Jungs mit Puppen, Mädchen mit AutosDieser Katalog räumt auf mit Rollenklischees im Kinderzimmer

Lesezeit 4 Minuten
Jungs, die mit Puppen spielen – ein spanischer Spielwarenhändler räumt mit Geschlechterstereotypen auf.

Jungs, die mit Puppen spielen – ein spanischer Spielwarenhändler räumt mit Geschlechterstereotypen auf.

Jungen, die den Kinderwagen schieben oder ihren Puppen die Haare kämmen? Mädchen, die Autos fernsteuern oder an einer Werkbank hämmern? Wer auf der Suche nach Kinderspielzeug ist, dem begegnen solche Bilder in der Regel nicht. Da fühlt man sich eher in die fünfziger Jahre zurückversetzt: pinke Frisiertische und Einbauküchen für die Mädchen, blaue Werkbänke und Autos für die Jungen.

Mädchen kämpfen mit Laserschwertern, Jungen füttern Tierbabys

Ein spanisches Spielzeugunternehmen räumt in seinem aktuellen Weihnachts-Katalog mit den üblichen Geschlechterstereotypen der Branche auf: Zu sehen sind Jungen, die bügeln, die Tierbabys füttern, die Perlen aufziehen und mit Wolle hantieren, genauso wie Mädchen, die mit Laserschwertern kämpfen oder ihre Gegner am Kicker schlagen.

Nach einer Umfrage unter den Kunden der Kette mit etwa 200 Geschäften in Spanien und einem Online-Versandhandel habe man sich zu diesem Schritt entschieden, teilte Toy Planet mit. Die Kunden hätten sich unter anderem über die Geschlechter-Stereotypen im Spielzeugsektor beklagt.

Kein vollkommener Bruch mit den Klischees

Zwar bricht der Spielzeugwarenhändler nicht vollkommen mit den Klischees. Schließlich sind die traditionell für Mädchen gedachten Spielzeuge – Puppen, Bastelkram, Schminke – nach wie vor hauptsächlich Pink. Eine Farbe, die man bei den traditionell für Jungen vorgesehenen Spielzeugen nicht findet. Aber immerhin zeigen die Bilder, dass auch Mädchen in die vermeintliche „Jungen-Spielzeugwelt“ passen – und umgekehrt.

Dass ein kommerzielles Unternehmen so weit geht, ist fast schon revolutionär – und das im Jahr 2015. Die große Spielwarenkette „Toys R Us“ hat sich immerhin auf dem britischen Markt von der Kategorisierung nach Geschlecht kürzlich verabschiedet, wie die Daily Mail berichtet – allerdings nachdem die Interessensgemeinschaft Let Toys Be Toys Druck gemacht hatte.

Prinzessinnenschloss oder Piratenschiff?

Schon am Eingang der Spielzeugwarenabteilung trennen sich normalerweise die Wege derer, die etwas für Jungen, und derer, die etwas für Mädchen suchen. Die Jungenfraktion wird in Richtung „Blau“ gelotst und läuft vorbei an Piratenschiffen, Astronautenhelmen und Werkzeugkästen, während die Mädchenfraktion eintaucht in eine rosarot gefärbte Welt aus Prinzessinnenschlössern, Einhörnern und Barbie-Puppen. Die Branche verspricht sich von der krassen Zweiteilung mehr Gewinne.

Die Vorliebe für Pink ist anerzogen

Dabei ist die Welt jenseits des Kinderzimmers schon lange nicht mehr entweder rosarot oder hellblau, sondern deutlich bunter und komplexer. Und: Studien belegen, dass Mädchen keineswegs, von Geburt an, die Farbe rosa präferieren. Vielmehr ziehen alle Babys einer Studie zufolge Blau allen anderen Farben vor. Die Vorliebe für Pink wird den Mädchen also an- und den Jungen aberzogen, wie die Studienergebnisse nahelegen.

Dabei finden nicht nur Soziologen und Genderforscher die starre Einteilung nach Geschlechtern bedenklich. Unlängst erregte der Brief eines siebenjährigen Mädchens Aufsehen, das an den Spielzeughersteller Lego appellierte, auch die weiblichen Figuren aktiver darzustellen und etwas erleben zu lassen: „Alles, was die Mädchen machen, ist zu Hause sitzen, ins Bett gehen und einkaufen“, schrieb Charlotte, während die Jungs „Abenteuer erleben, arbeiten, Menschen retten ... und sogar mit Haien schwimmen.“

Jungs dürfen die Welt entdecken, Mädchen nur gut aussehen

Eine US-Untersuchung von mehr als 120 Spielwaren zeigte, dass Spielzeug für Mädchen eher Aussehen, Attraktivität, Pflege und Erziehung in den Vordergrund rückt. Bei Jungen ging es eher darum, Abenteuer zu erleben, zu kämpfen und sich Wettbewerben zu stellen. Die US-Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass neutrale Spielsachen die Entwicklung von Kindern besser fördern.

Naivität versus Rebellion

Erst kürzlich deckten Wissenschaftler der TU Berlin auf, dass auch Kinder-T-Shirts Geschlechterstereotypen forcieren. „Als Leitmotive für die Mädchen-Shirts fanden sie die Themen Märchen und Träume, Unschuld und Naivität, Schönheit und Selbstbewusstsein“, heißt es in einer Mitteilung der Universität. „ Bei Jungen sieht das anders aus: Sport, Wettkampf, Teamgeist sind hier die Leitmotive, ebenso wie Abenteuer, Natur, Reisen sowie Superhelden und Superkräfte oder Rebellion und Grenzüberschreitungen.“

Soziologen weisen immer wieder darauf hin, dass solche Rollenzuschreibungen auch zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden können. Wird das Mädchen, das sich insbesondere bemüht, schön auszusehen, später einmal eine Führungsposition übernehmen? Wird der Junge, der beim Autorennen immer der Beste sein muss, später zu Hause bleiben, um sich um seine Kinder zu kümmern?

Wird die Welt im Kinderzimmer liberaler, wirkt sich das auch auf unsere Gesellschaft aus

Für das spanische Unternehmen Toy Planet ist die neue grenzüberschreitende Strategie jedenfalls aufgegangen. Der neue Weihnachts-Katalog, der mit den Geschlechterklischees bricht, ist nicht der erste seiner Art und Teil eines bereits vor zwei Jahren gestarteten Strategiewechsels. Natürlich handelt es sich dabei auch um eine gewiefte Marketing-Kampagne.

Dennoch können solche Bilder helfen, unsere Welt liberaler zu machen - wenn Kinder sie schon in Miniaturform im Kinderzimmer offener erleben. Je mehr Diversität es gibt, desto eher können sich Kinder – sowohl Mädchen als auch Jungen – wirklich selbst entscheiden, ob sie lieber mit Puppen oder mit Autos spielen wollen.

Rundschau abonnieren