Jammer-AlarmWarum motzt mich mein Kind eigentlich dauernd an?

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Immer nur Leidensmiene und ständiger Protest – gerade zuhause kommen Kinder manchmal aus dem Jammern nicht mehr heraus.

  • Manchmal sind Kinder einfach nur unzufrieden. Dann werden die Eltern in einer Tour angemotzt und vollgenörgelt.
  • Aber woher kommt das dauernde Gejammer? Und warum kriegen es vor allem die Familienmitglieder ab?
  • Erziehungsexpertin Heidemarie Arnhold erklärt, wie Eltern Motz-Situationen entschärfen können und warum das Gejammer auch einen guten Aspekt hat.

Köln – „Alles blöd!“, „Essen schmeckt nicht!“, „Ich will aber jetzt!“ An manchen Tagen klingeln Eltern wahrlich die Ohren. Denn kaum ist man mit dem Kindertross zuhause angekommen, wird von vorne bis hinten nur herumgemotzt. Dann trampelt der Nachwuchs mit nölender Stimme und einer Leidensmiene herum, als wären die Eltern persönlich für alles Unglück der Welt verantwortlich. Doch sind sie wirklich das Problem? Oder warum sonst sind viele Kinder gerade daheim oft so unzufrieden?

„Man kann das gut an einem Bild beschreiben: Das Kind lernt boxen – und die Eltern sind der erste Sparringspartner“, sagt Dr. Heidemarie Arnhold vom Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. (ANE). „Kinder probieren an ihren Eltern Verhaltensweisen aus. Und die bereiten ihren Nachwuchs so auf den Boxring da draußen in der Welt vor.“

Wie Eltern sich in diesen Auseinandersetzungen „schlagen“,  ist natürlich einer der entscheidenden Lernmomente für die Kinder. Und das hängt auch viel mit den Umgangsregeln zusammen, die jede Familie für sich etabliert hat. „Hier können Eltern schon früh Standards setzen und grundsätzlich klären, wie man in der Familie miteinander redet und einen fairen Umgang findet“, erklärt Arnhold.

Kleinkind bis Teenager: Jedes Alter jammert anders

Klar ist, jammern ist nicht gleich jammern. Es kommt natürlich darauf an, wie alt ein Kind ist. Ganz kleine Kinder quengeln oft, weil sie müde oder hungrig sind. „Bei ihnen kann es einfach nur ein Anzeichen dafür sein, dass sie nicht mehr können, gerade nach der Kita“, sagt Arnhold. Außerdem gebe es typische Jammer-Phasen im Leben eines Kindes, wenn es sich etwa von den Eltern ablöse, wie zum Beispiel im Jahr vor der Einschulung. 

Auch in der Pubertät werde viel gemotzt. „Und das ist auch kein Wunder“, so Arnhold, „die Jugendlichen sind körperlich und psychisch im Umbruch und können sich oft selbst nicht leiden. Wie sollen sie dann mit ihren Eltern klar kommen?“ Gerade bei Teenagern sollte man deshalb nicht zu übergriffig sein und sie auch mal schimpfen lassen. „Vielleicht brauchen sie einfach den Raum zum Motzen, weil sie das woanders nicht dürfen.“ Trotzdem sollten Eltern mit ihrem Kind im Gespräch bleiben, um zu wissen, was in seinem Leben los ist.

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Worüber beklagt sich das Kind genau?

Entschärfen können Eltern Jammer-Momente auch, wenn sie die Situation kurz betrachten. „Sie sollten wahrnehmen, wie es ihrem Kind geht und überlegen, was es jetzt braucht – schließlich haben sie das beste Gefühl dafür.“ Oft reicht vielleicht eine Umarmung, ein kurzes Gespräch oder ein bisschen Abstand. „Man könnte zum Beispiel auch die Familienregel aufstellen, dass in solchen Motz-Situationen alle erst einmal zehn Minuten auseinander gehen und nachträglich besprochen wird, was los war.“

In seltenen Fällen kann aber auch mehr dahinter stecken. Und dann sollten Eltern dran bleiben: Wenn ein Kind längere Zeit viel jammere, helfe es, zu schauen, in welchen Situationen das passiere, worüber gemotzt werde und was sich vielleicht im Leben des Kindes verändert habe, so Arnhold. „Man kann das Kind aber auch fragen, warum es so unzufrieden ist und ob es Ideen hat, was man gemeinsam dagegen tun kann.“ Wenn das ungute Gefühl anhalte, sollten Eltern aber auch nicht davor zurückschrecken, mit Kita oder Schule zu sprechen oder eine Beratungsstelle aufzusuchen.

Kinder fordern die Aufmerksamkeit der Eltern ein

ANE Elternbriefe

In den ANE Elternbriefen geben Erziehungsexperten Erklärungen und Tipps zu Themen, die im jeweiligen Alter des Kindes aktuell sind. Eltern können sich die Briefe kostenlos per Post nach Hause schicken lassen – von der Geburt an bis zum achten Geburtstag des Kindes.

Häufig geht es im täglichen „Box-Match“ zwischen Klein und Groß aber vor allem um eins: die elterliche Aufmerksamkeit. „Kinder nutzen das Nörgeln dann als kommunikative Strategie, um etwas herauszuschlagen“, erklärt die Erziehungsexpertin. Wenn ein Kind keine Zuwendung durch positive Verhaltensweisen bekomme, dann wähle es eben Herumnörgeln. „Und wenn das für das Kind einmal von Erfolg gekrönt ist, dann wird es genau diese Strategie wieder anwenden.“

Gerade wenn Kinder durch ständiges Nörgeln immer mehr und mehr fordern und nie zufrieden sind, sei das ein Zeichen dafür, dass sich ihr Gemotze öfter lohne, sie also tatsächlich immer mehr bekämen. „Die Eltern erziehen ihr Kind dadurch dazu, Nörgeln als Erfolgsstrategie zu sehen.“ Hier sollte man stattdessen unbedingt konsequent sein und zudem klar kommunizieren, dass Jammern nicht der richtige Weg ist.

Eltern dürfen das Gejammer nicht persönlich nehmen

Aus der Perspektive der Eltern ist das Dauergemotze oft einfach nur schmerzhaft, frustrierend und zermürbend. „Eltern dürfen das aber nicht persönlich nehmen und es als Liebesentzug verstehen, wenn ihr Kind sie anmotzt“, sagt Arnhold. Auch sollten sie nicht sofort etwas hineininterpretieren. Zurückmelden, dass dieses Verhalten nervig ist, dürfen sie aber schon. „Die Kinder müssen ja fürs Leben lernen, dass sie nicht jeden einfach anmotzen können.“

Sätze wie „Jetzt motzt du mich schon wieder an!“ sollte man jedoch lieber vermeiden. „Das ist gar nicht situationsgerecht, sondern ein Vorwurf“, sagt Arnhold, „und dann ist man nicht mehr auf einer Ebene, auf der in Ruhe etwas ausgehandelt werden kann.“

An motzfreien Tagen wiederum dürfe man sich und die Kinder dagegen gerne mal belohnen. „Einfach mal positive Zuwendung geben und sagen: Wie toll, wir haben das heute ohne Jammern hingekriegt!“

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