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Interview mit Heinen-Esser„Der Handel trägt eine ordentliche Mitschuld“

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Ursula Heinen-Esser (CDU)

  1. In Nordrhein-Westfalen gab es erneut Corona-Ausbrüche in einer Fleischfabrik.
  2. Wir sprachen mit NRW-Landwirtschaftministerun Ursula Heinen-Esser darüber.
  3. Welche Lehren sie aus den Fleischskandalen zieht und was der Handel sowie die Verbraucher tun können, damit sich etwas ändert.

Welche Lehren ziehen Sie aus den Covid-Ausbrüchen in der Fleischindustrie?

Heinen-Esser Dies hat mit Sicherheit etwas mit den Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben zu tun. Hier sind ja schon Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes und zur Abschaffung der Werkverträge in Angriff genommen worden. Aber: Wir müssen auch die Kette der Fleischerzeugung und des Konsums neu denken – vom Stall bis zum Teller.

Selbstverständlich gehen Veränderungen nicht von heute auf morgen.Aber die aktuelle Debatte um die Situation in den Schlachtbetrieben kann einenentscheidenden Anstoß geben, hier einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen.

Muss man die Marktkonzentration aufbrechen?

Heinen-Esser Marktkonzentrationen sind sicher ein Problem. Entscheidend ist, dass wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass eine hohe Lebensmittelsicherheit ebensogewährleistet wird wie hohe Tierschutz-, Sozial - und Arbeitsstandards. Das gilt inNordrhein-Westfalen insbesondere für die 35 großen Schlachtbetriebe.

Und wo beginnt man?

Heinen-Esser Zum Beispiel beim Einzelhandel. Einer der großen Discounter hat jetztPreissenkungen angekündigt, die deutlich mehr ausmachen als dieMehrwertsteuersenkung. Und der Druck geht dann über die Verarbeitung auf die Landwirte zurück.

Hat der Handel den Verbraucher zu den niedrigen Preisen erzogen?

Heinen-Esser So kann man das wohl sagen. Er trägt eine ordentliche Mitschuld an derherrschenden Situation. Werbeslogans wie „Geiz ist geil“ haben vorgegaukelt, dassTop-Qualität zum Schnäppchenpreis zu haben ist. Aber mehr Umwelt- und Tierschutzund gute Bedingungen für die Angestellten gibt es nicht zum Nulltarif.

In anderen Ländern gibt es fairere Preise und eine höhere Wertschätzung. Wir werden deshalbversuchen, haarsträubende Sonderaktionen mit einer Initiative zur Änderung desGesetzes gegen unlauteren Wettbewerb einen Riegel vorschieben. Grundsätzlich istder Verkauf unter Einstandspreis ja bereits untersagt, doch kann dies zu leichtunterlaufen werden. Wir brauchen eine klare Definition des Einstandspreises.

Lebensmittel benötigen faire Preise, das heißt, die ihren Preis wert sind und nichtbillig. Verkaufspreise unterhalb des Einstiegspreises müssen der absoluteAusnahmefall sein.

Gesundheitsminister Laumann hat jüngst den Druck beschrieben, den die Fleischwirtschaft auf die Politik ausübt. Wörtlich hat er gesagt: „Sie glauben gar nicht, wessen Nummer Herr Tönnies alles in der Tasche hat.“ Sind Sie auch schon angerufen worden?

Heinen-Esser Aktuell nicht. Und die Frage ist doch, welches Druckmittel da sein soll. Alles ins Ausland verlagern, können die Unternehmen so einfach nicht. Zudem gibt es innerhalb der EU Mindeststandards. Verlagerung würde zu enormen Steigerungen bei den Transportkosten führen und die Tiere zusätzlichen Strapazen aussetzen. Bei langen Tiertransporten müssten alle Tiere zwischendurch wieder entladen und versorgt werden. Es macht Sinn, dass die Unternehmen in der Nähe der landwirtschaftlichen Betriebe sind.

Wie lässt sich das Tierwohl verbessern?

Heinen-Esser Wir brauchen andere Ställe mit mehr Platz für die Tiere. Soll ein Schwein den ganzen Tag in einer Box stehen oder kann es sich frei bewegen? Die Landwirtschaftskammer baut gerade zwei Musterställe, um zu zeigen, wie das in Zukunft aussehen könnte: der eine als Fortentwicklung der heutigen Ställe, der andere als Beispiel, was alles möglich sein wird in Zukunft. Erfreulicherweise hat der Bund im Rahmen des Konjunkturpaketes 300 Millionen Euro für Stallumbaumaßnahmen in Aussicht gestellt.

Ein Problem sind lange Genehmigungsverfahren. Indem Bundesrecht angepasst wird, können und müssen wir schneller werden. Ein erster Meilenstein wären spürbare Verbesserungen des Tierschutzes in der Sauenhaltung. Hier haben wir im Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet und vorgelegt.

Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie speziell für die Landwirtschaft?

Heinen-Esser Erfreulicherweise ist die Landwirtschaft besser durch die Krise gekommen als andere Branchen. Dank des großen Einsatzes der Landwirtinnen und Landwirte und flankierender politischer Unterstützung gab es bisher keine Versorgungsengpässe.Einzig im Bereich Obst und Gemüsen gab es zu Beginn Probleme. Bei Gemüse haben wir mit etwa 40 Prozent keinen hohen Selbstversorgungsgrad und sind auf Importe angewiesen. Und Corona kam ja zum Saisonauftakt etwa der Spargel- oder Rhabarber-Ernte. Auch Kohl, Salate oder Lauch mussten gepflanzt werden. Da hatten wir dann das Problem der ausbleibenden Saisonarbeitnehmer.

Die Horst Seehofer (CSU) nicht ins Land lassen wollte. Haben Sie ihm das übelgenommen.

Heinen-Esser Ich hätte mir da mehr Realitätsnähe gewünscht.

Corona hat auch die Bauernproteste zu Beginn des Jahres erst einmal wieder beendet. Sehen Sie das damals vorgebrachte Problem, dass es eine grundsätzlich feindliche Stimmung gegenüber der Landwirtschaft gibt?

Heinen-Esser Ich erlebe beides – Bauern-Bashing und Solidarität. Auch hier ist ein ambivalentes Verhalten zu beobachten: An der Fleischtheke greifen die Verbraucher zum Schnäppchen, in Umfragen fordern sie mehr Umwelt- und Tierschutz und kritisieren Landwirte, nicht genug zu tun. Doch die Landwirtschaft bewegt sich, dabei müssen wir sie unterstützen. Oftmals herrscht in der Gesellschaft ein extrem verzerrtes Bild von Landwirtschaft. Ich kann nur dazu einladen, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Das ist die Grundlage für einen fruchtbaren Dialog, zum Beispiel zum hema Gülle und Grundwasserqualität.

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Kritik gab es diesbezüglich vor allem an den Gülleimporten aus den Niederlanden.

Heinen-Esser Durch konsequente Kontrollen und Sanktionen sind die Gülleeinfuhren aus den Niederlanden in den vergangenen drei Jahren um etwa 30 Prozent zurückgegangen. Da gab es viel kriminelle Energie. Zum Beispiel haben wir 1500 Adressen von Gülleempfängern überprüft und festgestellt, dass etwa 500 gar keine Gülleabnehmer waren, sondern Eisdielen oder Rechtsanwaltskanzleien. Die Landwirtschaftskammer hat gegen einen Güllehändler vom Niederrhein ein Bußgeld von 1,35 Millionen Euro verhängt. Das schreckt ab.

Und was ist mit den legalen Transporten?

Heinen-Esser Auch die sind zurückgegangen.

In Köln gibt es eine Einigung mit der Umwelthilfe. Hat die Landesregierung die Klagefreudigkeit der Organisation unterschätzt?

Heinen-Esser Ich kann die Beweggründe der DUH durchaus nachvollziehen. Die Luftqualitätsrichtlinie gibt es seit 2010. Und trotzdem haben alle die Hände in denSchoß gelegt – auch die rot-grüne Vorgängerregierung. Der Zusammenhangzwischen hohen Stickstoffdioxid-Werten und Atemwegserkrankungen ist ja wissenschaftlich belegt.

Also musste etwas passieren, um die Luftqualität zuverbessern und zugleich Dieselfahrverbote zu verhindern. Wir können ja nicht jahrelang die Leute aus CO2-Gründen zum Dieselkauf animieren und dann sagen: April, April! Jetzt gibt es klar vereinbarte Maßnahmen, um die Stickstoffdioxidwerte einzuhalten und Mobilität der Zukunft zu gestalten.

Corona hat da doch sicher bei den Werten geholfen.

Heinen-Esser Ja, das geringere Verkehrsaufkommen hat zu einer Abnahme der Belastungen geführt. Aber wir reden dabei über wenige Wochen. In 12 von insgesamt 14 Klageverfahren der Deutschen Umwelthilfe haben wir mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen vereinbart. Unser Ziel ist es, mit effektiven Luftreinhalte-Maßnahmen und ohne Fahrverbote die Werte allerorts dauerhaft sicherzustellen.

Gibt es weitere noch anhängige Klagen?

Heinen-Esser Aachen und Düsseldorf stehen noch aus.