemacht, 2005 nicht eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden und so wieder den Kanzler zu stellen, obwohl die entsprechende Mehrheit durch den Wahlerfolg der Linken vorhanden war.

Werden Sie sich mit Gerhard Schröder in diesem Leben noch versöhnen?

Der persönliche Groll ist verflogen. Aber mit Sozialabbau und Krieg werde ich mich auch in Zukunft nicht versöhnen.

Haben Sie Interesse an einem Gespräch?

Schröder wird nach all dem was war bei seinen Positionen bleiben. Und ich werde auch nach 20 Jahren kein Loblied auf die Agenda singen.

Haben Sie Interesse an einer Versöhnung von SPD und Linken?

Ich habe Interesse an einer Renaissance der politischen Linken, um das weitere Erstarken der AfD zu verhindern. Deshalb haben wir die überparteiliche Bewegung „Aufstehen“ ins Leben gerufen. Man soll die Erinnerungen an das Ende der Weimarer Republik nicht überstrapazieren. Aber man muss sich immer daran erinnern, wie sich KPD und SPD damals bekriegt haben. Als viele von ihnen später vor den Nazis ins Exil flohen, bereuten sie, dass sie sich nicht zusammengerauft hatten.

Was ist ihre politische Heimat, die SPD oder die Linke?

Ich fühle mich nach wie vor der Brandtschen Sozialdemokratie und ihrer Programmatik verbunden. Er sagte schon vor Jahrzehnten: Politische Demokratie allein gibt es nicht. Soziale und kulturelle Demokratie gehören dazu. Und eine marktwirtschaftliche Orientierung ist nicht an eine spezielle Form von Unternehmensverfassung oder Eigentum gebunden.

Ihre politische Heimat ist also die Politik von Brandt.

Frieden, Abrüstung und soziale Reformen sind Forderungen, die auch heute hochaktuell sind. Zur Bekämpfung der Fluchtursachen setzte sich Brandt für eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe ein. Und zur Zuwanderung meinte er schon damals: Wenn darüber der Zusammenhalt der Gesellschaft, das sozialstaatliche Modell und die Stabilität der Demokratie in Gefahr gerieten, sei auch niemandem geholfen. Eine SPD, die für eine gerechte Rentenformel, eine bessere Arbeitslosenversicherung und höhere Löhne eintreten würde, bekäme wieder mehr Zustimmung in der Wählerschaft und mit ihr könnte man problemlos zusammenarbeiten. Das wäre Wandel durch Annäherung.