81-Jährige und 19-Jähriger im InterviewWie Vorfreude die Hoffnung am Leben hält
Köln – Vorfreude ist die schönste Freude, sagt nicht nur der Volksmund. Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass es die Stimmung hebt, wenn wir schönen Ereignissen entgegenfiebern. Das gilt für Weihnachten genauso wie für den nächsten Urlaub, für das rauschende Fest wie für ruhige Tage mit den Liebsten. Mit der Vorfreude beginnt schon die Erholung, haben niederländische Wissenschaftler 2019 herausgefunden. Das Ergebnis ihrer Studie mit 1 530 Befragten: Künftige Urlauber sind glücklichere Menschen. Etwa acht Wochen hält das Hochgefühl meist an, durch das uns die Corona-Pandemie einen Strich macht.
„Es ist wie eine große Welle, die uns alle erfasst hat“, findet Christa Fischer. Und die inzwischen 81-jährige Bonnerin fragt sich, wann die Welle im sprichwörtlichen Sinne auf den Strand trifft und im Sande verläuft. Denn diesem Moment fiebert sie entgegen, um doch noch ihren 80. Geburtstag mit einem großen Fest zu feiern. Einem Fest, das bisher wegen der Pandemie ins Wasser gefallen ist und das die pensionierte Lehrerin so gerne mit ihrem Mann Jochen, dem Sohn, der Schwiegertochter, den drei Enkeln und ihrem großen Freundeskreis feiern wollte.
Die lebenslustige Frau trägt es mit Fassung: „Wir haben es gut und sind gesund.“ Und dennoch vermisst sie viele lieb gewonnene Aktivitäten, die ihr Corona jenseits des Geburtstagsfestes genommen hat. „Es ist so vieles, was nicht funktioniert“, sagt sie und denkt an Theater- und Konzertbesuche, Urlaube, Essen im Restaurant, aber auch an ihr Ehrenamt in der Trauer- und Sterbebegleitung von Kindern, das sie nach mehr als 30 Jahren als Grundschullehrerin an der Kreuzbergschule übernommen hat. „Das fehlt mir schon sehr“, sagt sie und schildert, wie sie mit dem Beginn der Pandemie auf einen Schlag ihren Einsatz für die Initiative „Trau Dich trauern“ am früheren Malteserkrankenhaus einstellen musste, die Kinder und Jugendliche begleitet, wenn nahe Verwandte gestorben sind. „So wollte ich nicht aufhören“, macht Christa Fischer klar, dass sie auch nach der Pandemie etwas „von meinem guten und erfüllten Leben weitergeben will“.
Und natürlich endlich ihren 80. Geburtstag nachfeiern, aus dem vielleicht schon der 82. oder 83. geworden sein kann, bis „alles wieder normaler zugeht“. Bis dahin genießt sie die Vorfreude darauf, endlich wieder unter Menschen zu sein. „Denn das ist es, was mir am meisten fehlt.“
Gerade in einer Krise wie jetzt sei es besonders wichtig, Vorfreude zu empfinden, sagt die Glücks- und Motivationsforscherin Michaela Brohm-Badry von der Universität Trier in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Vorfreude kann wirklich glücklich machen, denn durch Vorfreude entsteht Hoffnung. „Wenn wir Vorfreude empfinden, schwingt dabei immer auch das Gefühl der Hoffnung mit, dass es zukünftig schöner sein wird“, erklärt Brohm-Badry. Hoffnung sei eines der wertvollsten Gefühle, die wir Menschen empfinden können, das zeigten auch viele Untersuchungen.
Darunter eine Studie der Unikliniken Bonn und Köln, die Menschen mit bis dato nicht therapierbaren Depressionen Anlass zur Hoffnung gibt. Der Bonner Psychiatrie-Professor Thomas E. Schläpfer und sein Kölner Kollege Volker Sturm haben dafür die zuvor in zwei Hirnarealen erprobte tiefe Hirnstimulation an drei Patienten erweitert. „Wir haben dagegen eine dritte Region stimuliert, den sogenannten Nucleus accumbens“, erklärt Schläpfer. Dieser ist ein wichtiger Teil des so genannten „Belohnungssystems“, das dafür sorgt, dass wir uns gute Erfahrungen merken und uns in einen Zustand der Vorfreude versetzt. Ohne Belohnungssystem würden wir keine Zukunftspläne schmieden, weil wir die Früchte dieser Pläne nicht genießen könnten, heißt es in einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Bonn, die 2007 anlässlich einer Veröffentlichung der Studie in der Fachzeitschrift Neuropsychopharmacology herausgegeben wurde. Die Forscher implantierten Elektroden in den Nucleus accumbens, die sie über einen elektrischen Pulsgeber in der Brust reizen konnten.
„Inaktivität und Genussunfähigkeit sind zwei wichtige Kennzeichen einer Depression“, betont Professor Schläpfer. „Die Vermutung liegt also nahe, dass der Nucleus accumbens bei der Entstehung der Krankheit eine Schlüsselrolle spielt.“ Und wahrhaftig habe sich der Zustand der drei Probanden, zwei Männer und eine Frau, binnen weniger Tage unter der Stimulation verbessert. Erste Anzeichen seien sogar schon binnen Minuten zu verzeichnen gewesen. Antrieb und Unternehmungslust kehrten zurück.
„Einer der Patienten äußerte schon eine Minute nach Beginn der Stimulation den Wunsch, den Kölner Dom zu besteigen, und setzte ihn am nächsten Tag in die Tat um“, sagt Schläpfer. „Ganz ähnlich die behandelte Frau: Sie sagte, es würde ihr wieder Spaß machen, Kegeln zu gehen.“
Je öfter wir uns auf etwas freuen können, desto besser, lautet die Gleichung der Glücksforscherin Brohm-Badry. Menschen, die im Jahr vier oder fünf Kurzurlaube machen, seien beispielsweise nachweislich glücklicher als diejenigen, die nur ein bis zwei größere Reisen im Jahr unternehmen. Denn wenn wir uns auf einen Moment in der Zukunft so richtig freuen, dann trickst unser Gehirn unseren Körper aus. Die Vorfreude projiziert künftig zu erwartende Glücksgefühle in die Gegenwart, was mit der Ausschüttung von Endorphinen einhergeht. Die Folge sei ein Glücksgefühl, dass wir so normalerweise nur im Moment des Erlebens spüren, erklärt die Wissenschaftlerin. Quasi ein mentaler Vorschuss auf spätere Erlebnisse, der noch nicht mal Gefahr läuft, von der Realität beeinträchtigt zu werden. Gefreut ist gefreut. So einfach ist das.
Ein vertagtes Jahresprogramm als Quell unendlicher Vorfreude und nicht mehr als Verlust zu sehen, verändert die Perspektive. Eigentlich egal, wann der Osterurlaub mit den Freunden im Ferienhaus in Apulien klappt. Schön wird er bestimmt. Und der Skiurlaub in den Dolomiten macht auch Silvester 2021/22 Spaß. Auch wenn in diesem Jahr die Schneelage auf der Alpensüdseite besonders gut gewesen wäre.
Aufgeschoben ist in solchen Fällen eben nicht aufgehoben. Ganz anders als bei David Bongartz, der in diesem Jahr sein Abitur am Collegium Josephinum in Bonn gemacht hat. Eine Zitterpartie. Und zwar dieses Mal nicht nur wegen des Lernens und dem Kampf um gute Noten. Für den 19-jährigen Poppelsdorfer stand lange Zeit in den Sternen, ob und wie die Prüfungen selbst ablaufen würden. „Am Anfang war es ein hin und her“, erinnert er sich. „Es hieß abwarten und E-Mails lesen.“ Während seine Mathe-Vorbereitungen im größten Raum der Schule über die Bühne ging, fand der Physik-LK auf den letzten Metern vor den Prüfungen als Videokonferenz statt.
Das Lernen funktionierte irgendwie, musste das Feiern unter den Tisch fallen. Wie seine Mitschüler musste der Abiturient auf eine Mottowoche und eine rauschende Abifeier verzichten. Alles gestrichen. Ersatzlos. Denn das Abitur ein Jahr später zu feiern, das war keine Option. Die Freunde in alle Winde verstreut. Die Situation nicht reproduzierbar. Und selbst der Notfallplan, den ursprünglich gemeinsam mit der Ursulinenschule in Köln geplanten Abiball in abgespeckter Form durch ein Grillfest auf dem Schulhof zu ersetzen, fiel am Ende ins Wasser. Alle Planung, das Sammeln des notwendigen Geldes für die Katz. „Ich rechne jetzt nicht mehr damit, dass wir da was auf die Beine stellen“, schließt David mit diesem Kapitel inzwischen ab. „Aber wir sehen uns sicher auf einem der Ehemaligentreffen wieder.“
Der 19-Jährige wendet sich nun als Student der Elektrotechnik an der Hochschule Sankt Augustin einem neuen Lebensabschnitt zu. Und stößt auch da der Corona-Pandemie geschuldet auf Veränderungen. „Die Veranstaltungen laufen digital ab“, sagt er. Das Ersti-Wochenende, sonst die Gelegenheit, die Hochschule und die Kommilitonen kennenzulernen“, musste ausfallen. „Schon schade“, findet David, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Stattdessen knüpft er neue Vorfreude an das, was kommt, wenn es in Sachen Corona Entwarnung gibt: „Ich freue mich auf die Zeit, in der wir wieder mit Freunden feiern können. Oder zusammen in Urlaub fahren.“
Diese Fähigkeit zur Vorfreude ist unter den Menschen ungleich verteilt. Motivationsforscherin Brohm-Badry geht davon aus, dass ungefähr die Hälfte der Emotionen genetisch festgeschrieben sind, die andere Hälfte durch unsere eigenen Entscheidungen und Erfahrungen im Leben geprägt sind. Trotzdem hat sie Tipps parat, wie wir unsere Vorfreude anregen können. Und zwar indem wir Erlebnisse mental vorwegnehmen. Dabei sollten wir uns so detailreich wie möglich ausmalen, wie beispielsweise das große Fest oder der nächste Urlaub ablaufen könnten. Was riechen wir, was hören und sehen wir, was fühlen wir dabei? Also das Kopfkino richtig in Gang bringen. Eine Übung, die auch mit der ganzen Familie funktioniert.