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Vater spricht KlartextAlle schimpfen auf Helikopter-Eltern - dabei sind sie toll

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Wenn Eltern sich viel und fürsorglich um das Kind kümmern, werden sie heute schnell als „Helikopter“ abgestempelt.

Hamburg – Früher war alles besser: Da konnten Kinder noch allein durch die Nachbarschaft ziehen, und wenn sie abends mit dreckigen Gesichtern und aufgescheuerten Knien todmüde ins Bett fielen, lag wieder ein Tag zurück, der sie eigenständiger und selbstbewusster machte. Heute dagegen, so lautet ein gängiger Vorwurf uns modernen Eltern gegenüber, würden wir unsere Kinder viel zu sehr behüten. So etwas wird heute als „Helikoptern“ bezeichnet. Ich kenne keine Mutter und keinen Vater, die mit diesem Etikett herumlaufen möchten.

Helikopter-Eltern sind ein Klischee

Das muss auch keiner, denn der Vorwurf ist ungerecht.

Ich kenne keine Eltern, die wirklich so bekloppt sind, wie sie in den „Wir lachen über Helikopter-Eltern“-Büchern vorkommen.

Ich sage: Es ist nichts Falsches oder Lächerliches daran, seine Kinder achtsam zu behandeln, das Beste für sie zu wollen und sie vor Gefahren zu beschützen.

Die Vorstellung, dass Kindheit früher in größeren Freiräumen stattgefunden habe, und die Metapher von Eltern, die im Hubschrauber über den Köpfen ihrer Kinder brummen, sind aber erst mal nichts als Klischees.

Zum einen sah Freiheit für Kinder in den 1970er und 1980er Jahren auch oft so aus, dass sie mit einem Schlüssel um den Hals um die Häuser zogen und die Zeit totschlugen. Ich selbst erinnere mich an den Blödsinn, den ich oft mit meinen Freunden aus reiner Langeweile nach Schulschluss veranstaltete.

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Zum anderen ist das sinnbildliche „Helikoptern“ heute oft dem Sachverhalt geschuldet, dass immer mehr Familien in den Zentren der Städte leben, wo sich das Verkehrsaufkommen in den vergangenen Jahrzehnten stark erhöht hat und es andere Gefahren gibt, als im grünen Speckgürtel anno 1980. Ich musste früher auf der nahen Pferdewiese nur auf die Brennnesseln achtgeben. Auf dem Spielplatz meines Sohnes steht ein Schild, das vor Scherben und Spritzen warnt.

„Helikoptern“ hat viele Kinderleben gerettet 

Vergessen wird auch gerne, dass vieles, was Eltern heute ganz schnell in den Verdachtsbereich des Helikopterns bringt, im Zusammenhang mit Entwicklungen steht, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert. Ein paar Beispiele: Kinder leben heute so sicher und gesund wie vielleicht nie zuvor in Deutschland – die Zahl verunfallter Kinder im Haushalt und im Verkehr etwa ist stark zurückgegangen, auch weil viele Eltern heute ein anderes Risikobewusstsein haben. Ich bin sicher, dass „Helikoptern“ schon viele Kinderleben gerettet hat, und ich gebe gerne zu, dass ich meinen Sohn im Straßenverkehr keine Sekunde aus dem Auge lasse, weil eben an jeder Ampel und jeder Ausfahrt Gefahren lauern.

Andere Gefahren haben abgenommen: Karies, zu meiner Zeit eher noch die Regel im Kindergebiss, ist heute fast eine Randerscheinung, und auch das früher nicht unübliche Anbrüllen und der „kleine“ Klaps auf den Po sind gesellschaftlich geächtet. Wir bürsten nicht hysterisch mit dem Propeller um unsere Kinder herum, sondern gehen miteinander achtsamer um und nutzen dabei die mannigfachen Aufklärungs- und Fürsorgemöglichkeiten, die Eltern heute zur Verfügung stehen, etwa die vielen und regelmäßigen Pflichtuntersuchungen ab dem Säuglingsalter.

Viele Jugendliche haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern

Die Helikopterdebatte ist zynisch. Sie verneint die Fortschritte, die im Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern in den vergangenen 40 Jahren erzielt wurden. Statistisch verbringen wir heute viel mehr Zeit mit unseren Kindern, gerade Väter nutzen heute Möglichkeiten wie Elternteilzeit oder Elterngeld.

Während Jugendliche früher ihre Eltern augenrollend „die Alten“ nannten, gaben in der Shell-Jugendstudie 2017 90 Prozent der Jugendlichen an, ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern zu haben. Was bitte ist falsch daran?

Helikopter-Eltern sind übrigens gar kein neues Phänomen. Der Begriff stammt aus den 1960er Jahren. Schon damals gab es Eltern, deren Präsenz im Leben ihrer Kinder als schädlich wahrgenommen wurde. So wie es leider immer auch Eltern gibt, die ihre Kinder verwahrlosen lassen. Beides sind aber bis heute große Ausnahmen.

Die allermeisten Eltern geben ihren Kindern genau die Aufmerksamkeit, die sie brauchen. Hören wir also endlich auf, uns von dieser Debatte verunsichern zu lassen.

Buchtipp:Jan Abele, Ich glaub, ich bin jetzt warm genug angezogen, Eden Verlag, 2019

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