Wie Zwillinge empfinden„Ich bin Harry-Potter-Fan und sie nicht“

Andrea und Sonja Quinting (28 Jahre)
Copyright: Jörn Neumann
- Wie fühlt es sich an, im Doppelpack zu leben?
- Andrea und Sonja Quinting, die von ihren Lehrern immer nur die „Quintings“ genannt wurden, haben nicht die gleiche Lieblingsfarbe, aber das gleiche Hobby.
- Und erzählen, wie es war, zum ersten Mal im Leben als Einzelperson wahrgenommen zu werden.
Meine Schwester und ich sind uns sehr ähnlich. Vor allem im Denken. Wir beschäftigen uns beide gerne mit Mathematik und Zahlen. Früher konnte jede von uns sogar die Sätze der anderen beenden, weil wir das Gleiche dachten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas zum Bruch mit ihr führen könnte. Das Band zwischen uns ist so stark, dass wir über alles in Ruhe reden können.
Seitdem wir in getrennten Städten wohnen, telefonieren wir täglich miteinander. Wie der Tag gelaufen ist, was sonst so ansteht, was am Wochenende geplant ist. Ob es Probleme bei der Arbeit gibt. Diese Gespräche können bis zu einer Stunde dauern, und ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Ich spüre aber auch so, wenn es Andrea nicht gut geht. Irgendwie hat man so ein komisches Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Dann rufe ich sie an oder schreibe eine Textnachricht. Bisher habe ich immer richtig gelegen.
Sonja Quinting (28): „Ich spüre, wenn es Andrea nicht gut geht“
Steckbrief Sonja Quinting

Sonja Quinting (28)
Copyright: Jörn Neumann
Sonja Quinting28 Jahre, Frankfurt
Lieblingsfarbe: rotLieblingstier: KoalaLieblingsessen: Curry,asiatische ReisgerichteHobby: Volleyball
Nach dem Abitur sind wir durch unsere Ausbildung getrennte Wege gegangen, auch wenn wir das Gleiche gemacht haben. Ich bin nach Kassel gezogen, Andrea hat ihre Ausbildung in Aachen gemacht. Zugetraut hat uns die Trennung keiner. Auch unsere Eltern haben wohl nicht damit gerechnet. Doch ich glaube, dass dieser Schritt uns sehr gutgetan hat. Das sehen wir beide so. Wir sind selbstständiger geworden. Und wir mussten uns daran gewöhnen, nicht mehr „wir“, sondern „ich“ zu sagen. So ganz habe ich dieses „Ich“ allerdings auch nach neun Jahren nicht verinnerlicht. Bei manchen Gelegenheiten sage ich noch immer „wir“, vor allem, wenn es um die Wochenendplanung geht. Für Außenstehende ist das irritierend.
Unter uns gibt es keine Konkurrenz
Nach der Banklehre bin ich erstmal zurück nach Hause gezogen und habe dann bei der Bundesbank in Frankfurt ein duales Studium angefangen. Andrea hat in Köln Wirtschaftsinformatik studiert. Inzwischen bin ich im Öffentlichen Dienst und will an der Fernuni Hagen noch den Master in Wirtschaftswissenschaft machen. Ich bin im dritten Semester. Andrea hat bereits einen Masterabschluss, aber das ist nicht der Grund dafür, dass ich noch einmal studiere. Unter uns gibt es keine Konkurrenz. Ich hatte einfach Lust, mich weiterzubilden, und will langfristig in den Höheren Dienst. Das geht nur mit dem entsprechenden Abschluss.
Während der Schulzeit haben wir fast alles gemeinsam gemacht. Wir hatten die gleichen Hobbys und den gleichen Freundeskreis. Inzwischen hat jeder von uns eigene Freunde, und das finde ich sehr schön. Wir kleiden uns auch unterschiedlich. Schon in der Grundschule hat sich gezeigt, dass Andreas Stil eher sportlich ist. Ich dagegen trage gern Blusen und Schuhe mit hohen Absätzen. Ich glaube, auch von den Eigenschaften her gibt es Unterschiede zwischen uns. Ich mache erst einmal einen Plan, bevor ich eine Sache angehe. Andrea ist spontaner und macht einfach. Und: Ich bin Harry-Potter-Fan und sie nicht. Trotzdem hat sie vor zwei Jahren mir zuliebe in London die „Warner Bros. Studio Tour“ mitgemacht.
Gemeinsam in Urlaub
Wir fahren regelmäßig zusammen in Urlaub und feiern gemeinsam in Köln Karneval. Da treten wir allerdings nicht als Zwillinge auf. Andrea geht in diesem Jahr als Badewanne und ich als Schmetterling. Sie in blau und ich in pink. Später hätte ich gern eine eigene Familie. Ich fände es schön, wenn Andrea dann mit ihrer Familie in der Nähe wohnen würde. Damit wir uns gegenseitig unterstützen können.
Andrea Quinting (28): „Für die Lehrer waren wir immer nur die „Quintings“
Als wir klein waren, haben wir gar nicht realisiert, dass wir Zwillinge sind. Man hatte halt immer jemanden zum Spielen und war nie allein. Bis heute sind wir eng verbunden und haben super viel Kontakt, obwohl wir in verschiedenen Städten leben. Wir schreiben uns täglich per Whatsapp und telefonieren fast jeden Tag. Doch ich spüre auch so, wenn es Sonja nicht gut geht, und umgekehrt ist es genauso. Rational kann ich das nicht erklären. Es ist einfach so ein Bauchgefühl.
Steckbrief Andrea Quinting

Andrea Quinting (28)
Copyright: Jörn Neumann
Andrea Quinting28 Jahre, Köln
Lieblingsfarbe: blauLieblingstier: der PandabärLieblingsessen: SpaghettiHobby: Volleyball
Wir haben viele gemeinsame Interessen und spielen beide Volleyball. Wir haben den gleichen Humor und können über vieles lachen und über alles reden. Durch unsere gemeinsame Schulzeit haben wir sogar den gleichen Freundeskreis. Aber wir sind zwei unterschiedliche Menschen. Natürlich ist es etwas Besonderes, eine eineiige Zwillingsschwester zu haben, aber nur als Einheit gesehen zu werden, ist für mich undenkbar. Ich bin einen Tick größer als Sonja, sie hat die längeren Haare.
Unsere Eltern haben uns immer gleich behandeltSonja muss außerdem immer alles planen. Wenn etwas quer läuft, kann sie relativ schlecht damit umgehen. Ich bin da etwas flexibler. Unsere Eltern haben uns von Anfang an gleich behandelt. Aber sie haben es nie darauf angelegt, dass wir identisch aussahen oder gekleidet waren. Manchmal haben wir uns selber einen Spaß daraus gemacht, morgens das Gleiche anzuziehen, um unsere Klassenkameraden und Lehrer zu verwirren. Wir waren von der Grundschule an in einer Klasse. Ich weiß noch, dass wir an einem Tag dreimal die Plätze getauscht haben, und dreimal hat die Lehrerin nichts gemerkt. Ansonsten haben wir unsere Ähnlichkeit nicht ausgenutzt.
Mit 13 oder 14 wollten wir nicht mehr nur als Einheit behandelt werden
Für die Lehrer war es ohnehin sehr schwierig, uns auseinanderzuhalten. Zumal wir jahrelang nebeneinandersaßen. Sie konnten sich zwar problemlos die Namen unserer Klassenkameraden merken. Nur wir waren immer „die Quintings“. Als wir 13 oder 14 Jahre waren, hat uns das so genervt, dass wir die Lehrer um ein Gespräch gebeten haben. Es war gar nicht so einfach, ihnen klarzumachen, dass wir keine Einheit, sondern zwei unterschiedliche Menschen sind und dementsprechend behandelt werden wollen.
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Nach dem Abitur wollten wir beide erst einmal etwas Praktisches machen und haben uns für eine Bankausbildung entschieden. Weil wir Zahlen mögen und gern Kontakt mit Menschen haben. Eigentlich wollten wir die Ausbildung zusammen machen, aber das hat leider nicht geklappt. Wir hatten uns beide auf die Region Köln-Bonn-Aachen beworben, aber dann hieß es, dass nur ein Platz in der Region zu vergeben sei. Also bin ich nach Aachen gegangen, und Sonja kam nach Kassel.
Es war ein sehr neues Gefühl, plötzlich ohne die andere zu sein
Wir haben noch ein Einführungswochenende zusammen in der Nähe von Frankfurt verbracht. Danach trennten sich unsere Wege. Es war ein sehr komisches, aber auch ein sehr neues Gefühl, plötzlich ohne die andere zu sein. Zum ersten Mal im Leben wurde man als Einzelperson wahrgenommen. Für mich war es anfangs vor allem schwierig, „ich“ statt „wir“ zu sagen. Dieses „Wir“ war irgendwie noch drin im Kopf.
Heute lebt Sonja in Frankfurt, ich wohne in Köln. Vor kurzem hat Sonja mich in meiner Firma besucht. Dort weiß nicht jeder, dass ich eine Zwillingsschwester habe, und obwohl wir nicht das Gleiche anhatten, verstummte jedes Gespräch, wenn wir an den Kollegen vorbeigingen. Andere guckten uns irritiert hinterher und sagten: „Wir haben doch noch gar nichts getrunken.“ Aber solche Reaktionen sind wir ja seit 28 Jahren gewohnt.