Kommentar zu den Vorgängen in ThüringenPolitischer Großschaden in nur 24 Stunden

Eine Frau mit einem Schild "Schämt euch" demonstriert gegen die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten von Thüringen.
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- Der Rücktritt des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich nach einem Tag im Amt war zwingend.
- Dennoch haben zwei bürgerliche Parteien die Brandmauer nach ganz rechts eingerissen.
- Wer hält den Erschütterungen stand?
Es waren nur 24 Stunden, aber sie reichten für einen politischen Großschaden, der sich vielleicht nie wieder reparieren lässt. Das Desaster von Thüringen, ein politisches Schmierentheater der besonders üblen Art, beschädigt nicht nur CDU und FDP. Das Ansehen der Politik, ja das Vertrauen in die Demokratie, wurde von den Akteuren in den Schmutz gezogen. Für die beiden bürgerlichen Parteien gibt es fortan eine neue Zeitrechnung: vor dem 5. Februar 2020 und nach dem 5. Februar 2020. Die Ereignisse von Thüringen haben die ganze Republik mitgerissen und hinterlassen nur Verlierer und Versehrte – und eine Gewinnerin: die AfD.
Der Rücktritt des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich nach einem Tag im Amt war zwingend. Auch der Antrag seiner Fraktion auf Neuwahlen ist folgerichtig. Das kann den Tabubruch nicht rückgängig machen: Die Wahl zum Ministerpräsidenten anzunehmen in dem Wissen, dass die – in Thüringen besonders rechtslastige – AfD die Mehrheit besorgt hat. Viel spricht dafür, dass Kemmerich wusste, wie die Truppe von Fraktionschef Björn Höcke abstimmen würde. Ein Mann, der Pluralismus und Demokratie offen verachtet.
Brandmauer nach ganz rechts eingerissen – Doch der Damm hält
Auch die Thüringer CDU hat sich schuldig gemacht, indem sie mit der AfD paktiert. Zwei bürgerliche Parteien haben die Brandmauer nach ganz rechts eingerissen. Die Erschütterungen, die die Skrupellosen von Erfurt ausgelöst haben, schütteln auch die Bundesparteien durch. CDU und FDP brennen lichterloh. Deren Chefs, Annegret-Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner, haben massiv an Autorität verloren – oder aber es ist klar geworden, wie wenig Autorität sie wirklich haben.
Kramp-Karrenbauer hat zwar schnell die Vorgänge in Thüringen verurteilt und Neuwahlen gefordert. Glaubhaft machte sie die Position der Bundes-CDU klar, dass die Partei niemals mit der AfD zusammenarbeiten werde. Aber wie viel ist das wert, wenn sie eingestehen muss, dass sich ihr thüringischer Landesverband darüber hinweggesetzt hat? Gefährlicher ist die Lage noch für FDP-Chef Lindner. Er gibt in dem Desaster eine besonders fragwürdige Figur ab. Er wird dem Parteivorstand, dem er an diesem Freitag die Vertrauensfrage stellen will, einiges erklären müssen.
Eine positive Erkenntnis brachten die Ereignisse von Erfurt aber dann doch noch. Erst der Aufschrei in der Bevölkerung, in den eigenen Reihen, in Kirchen und in der Wirtschaft brachte die Parteien dazu, den Tabubruch rückgängig machen zu wollen. Der Reflex, nie wieder eine Rechtsaußen-Partei in Staat und Ämter zu lassen, funktioniert in weiten Teilen der Gesellschaft noch. Der Damm hat gehalten.