Von Mücke, Bremse, WespeWerden Insektenstiche gefährlicher für uns?

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Autsch, schon wieder ein Stich. Werden die Reaktionen darauf stärker?

Köln – Insektenstiche gehören zum Sommer wie kalte Füße zum Winter. Doch seit einiger Zeit kommt jeden Sommer aufs Neue die Frage auf: Werden die Bisse und Stiche von Mücken, Wespen und anderen Insekten nicht schlimmer? Die Kollegin berichtet vom Sohn, dessen Arm aussehe, als hätte der Junge die Beulenpest. Eine andere vom Nachbarskind, dessen Auge komplett zugeschwollen ist. Dermatologinnen und Dermatologen bestätigen, dass die Anzahl der Patienten mit stark entzündeten Stichen und allergischen Reaktionen zugenommen hat. Liegt das auch am Klimawandel? Und wann sollte man mit einem Insektenstich zum Arzt gehen? Zwei Kölner Dermatologen klären auf.

Sind Insektenstiche in diesem Jahr schlimmer als in den Jahren zuvor?

„Grundsätzlich reagiert jeder Mensch sehr individuell auf Insektenstiche, wobei zwischen Mückenstichen und Stichen von Wespen und Bienen unterschieden werden muss“, sagt Professor Nicolas Hunzelmann, stellvertretender Direktor der Dermatologie an der Uni Köln. Bei Letztgenannten bestünde grundsätzlich eine größere Gefahr, dass Stiche eine schwere Reaktion auslösen. „Im Gegensatz zu Wespen- und Bienenstichen sind die Stiche von Mücken in der Regel nicht gefährlich, auch, weil der Stich oberflächlicher erfolgt, das heißt, sie führen zu lokalen Entzündungsreaktionen nicht zu einer Überreaktion des Immunsystems.“

Der Dermatologe, der an der Uniklinik nur die besonders schweren Fälle zu Gesicht bekommt, kann in diesem Sommer keine erhöhte Anzahl von Patienten mit kritischen Stichen ausmachen. „Aus meiner Sicht schwankt das von Jahr zu Jahr und ist abhängig von den klimatischen Verhältnissen. In eher feucht-warmen Sommermonaten haben die Insekten ideale Brutbedingungen. Gibt es mehr Tiere, kommt es folglich auch zu mehr Stichen.“ Da dieser Sommer ein eher trockener sei, gäbe es auch weniger Betroffene.

Auch Julia Hölker, Dermatologin in Köln und Mitglied des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen e.V (BVDD) berichtet, dass im vergangenen Jahr mehr Patientinnen und Patienten mit heftigeren Reaktionen ihre Praxis aufgesucht hätten als in diesem. „Allerdings ist es sehr auffällig, dass in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Menschen mit deutlich entzündeten Mückenstichen, so genannten Wundrosen, und heftigen lokalen allergischen Reaktionen zugenommen hat.“

Welche Insektenstiche sind in Deutschland am häufigsten?

„In diesem Sommer beobachten wir, wie schon in den Jahren zuvor, viel häufiger als problematische Mückenstiche eine vermehrte Anzahl von allergischen Reaktionen auf die Brennhaare der Eichenprozessionsspinner-Raupen. Sie enthalten das giftige Eiweiß Thaumetopoein, das heftige Reaktionen vor allem an dünnen Hautpartien im Gesicht, am Hals und den Innenseiten der Ellenbogen hervorrufen kann", sagt Hunzelmann.

Auch Fälle von Grasmilben-Bissen kämen vermehrt vor, bevorzugt an warmen und dünnhäutigen Körperbereichen, wie etwa in Kniekehlen oder der Leistengegend. Dabei handelt es sich meist um mehrere rote Pünktchen. Hunzelmann: „Durch das Speichelsekret können allergische und entzündliche Reaktionen wie Juckreiz, kleine harte Quaddeln, Pusteln und Hautrötungen ausgelöst werden, bei empfindlichen Menschen ein Ausschlag, verteilt über den gesamten Körper. Wir sprechen dann auch von der Erntekrätze, da die Symptome an die der Krätze erinnern.“

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Was passiert in unserem Körper bei einem Insektenstich?

„Beim Stich einer Biene oder Wespe, wie auch beim Biss einer Mücke gelangt ein Protein unter die Haut, das die Blutgerinnung hemmt. Der Körper reagiert darauf und lässt den Stich jucken“, sagt Hunzelmann. Die Mückenstichstelle rötet sich und es bildet sich eine Quaddel, ähnlich wie nach der Berührung einer Brennnessel. Nach etwa 20 bis 24 Stunden wird diese Quaddel zu einer Art Knötchen, das nach einiger Zeit abheilt.

Wie groß die Schwellung ausfällt, hängt von der betroffenen Körperstelle ab. „Dort, wo sich lockeres Bindewegewebe befindet, wie etwa am Augenlid, kann sich eine Schwellung mehr ausbilden als zum Beispiel am Unterarm oder Oberschenkel“, sagt Hunzelmann. „Aus Stichen kann sich bei empfindlicher Haut zudem ein sogenanntes Dermatofibrom bilden: Ein festes Knötchen, das nicht vergeht und das man in der Haut spürt, weil zu viel Bindegewebe abgekapselt wird", sagt Julia Hölker. Dermatofibrome seien in den allermeisten Fällen aber harmlos.

Von Biene bis Wespe: Welches Insekt hat mich gestochen?

Kleine Stichkunde

Biene, Hornisse, Hummel, Wespe

Wespenstiche  sind an der brennenden Einstichstelle, die rot wird und eine Schwellung verursacht, zu erkennen. Schuld daran ist das Gift im Stachel der Insekten, das beim Stich abgegeben wird. Der Körper kann es gut abbauen. Nur für Insektengiftallergiker können die Stiche gefähr­lich werden. Wespen besitzen das größte allergene Potenzial. Hornissenstiche schmerzen wegen des großen Stachels und des Gift­bestand­teils Acetylcholin, sind aber nicht gefähr­licher als Stiche von Bienen oder Wespen. Typisch sind Juckreiz. Schwellungen und Rötungen der Haut bis ca. 10 cm rund um die Einstichstelle. Bienenstiche führen eher zu schwereren Reaktionen als die von Wespen. Es kommt zu einer Rötung und Schwellung, die Haut juckt und schmerzt. Der Stachel bleibt durch einen Widerhaken in der Haut stecken und muss mit einer Pinzette entfernt werden, dabei aber nicht die kleine Verdickung am äußeren Ende des Stachels zusammendrücken! Hummeln können ihren glatten, großen Stachel wieder aus der Haut ziehen. Das Gift ist in der Regel nur für Insektengiftallergiker gefähr­lich. Ein Stich verursacht Schwellungen, Rötungen und Juckreiz an der Einstichstelle, der unmittelbar danach auftreten kann, oder nach einigen Stunden, und tagelang anhalten kann.

Bremse

Bremsen (Foto Getty Images/MegaV0lt) sehen ein bisschen aus wie Stubenfliegen, sind aber länger und schmaler. Sie halten sich im Sommer gerne in der Nähe von Gewässern auf.  Ihre Bisse, beziehungsweise Stiche, sind sehr schmerzhaft, da sie ein säbelartiges Maulwerkzeug haben, das sich auch auf der betroffenen Hautstelle als kleiner Bluterguss, also als ein kleines blaues Pünktchen, zeigt. Wenn es obendrein zu einer Schwellung und Rötung um die Stelle herum kommt oder und zu starkem Juckreiz und Blut aus der Einstichstelle tritt, kann man davon ausgehen, dass einen eine Bremse erwischt hat. Unser Körper reagiert auf den Gerinnungshemmer im Bremsenspeichel. Die Insekten lieben Schweiß, weshalb sie gerne Sportlerinnen und Sportler anfliegen. Krankheiten können die Tiere laut Umweltbundesamt nicht übertragen.

Eichenprozessionsspinner

Immer mehr Menschen kommen mit den Gifthaaren der Eichenprozessionsspinner-Raupen in Kontakt. Durch den Klimawandel breitet sich die Art weiter in Deutschland aus. Weshalb Jogger und Spaziergänger Parks, Wälder und Straßen mit vielen Eichen ab Mai meiden oder sehr vorsichtig sein sollte.

Grasmilben

Grasmilben (Foto: Getty Images/Dzurag) vermehren sich extrem in Trockenphasen, weshalb sie auch in diesem Sommer verstärkt unterwegs sind. Beim Menschen bevorzugen sie warme und dünnhäutige Körperbereiche, wie Kniekehlen oder die Leistengegend. Ob man von ihr gebissen wurde, beweisen mehrere, kleine rote Pünktchen. Durch das Speichelsekret werden allergische Reaktionen wie Juckreiz, kleine harte Quaddeln, Pusteln und Hautrötungen ausgelöst. Bei sehr empfindlichen Menschen kann sich ein Ausschlag entwickeln, der nicht nur an der Bissstelle, sondern an verschiedenen Körperstellen auftritt.

Kriebelmücke

Kriebelmücken (Foto Getty Images/ViniSouza128) sind besonders fies, ihre Bisse sehr schmerzhaft, auch aufgrund der Zusammensetzungen ihres Speichels. Sie sind sogenannte Pool- und keine Stechsauger, beißen kleine Wunden in die Haut, in der sich das Blut sammelt, das sie dann absaugen. Die Einbiss-Stelle rötet sich, wird dick und juckt extrem. Manchmal wandert die Rötung auch. Die zwei bis sechs Zentimeter kleinen, buckeligen Tiere ähneln normalen Fliegen und stammen ursprünglich aus Skandinavien. Inzwischen sind in Deutschland rund fünfzig verschiedene Arten bekannt. Kriebelmücken halten sich am liebsten in der Nähe von Gewässern auf. Die positive Nachricht: Sie können keine Kleidung durchstechen, die schlechte: Die Mücken fliegen geräuschlos an, man spürt ihre Berührung kaum. Durch den direkten Kontakt der Mücke mit dem menschlichen Blut steigt das Risiko für Infektionen. Meist gelangen Bakterien aber erst durch Kratzen in die Wunde. Bei starken Schwellungen oder roten Streifen, die sich von der Stichstelle zum Körper hin ausbilden, sollte man ärztlichen Rat suchen. 

Tigermücken

Erstmals wurde die asiatische Tigermücke (Foto Getty Images/frank600), die wie der Namen schon verrät ursprünglich aus Asien stammt,  im Jahr 2007 in Deutschland nachgewiesen, an einer Autobahn-Raststätte bei Weil am Rhein. Mittlerweile gibt es die rund 3 bis 8 Millimeter kleine, schwarz-weiß gemusterte Mücke mit weißen Streifen an Hinterbeinen, Kopf und Rücken auch in anderen Bundesländern, vor allem in Frankfurt am Main, Jena, München und Fürth.  Mehr als zwanzig verschiedene Infektionen kann die Tigermücke mit ihrem Stich auslösen, darunter schwerwiegende Erkrankungen wie Gelbfieber und Denguefieber. Für den Dengue-Erreger heißt es vom Robert-Koch-Institut (RKI), dass in Deutschland zwar regional zumindest theoretisch für dessen Verbreitung geeignete Mücken gefunden wurden, die hiesigen klimatischen Bedingungen seien jedoch für Übertragungen bisher wenig geeignet. 

Heftiger können Stiche von Wespen und Bienen ausfallen: Von enormen Schwellungen, bis hin zu Schwindel, Atemnot, Herz-Kreislauf-Problemen und gar zum allergischen Schock – etwa fünf Prozent der Erwachsenen und bis zu einem Prozent der Kinder reagieren hierzulande allergisch auf das Gift von Wespen und Bienen. Innerhalb weniger Minuten können Insektenstiche bei Betroffenen lebensgefährliche Reaktionen auslösen. „Bei einem anaphylaktischem Schock reagiert das gesamte Immunsystem auf den Stich, dabei kommt es zu grippeähnlichen Symptomen bis hin zur Bewusstlosigkeit“, erklärt Hunzelmann. Dann sollte ein Notarzt gerufen werden, der Adrenalin verabreicht. Pro Jahr werden in Deutschland etwa 20 Todesfälle durch allergische Reaktionen auf Bienen-, Wespen- und Hornissenstiche gemeldet.

Sind exotische Mücken Schuld daran, dass es mehr allergische Reaktionen gibt?

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mahnte an, sich auch hierzulande auf neue, durch exotische Mücken verursachte Krankheiten einzustellen und die Ärzteschaft dafür zu sensibilisieren. „Der Klimawandel führt in Deutschland zu einer Ausdehnung der Lebensräume für Mücken- und Zeckenarten, die virale, bakterielle und parasitäre Infektionserreger übertragen könnten“, sagte Wieler der Funke Mediengruppe. Das könnten etwa Zika- oder Dengue-Viren sein. Auch das West-Nil-Virus sowie die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) nannte er als Beispiele.

Hinzukommt, dass sich exotische Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke, die 20 Virenarten übertragen kann, in weiten Teilen Europas und auch bei uns ausbreiten. Eingeschleppt wurde sie über den internationalen Waren- und Reiseverkehr. Laut Umweltbundesamt ist in den vergangenen Jahren in Südeuropa nach Stichen durch die Tigermücke wiederholt bei Menschen das Dengue-Fieber aufgetreten, in Italien, Spanien und Frankreich das Chikungunya-Fieber.

Nico Hunzelmann relativiert: „Wir befinden uns erst am Anfang einer Entwicklung, die natürlich  beobachtet werden muss. Zwar gibt es Einzelfälle, aber meiner Meinung nach sind exotische Mücken hierzulande noch kein aktuelles, klinisches Problem.“

Können auch Umweltgifte ursächlich sein?

„Nein, zumindest habe ich in meiner klinischen Laufbahn noch keine Allergie auf Pestizide oder Insektizide mitbekommen“. Die Konzentrationen, die über Insekten übertragen werden könnten, seien viel zu gering.

Warum sollte man auf keinen Fall kratzen?

„Beim Kratzen können Bakterien in die Wunde eintreten, die eine bakterielle Infektion begünstigen können, und dazu beitragen, dass sich eine Wundrose ausbreiten kann. Hat sich der Stich erst entzündet, fallen Schwellung, Schmerzen und Rötung an der Einstichstelle spürbar stärker aus als sonst. Im schlimmsten Fall kann es sogar zu einer Blutvergiftung kommen“, sagt Dermatologin Hölker.

Was wirkt gegen Insektenstiche, präventiv und als Behandlung?

„So genannte Repellentien, also Mittel, die Insekten oder Zecken abwehren, wirken prophylaktisch. Dabei ist zu bedenken, dass sie chemische Substanzen enthalten, wie DEET, das wiederum Allergien auslösen kann“, sagt Hunzelmann. Immer gut sei etwa beim Wald-, oder Wiesenspaziergang Kleidung, die Arme und Beine bedeckt. Hat all das nichts geholfen, sollte der Stich mit einem Desinfektionsmittel, kühlenden Gels, notfalls einer leichten Cortison-Salbe und wenn der Juckreiz besonders stark ausgeprägt ist mit Antihistaminika behandelt werden. Und ein Pflaster schützt die Wunde vor dem Kratzen.

Und was taugen Hausmittel?

„Wenn das Hausmittel, wie eine aufgeschnittene Zwiebel oder ein paar Tropfen Essig, dazu beiträgt, dass die Wunde weniger juckt und man dadurch weniger kratzt, ist dagegen nicht einzuwenden“ sagt Hölker. „Mit den Hausmitteln, die kühlen, wie Quarkwickel oder Kühlpads macht man nichts falsch", ergänzt Hunzelmann. Auch das betroffene Körperteil hochzulegen sei immer sinnvoll, „weil das zumindest tendenziell dafür sorgt, dass die Gewebsflüssigkeit leichter abfließen kann.“

Wann sollte man mit einem Insektenstich zum Arzt?

„Wenn die Stichwunde überwärmt ist, sich um sie herum eine hellrote, scharf begrenzte Rötung entwickelt, die größer wird oder sogar wandert, bei Fieber oder Schüttelfrost sollte man zeitnah einen Hautarzt oder eine Hautärztin aufsuchen, da im Fall einer Wundrose ein Antibiotikum verabreicht werden muss“, rät Hölker. Um zu beurteilen, ob die Rötung größer wird, hilft, sie mit einem wasserfesten Stift zu markieren. Ein roter Strich, der sich von der Wunde weg zur Körpermitte zieht, kann ein Hinweis auf eine Blutvergiftung sein, auch dann sei der Arztbesuch zwingend notwendig. Hunzelmann: „Bei schweren allergischen Symptomen wie Atemnot, Schwindel, Übelkeit, Durchfall und Herz-Kreislauf-Probleme muss unverzüglich der Notarzt gerufen werden.“ (mit dpa)

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