Straßenblockaden fürs KlimaSind die Aktivisten Chaoten oder Weltretter?

Klimaaktivisten blockieren die Zufahrt zur Brücke.
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Bei der jüngsten Protestaktion haben die Klimaretter mit Rapsöl und Sitzblockaden auf der Köhlbrandbrücke die Warenzufuhr zum Hafen in Hamburg massiv gestört. Am Nachmittag stieg ein Mitglied sogar ins Hafenbecken, um Schiffe zu stoppen. Der „Aufstand der letzten Generation“ machte damit die Drohung war, ohne ein Einlenken der Politik nach den Autobahnblockaden der letzten Wochen die „empfindliche Infrastruktur“, also Häfen, Flughäfen und Industrieanlagen zu attackieren.
Die Regierung reagiert hilflos, von der Opposition kommen Rufe nach Strafmaßnahmen für die Aktivisten. Eine weitere Radikalisierung scheint nicht ausgeschlossen, schon ist von einer „grünen RAF“ die Rede.
So haben die Klima-Protestaktionen begonnen
Die Aktionen begannen schon im Bundestagswahlkampf: Zwei Dutzend Aktivisten campierten vor dem Kanzleramt und traten in den „Hungerstreik der letzten Generation“. Die Protagonisten damals waren Hennig Jeschke (22) und Lea Bonasera (24), die ein Gespräch mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten erzwangen, weil sie selbst flüssige Nahrung verweigerten.
Nach dem Antritt der Ampelregierung in Berlin entstand der „Aufstand der letzten Generation“, der der Koalition aus SPD, FDP und Grünen ein „massives Greenwashing“ vorwirft: „Auch Klimaschutzminister Robert Habeck tut nur so, als wolle er das Klima schnell genug schützen“, sagte Sonja Manderbach (45), eine Sprecherin der Gruppierung, unserer Redaktion.
„Die Bevölkerung wird beruhigt, indem man sie glauben lässt, das Tempo reiche. Aber uns bleiben nur drei Jahre, um den Kollaps abzuwenden.“ Erste Aktion war ein Farbanschlag auf das Bundeskanzleramt am 14. Dezember: „Essen Retten Agrarwende Gesetz jetzt! 2030“ schrieben sechs Aktivisten. Die Regierung soll in ihren ersten 100 Tagen ein „Essen-retten-Gesetz“ beschließen, das Supermärkten verbietet, Nahrungsmittel wegzuwerfen. Am 24. Januar starteten die Blockaden an Autobahnzufahrten in Berlin. Es folgten ähnliche Aktionen in Berlin, Bayreuth, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Hamburg, München und Stuttgart.
Wer macht bei den radikalen Klimaschützern mit?
„Erst 30, jetzt mindestens hundert, und morgen werden wir mehr sein“, prophezeite Barbara Hinrichs (25) vor zehn Tagen. Einen genauen Überblick hat auch sie aber nicht, weil viele Proteste spontan sind, Menschen mal mitmachen und mal nicht. Zu den Aktivisten der ersten Stunde gehört auch Sonja Manderbach, die ihre Tochter und ihren Mann in Oldenburg zurückließ, ihren Job ruhen ließe und „auf unbestimmte Zeit“ nach Berlin zu gehen und „gewaltsamen Widerstand“ zu leisten. Das begann damit, Essen aus Supermarkt-Containern zu holen und zu verteilen, und endete inzwischen mehrfach in Einzelzellen der Berliner Polizei. Auf der Homepage der Gruppe stellen sich viele Mitglieder mit Foto und Eigenbeschreibung dar.
Blockade in Hamburg
Klimaaktivisten vom „Aufstand der letzten Generation“ haben am Montag im morgendlichen Berufsverkehr mehrere Straßen rund um die Hamburger Köhlbrandbrücke blockiert und für einen langen Stau gesorgt. Mehr als 30 Demonstranten trafen sich im Hafengebiet. Auf dem Scheitelpunkt der wichtigen Verkehrsachse im Hafen hätten sich vier Menschen auf der Fahrbahn festgeklebt, weitere 19 Menschen auf der Westrampe der Brücke, wie ein Polizeisprecher sagte. Dazu nutzten sie Sekundenkleber und Bauschaum.
Im Bereich der Kattwykbrücke klebten sich zwei weitere Menschen fest. Außerdem sollen Aktivisten auf der Köhlbrandbrücke mehrere Kanister Öl auf der Straße verteilt haben. Auf Bildern war zu sehen, wie Polizisten die festgeklebten Hände der Aktivisten mit einer Chemikalie und Holzspachteln vom Asphalt lösten. Nach mehr als drei Stunden hatten die Einsatzkräfte die Menschen von der Fahrbahn gelöst und die Straße wieder gereinigt. (dpa/afp)
Was sind die Ziele der grünen Aktivisten?
Konkreteste Forderung ist ein „Leben-retten-Gesetz“, dass Supermärkten das Wegwerfen verzehrbarer Nahrungsmittel verbieten soll. Eine sofortige Agrarwende soll dafür sorgen, dass die Landwirtschaft weniger Klimagase ausstößt. Auch dafür wird ein konkreter Fahrplan verlangt. Im Kern geht es um sofortige Klimaschutzmaßnahmen, um einen „Klimakollaps“ zu verhindern.
Die Gruppierung beruft sich auf Klimawissenschaftler wie den Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung Ottmar Edenhofer, der die Welt auf dem Weg zu einer Erhitzung um vier Grad sieht. Übergeordnetes Ziel ist die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens, wonach der Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. Nach Überzeugung der Gruppe bleiben nur noch drei, maximal vier Jahre Zeit, um dafür die politischen Weichen zu stellen.
Wie radikal ist der „Aufstand der letzten Generation“?
Demonstrationen und Appelle wie von der „Fridays for Future-Bewegung“ reichen der „letzten Generation“ nicht mehr aus. Die Untätigkeit der Politik rechtfertige nicht nur den zivilen Ungehorsam, sie machen ihn „notwendig“, sagt Aktivisten Manderbach. Und weil die Autobahn-Blockaden nicht ausreichten, werden nun Häfen, Flughäfen und Industrieanlagen ins Visier genommen, weil all diese für ein fossiles „Weiter so“ stünden.
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Dass die Aktivisten inzwischen regelmäßig in polizeiliches Gewahrsam genommen werden, mit Geldbußen rechnen müssen, schreckt sie nicht. Sie sei mit dem Bewusstsein nach Berlin gekommen, „für ein, zwei, drei Wochen im Gefängnis zu landen“, sagt Kirchenmusikerin Manderbach. Ihr Limit und das der ganzen Gruppe ist die Gewaltfreiheit. Auch den teils wütenden Protest ausgebremster Autofahrer bis hin zu Tätlichkeiten nehmen die Mitglieder hin. „Natürlich habe ich Angst vor Repression, Polizeigewalt, Straftaten und Gefängnis. Wenn es uns aber gelingt die Politik endlich aufzurütteln, dann ist es das wert!“, schreibt Edmund (58) über sich selbst.