Regretting Parenthood20 Prozent der Eltern würden nicht noch einmal Kinder bekommen

Manche Eltern haben sich das Leben mit Kindern wohl einfacher vorgestellt.
Copyright: Getty Images/globalmoments
Köln – „Ich liebe mein Kind, aber…“ So in etwa könnte man das Ergebnis einer aktuellen Meinungsumfrage zusammenfassen. Die Kinder sind super, das Elternsein ist dann aber doch ziemlich anstrengend. Für manche Eltern sogar so sehr, dass sie mit dem Wissen von heute nicht noch einmal Kinder bekommen würden. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Deutschland gaben 20 Prozent der Befragten an, dass sie keine Kinder mehr bekommen wollten, wenn sie sich heute noch einmal entscheiden könnten. 73 Prozent sind nicht dieser Meinung.
Hat diese Einschätzung etwas mit den Beschränkungen durch Corona zu tun? Die vergangenen zwei Jahre waren für Familien dank Lockdown, Homeschooling und Kontaktbeschränkungen definitiv nicht einfach. Eine ähnliche YouGov-Umfrage von 2016 lieferte allerdings vor sechs Jahren bereits ähnliche Antworten. Auch hier gaben 20 Prozent der befragten Eltern an, keine Kinder mehr bekommen zu wollen, wenn sie sich noch einmal entscheiden könnten. Damals wurden dazu 2054 Personen befragt. An der aktuellen Umfrage nahmen vom 11. bis 13. Januar 2022 mittels standardisierter Online-Interviews 2075 Personen teil, darunter 1095 Eltern.
Corona hat viele Eltern an ihre Grenzen gebracht
Die 20 Prozent der bereuenden Eltern sind also gleich geblieben, trotzdem spielt Corona in der aktuellen Umfrage eine Rolle. In einer anderen Frage gaben 23 Prozent der befragten Eltern an, dass die Pandemie sie in Bezug auf die Kindererziehung an ihre Grenzen gebracht habe. Väter (25 Prozent) sagten dies häufiger als Mütter (21 Prozent). Wirklich verschlechtert hat sich das Eltern-Kind-Verhältnis allerdings nur bei sieben Prozent der Befragten. 13 Prozent sagten, dass sich ihr Verhältnis zu den Kindern seit Corona sogar verbessert habe. Und für den Großteil –76 Prozent – ist es unverändert.

Familientherapeutin Anke Lingnau-Carduck
Copyright: Anke Lingnau-Carduck
„Die aktuelle Umfrage zeigt uns, dass sich trotz der belastenden Situation für Familien durch die Corona-Beschränkungen die Zahl der bereuenden Eltern nicht wesentlich verändert hat. Vielleicht haben die besonderen Umstände sogar dazu beigetragen, dass diese Zahlen stabil geblieben sind?“, fragt sich Familientherapeutin Anke Lingnau-Carduck, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). „Sehr nachvollziehbar“ findet sie, dass die zusätzlichen Belastungen durch die Pandemie den Druck und die Überforderung vieler Eltern erhöht haben. Andererseits hätten die Corona-Erfahrungen Familien in gewissem Sinne auch zusammengeschweißt. „Familien entwickeln ihre resilienten Kräfte in diesen Zeiten, stärken Zusammenhalt und Zugehörigkeit“, sagt die Therapeutin.
Das könnte Sie auch interessieren:
Immerhin scheinen Kinder die Karriere nicht mehr so stark zu beeinflussen wie noch vor sechs Jahren. Die aktuelle Umfrage ergibt, dass eine große Mehrheit der deutschen Väter nicht glaubt, dass ihr beruflicher Aufstieg ohne die Geburt ihrer Kinder besser verlaufen wäre (70 Prozent). Unter Müttern sagen dies nur 47 Prozent. Die Umfrage aus dem Jahr 2016 zeigt jedoch, dass Mütter vor knapp sechs Jahren noch häufiger der Aussage zustimmten, dass ohne die Geburt ihrer Kinder ihr beruflicher Aufstieg besser verlaufen wäre: 44 Prozent der Mütter in Deutschland machten 2016 diese Angabe, 2022 sagen dies noch 34 Prozent.
„Regretting Motherhood“ war 2015 noch ein Tabuthema
In der Umfrage wird nicht nur auf überforderte Eltern, sondern auch auf Mütter im Speziellen eingegangen. Die Frage „Ich kann es gut nachvollziehen, dass es Mütter gibt, die ihre Mutterschaft auch schon mal bereuen“ beantwortete mehr als die Hälfte der befragten Eltern mit „stimme zu“. Väter (56 Prozent) können das der Umfrage zufolge sogar noch eher nachvollziehen als Mütter (51 Prozent). In der Umfrage 2016 waren die Antworten ähnlich. Damals war es allerdings noch ein Tabuthema, dass Frauen mit der Mutterrolle überfordert waren und das auch zugeben durften, wie die hitzige Debatte um das Stichwort „Regretting Motherhood“ (Mutterschaft bereuen) gezeigt hat. Anlass war eine Studie der israelischen Soziologin Orna Donath im Jahr 2015, in der Frauen zugaben, ihre Mutterschaft zu bereuen. Donath hatte dafür in den Jahren 2008 bis 2011 23 israelische Mütter befragt. Die jüdischen Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten waren im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70 – einige davon auch schon Großmütter. Sie hatten alle gemeinsam, dass sie es bereuten, Mutter geworden zu sein. Die meisten Mütter betonten, dass sie zwar ihre Kinder liebten, aber die Mutterschaft hassten.
Unter dem Hashtag #regrettingmotherhood schwappten vor allem in Deutschland die Medien mit Reaktionen über. Auf der einen Seite standen Frauen, die erleichtert waren, endlich einmal auch negative Gefühle und Überforderung gegenüber dem Thema Muttersein offen aussprechen zu dürfen. Aus der anderen Ecke kam teils harte Kritik. Eine Mutter dürfe so etwas nicht sagen, die Frauen wurden als Rabenmutter oder weinerlich abgestempelt.
Dass auch Mütter klagen dürfen und vielleicht sogar bereuen, Kinder bekommen zu haben, scheint sich mittlerweile etabliert zu haben. Diese Erfahrung hat auch Lingnau-Carduck gemacht: „Seit der Studie vor sieben Jahren hat sich die Gesellschaft an die Realität bedauernder Elternschaften gewöhnt. Es gibt meiner Wahrnehmung nach eine größere Akzeptanz und dadurch auch ein freieres Sprechen darüber - ohne die in 2015 noch vorherrschenden despektierlichen öffentlichen Entgegnungen dazu.“