Seit Mitte 2024 sind in Deutschland mehrere neue rechtsextremistische Gruppen entstanden. Das hat womöglich auch mit der Corona-Pandemie zu tun.
Störaktionen und StraftatenRechte Jugendgruppen wachsen schnell – und sind bundesweit vernetzt

Mehrere CDS-Veranstaltungen waren zuletzt begleitet von Aktionen rechter Gruppen, wie hier in Bautzen. (Archivfoto)
Copyright: Sebastian Willnow/dpa
Binnen eines Jahres sind in Deutschland mehrere rechte Jugendgruppen mit insgesamt mehreren hundert Anhängern entstanden, die teils auch vor schweren Gewalttaten nicht zurückschrecken. „Die Polizeibehörden aus Bund und Ländern beobachten seit etwa Mitte vergangenen Jahres, dass in der rechten Szene neue Jugendgruppen in Erscheinung getreten sind, die sich zunächst im virtuellen Raum gegründet haben“, teilte ein Sprecher des Bundeskriminalamts (BKA) auf Anfrage mit. Diese fielen inzwischen vermehrt durch Veranstaltungen, Straftaten und Störaktionen auf.
Die größte dieser Gruppen ist nach Angaben aus Sicherheitskreisen „Jung und Stark“ mit einer Anhängerzahl im mittleren dreistelligen Bereich. Schätzungsweise mehr als hundert Menschen fühlen sich der Gruppe „Deutsche Jugend Voran“ zugehörig. Zu den zahlenmäßig relevanten Vereinigungen zählt auch „Der Störtrupp“. Die Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als acht ihrer mutmaßlichen Mitglieder in Untersuchungshaft kamen. „Die Jugendgruppierungen sind bundesweit vernetzt und setzen sich aus verschiedenen regionalen Ablegern zusammen“, sagte ein BKA-Sprecher.
Proteste gegen CSD-Paraden vom Nachwuchs der Partei „Die Heimat“
Plattformen wie Tiktok, Instagram und Youtube würden genutzt, um neue Mitglieder zu rekrutieren und für Aktionen zu mobilisieren – vor allem für Gegendemonstrationen zu Christopher-Street-Day-Veranstaltungen und für Aktionen, die sich gegen „Demos gegen rechts“ richten. Polizeilich seien Mitglieder dieser Gruppen bislang mit Propagandadelikten und Gewalttaten in Erscheinung getreten.
Während der Verfassungsschutz der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) in seinem Jahresbericht 204 weiterhin eine „markante Mobilisierungsschwäche“ attestiert, beobachtet er bei der Nachwuchsorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) einen deutlichen Zuwachs sowohl der Anhängerschaft als auch des Aktivitätsniveaus. „Ein gewaltsamer Übergriff auf den sächsischen Spitzenkandidaten der SPD im Europawahlkampf durch Angehörige und Personen aus dem Umfeld des Dresdener JN-Stützpunkts Elblandrevolte unterstreicht die Radikalität in Teilen des Jugendverbands“, heißt es in dem Bericht.

Insgesamt sitzen inzwischen acht mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremistischen Vereinigung „Letzte Verteidigungswelle“ in Untersuchungshaft.
Copyright: Bernd Wüstneck/dpa
Gegen die „Letzte Verteidigungswelle“ waren Ermittler im Mai mit einer bundesweiten Razzia vorgegangen. Die Bundesanwaltschaft ließ fünf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen festnehmen.
Brandanschläge und Nazi-Sprüche sowie Gewalttaten in Berlin
Mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen habe die Gruppe das demokratische System der Bundesrepublik zum Zusammenbruch bringen wollen, so die Bundesanwaltschaft. Zwei der Beschuldigten sollen versucht haben, ein Asylbewerberheim in Schmölln in Thüringen in Brand zu setzen – allerdings ohne Erfolg. An die Unterkunft sprühten sie dann den Angaben nach unter anderem „Ausländer raus“ und „NS-Gebiet“. Im Januar sollen drei mutmaßliche Mitglieder der Gruppe einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Senftenberg im Süden Brandenburgs geplant haben. Anhänger der Gruppe stehen zudem im Verdacht, den Brandanschlag auf ein Kulturhaus im brandenburgischen Altdöbern im Oktober verübt zu haben.
In einem Berliner Prozess gestand ein 24-Jähriger, der nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden in Berlin und Brandenburg eine leitende Funktion in der Gruppe „Deutsche Jugend Voran“ hat, die ihm vorgeworfenen Taten und äußerte Reue. Der Mann, der zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, hatte mit weiteren mutmaßlichen Neonazis Menschen attackiert, die Kleidung mit „Antifa“-Emblemen trugen.

Auf das Kulturhaus in Altdöbern wurde ein Brandanschlag verübt. (Archivfoto)
Copyright: Frank Hammerschmidt/dpa
Zu den Feindbildern der neuen rechten Jugendgruppen zählen neben als „politische Gegner“ identifizierten Menschen unter anderem die LGBTQ-Community sowie Zuwanderer. Bei einzelnen Gruppen spiele „Ausländerfeindlichkeit“ eine Rolle und auch die Verwendung von Symbolik des Nationalsozialismus, sagte ein BKA-Sprecher. Antisemitismus sei bei den rechten Jugendgruppen jedoch insgesamt „kein prägendes Element“.
Wenn Eltern, Lehrer oder Freunde Hilfe suchen, weil sie merken, dass Jugendliche in rechtsextreme Gruppen abgleiten, ist es oft schon zu spät. Häufig würden Radikalisierungsprozesse nicht erkannt, oder es werde zu lange versucht, das Problem selbst zu lösen, so ein BKA-Sprecher.
Das sind die Erklärungsversuche des Bundeskriminalamts
Dass sich soziale Aktivitäten mit der Corona-Pandemie stark in den digitalen Raum verlagert hätten, habe extremistischen Akteuren eine „gute Andockstelle“ für die Verbreitung ihrer Ideologie verschafft, fügte er hinzu. Erfahrungen von Vereinzelung und Ohnmacht würden typischerweise über die Suche nach Gewissheit sowie einem „leistungsunabhängigem Zugehörigkeitsgefühl“ bewältigt, sagte er weiter.
Bestärkt durch Dauerkrisen, aber auch durch „das Einsickern rechtsextrem ideologischer Versatzstücke in gesellschaftliche Diskurse, wird die Gefahr einer wahrgenommenen Verschiebung sozialer Normen begünstigt“. Das beeinflusse wiederum auch das Verhalten des Einzelnen. Wenn rechtsextreme Akteure durch öffentliche Rhetorik oder digitale Mobilisierung den Eindruck vermittelten, diskriminierende Haltungen seien normal oder legitim, sinke bei dafür empfänglichen Menschen die Hemmschwelle für Gewalt. (dpa)