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Rundschau-Frage des TagesStehen die Bauern zu Unrecht am Pranger?

Lesezeit 4 Minuten
Dünger

Dünger wird auf einer Ackerfläche ausgebracht.

  1. Mit massiven Demonstrationen haben die Bauern in den vergangenen Wochen ihren Unmut in die Großstädte getragen.
  2. Sie klagen über immer mehr Reglementierung – auch bei der Düngung der Felder

Beim Grundwasserschutz liegen Brüssel und Berlin seit Jahren über Kreuz. Es geht vor allem um Gülle und anderen Dünger auf den Feldern. Viele Bauern fühlen sich von den Vorgaben aus Brüssel gegängelt. Aber stehen sie vielleicht zu Unrecht in der Kritik?

Deutschlands Bauern sind zornig: Erst 2017 waren die Düngevorgaben geändert worden – und schon drohen auf Druck aus Brüssel weitere Verschärfungen. Wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser hatte die EU-Kommission Berlin verklagt und 2018 beim Europäischen Gerichtshof Recht bekommen. Deutschland drohen hohe Strafzahlungen, die Bundesregierung muss Maßnahmen ergreifen, um das zu verhindern. Bauernverbände wiederum beklagen „praxisfremde Gängelei“. Wie groß ist die Gefahr für Mensch und Umwelt?

Sind die Bauern allein für die zu hohen Nitrat-Werte verantwortlich?

Für die Fruchtbarkeit des Bodens und die Nährstoffversorgung der Pflanzen ist der Einsatz von Stickstoffdünger unerlässlich – auch um die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern. Denn Stickstoff gilt als Grundbaustein der Natur und ist für alle Lebewesen unentbehrlich. Nitrat ist eine Stickstoffverbindung, die Pflanzen direkt aufnehmen können. Ihre Aufnahmekapazität jedoch ist begrenzt. Überschüsse belasten daher Böden, Gewässer und die biologische Vielfalt.

Umweltforscher lassen keinen Zweifel daran, dass diese Überschüsse in erster Linie auf das Konto von Ackerbau und Viehzucht gehen: Für rund 57 Prozent des hierzulande in die Umwelt gelangenden Stickstoffs sei die Landwirtschaft verantwortlich, heißt es beim Umweltbundesamt (UBA). „Verkehr, Industrie und Siedlungsabwasser verursachen je 13 - 14 Prozent.“ Wesentliche Ursache: das Düngen von Feldern und Wiesen mit Gülle, den Fäkalien aus der Fleischproduktion.

„Die Überschüsse sind auf eine Vielzahl von Einflussfaktoren und Quellen für Stickstoff zurückzuführen, gleichwohl ist die Landwirtschaft unzweifelhaft der Hauptverursacher“, stellt auch ein Gutachten für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fest. Der Verband kritisiert die Nitratbelastung des Grundwassers und die daraus resultierenden Kosten etwa zur Aufbereitung von Trinkwasser. Landwirte fürchten, strengere Vorschriften könnten zur „Unterdüngung“ ihrer Pflanzen führen.

Ist das Nitrat im Grundwasser eine Gefahr für den Menschen?

Nitrate an sich sind gesundheitlich zwar relativ unbedenklich, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erläutert. Durch Bakterien aber können sie schon in Lebensmitteln oder beim Verdauungsprozess in gesundheitsschädliches Nitrit umgewandelt werden, das unter anderem die Sauerstoffversorgung von Säuglingen gefährdet. Im menschlichen Körper können Stoffe wie Nitrosamine entstehen, die sich in Tierversuchen als krebserregend erwiesen haben. Wie groß die Gefahr für den Menschen tatsächlich ist, wird noch untersucht.

Das BfR rät aber, die Aufnahme von Nitrat beim Menschen so weit wie möglich zu reduzieren. Als zumutbare tägliche Menge hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Wert von 3,7 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt.

Um den Nitratgehalt in Gemüse und Salaten zu senken, fordert das BfR unter anderem, den Einsatz von Düngemitteln zu reduzieren und mehr Gemüse im Freiland anzubauen. Denn Licht und Frischluft senken den Nitratgehalt der Pflanzen.

Sind die aktuellen Nitrat-Grenzwerte ausreichend?

„Trinkwasser ist das bestüberwachte Lebensmittel“, heißt es beim Umweltbundesamt. Der für Nitrat auf europäischer Ebene festgelegte Grenzwert von 50 Milligramm je Liter werde in Deutschland praktisch flächendeckend eingehalten. schreibt die Behörde. Für unser Grundwasser gilt das aber wohl nicht: Denn in der Nähe landwirtschaftlicher Nutzflächen weisen rund 28 Prozent der Messstellen zu hohe Nitratwerte auf.

Das geht aus dem zuletzt 2016 veröffentlichten Nitratbericht hervor, den die Bundesregierung der Europäischen Kommission alle vier Jahre vorlegt. Laut Bundesumweltministerium hat sich der Zustand des Grundwassers in Deutschland in den vergangenen Jahren „nicht wesentlich verbessert“. Das Umweltbundesamt rät zum Umdenken: „Die ökologische Landwirtschaft entlastet Grund- und Oberflächengewässer, weil keine mineralischen Stickstoffdünger und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden dürfen.“

Überschüssiges Nitrat sickere mit dem Regenwasser in tiefere Bodenschichten, argumentiert der Bauernverband. Durch Fixierung im Boden und chemische Prozesse gelange letztlich nur ein kleiner Teil ins tiefe Grundwasser.

Doch die Wasserversorger warnen vor steigenden Kosten für den Verbraucher. Denn um gutes Trinkwasser zu gewinnen und mit Nitrat belastetes Grundwasser aufzubereiten, setzen sie auf kostenintensive technische Verfahren.

„Nitrat aus dem Wasser zu entfernen ist teuer“, stellt auch das UBA in einer Studie von 2017 fest: Bekomme Deutschland das Nitratproblem nicht in den Griff, müssten Verbraucher für sauberes Trinkwasser mit „erheblichen Preissteigerungen“ rechnen. (dpa)