Herbstkirmes in KölnWieso wird Erwachsenen auf der Achterbahn schlecht, aber Kindern nicht?

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Fahrgeschäft auf der Deutzer Kirmes.

Übelkeit vorprogrammiert (zumindest für die meisten Erwachsenen): Eine der Attraktionen auf der Deutzer Kirmes.

Wie schön die Kirmes doch als Kind war, ganz ohne Übelkeit nach der Achterbahnfahrt. Ein Arzt erklärt, wieso wir im Alter empfindlich werden.

Auf der Kirmes werden Erinnerung an die eigene Jugend wach. Wie schön es doch wäre, die Freiheit von damals noch einmal mit einer Achterbahnfahrt aufleben zu lassen. Doch schnell macht sich ein flaues Gefühl im Magen bemerkbar: Erwachsene vertragen die wilden Fahrgeschäfte häufig nicht mehr so gut wie in der Kindheit. Woran das liegt, erklärt Joachim Wichmann, Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Landesvorsitzender seines Berufsverbands Nordrhein.

„Es gibt einen Lerneffekt“, sagt Wichmann im Gespräch mit dieser Zeitung. „Je älter wir werden, desto mehr Erfahrungswerte hat unser Gleichgewichtsorgan“. Bei Erwachsenen ist es also geübter darin, den geraden Zustand auch als diesen zu erkennen. Gibt es Abweichungen davon, reagiert es stärker darauf als bei jungen Menschen.

Wichmann nennt ein Beispiel: Dreht man auf einem Karussell lange in eine Richtung, läuft man danach schief in die andere. Der Grund: das Gleichgewichtsorgan versuche die Schieflage zu kompensieren und brauche nach dem Drehen einen Moment, wieder auf die richtige „Position Null“ zurückzukehren, sagt Wichmann.

Gleichgewichtssinn gewöhnt sich an eine falsche Ausgangsposition

Und das ist überhaupt nicht ungewöhnlich: Das könne selbst Piloten passieren, die länger in einer Schräglage fliegen, sagt Wichmann. Denn das Gleichgewichtsorgan erkenne die Schräglage nach einer Weile als neuen Ausgangspunkt an. Steuern Piloten danach in den horizontalen Geradeausflug zurück, können sie das Gefühl bekommen, jetzt schräg in die andere Richtung geneigt zu sein.

Der HNO-Arzt erklärt: „Wir haben drei Bogengänge, die für die räumlichen Bewegungen wichtig sind.“ Sie sind mit gallertartiger Flüssigkeit gefüllt, die sich hin und her bewegt. Dauert die Schieflage an, kommt die Flüssigkeit in schräger Position zur Ruhe und meldet ans Gehirn eine vermeintliche „Position Null“.

Hinzukommt, dass bei ausgefuchsten Kirmes-Attraktionen, die Augen etwas anderes wahrnehmen als der Gleichgewichtssinn suggeriert. „Wenn Kristalle sich in einem dieser Bogengänge verirren, dann wird Leuten schlecht“, beschreibt der HNO-Arzt die „Steinchentheorie“, wie er den medizinischen Erklärungsansatz für Bewegungsschwindel vereinfacht nennt. Die Steinchen oder Kristalle im Ohr senden dann eine Bewegung ans Gehirn, die andere Sinne nicht melden. Das ist ein sogenannter „Mismatch“, der zu Schwindel und Übelkeit führt.

Übelkeit nach der Achterbahnfahrt: Phobische Momente und überforderter Gleichgewichtssinn greifen ineinander

„Es können auch phobische Momente hineinspielen“, sagt Wichmann – also Angst. In jungen Jahren klettere man leichter hoch hinaus und gucke ohne Probleme hinab, sagt er. Erwachsene halten sich auf einem Turm lieber gut fest. „Das ist dann nicht der Körper, der das problematisiert, sondern die Psyche, die im Hintergrund mitspielt.“ Ab welchem Alter die Kirmes-Übelkeit eintritt, sei individuell. Häufig bemerken Menschen sie ab 30, wenn sie mit dem eigenen Nachwuchs wieder schaukeln wollen.

Wer trotz Übelkeit die Fahrgeschäfte der Kirmes fahren will, etwa, weil die Kinder sich das so sehr wünschen, dem kann kaum geholfen werden. Es gibt zwar Trainingsgeräte gegen Schwindel, die stehen aber eher an Orten, die dem gewöhnlichen Kirmes-Gänger verschlossen bleiben, etwa dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum, sagt Wichmann. Auch Medikamente gegen Übelkeit könnten helfen, aber das einfache Heilmittel gebe es nicht. Der Arzt sagt, man solle anerkennen: „Es ist okay, dass ich nicht mehr so viel Spaß daran habe, ich muss mich nicht quälen“. Mit anderen Worten: Die Jugend hält eben nicht ewig.

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