VerkaufsboomVitamine in Pillenform – guter Schutz vor Krankheit oder eher schädlich?

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Vitamin C soll vor Coronaviren schützen – behaupten Menschen in sozialen Medien. Doch was können Nahrungsergänzungsmittel wirklich?

  • Das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln boomt – 2018 wurde damit rund zwei Milliarden Euro Umsatz gemacht.
  • In sozialen Medien gelten Vitamine und andere Präparate als Heilmittel für alle möglichen Krankheiten, Vitamin C soll sogar vor Covid-19 schützen. Ist da etwas dran?
  • Wir haben eine Apothekerin gefragt. Christine Gitter hat sich intensiv mit Nahrungsergänzungsmitteln beschäftigt und erklärt, ob diese Krankheiten heilen können oder im Gegenteil eher schaden.

Köln – Vitamin C wird in sozialen Medien als wirksames Mittel gegen eine Covid-19-Infektion angepriesen. Es soll die Viren abtöten können – wofür es keine wissenschaftlichen Belege gibt. Verpackungen von solchen Präparaten ähneln oft derer von Arzneimitteln. Dabei sind es Nahrungsergänzungsmittel und keine Medikamente. Nichtsdestotrotz boomt das Geschäft damit – bei Bayer beispielsweise ist seit der Corona-Krise bei manchen Nahrungsergänzungsmitteln der Absatz drei- bis fünfmal so hoch, heißt es im „Handelsblatt“. Schon vor der Pandemie stiegen die Verkaufszahlen für Nahrungsergänzungsmittel allgemein: 2018 lag der Umsatz bei rund zwei Milliarden Euro – das sind fast sechs Prozent mehr als noch 2014, wie Daten des Statistikdienstleisters IQVIA zeigen.

Doch wie sinnvoll ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln? Können sie vor Krankheiten schützen? Oder im Gegenteil der Gesundheit schaden? Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Muss man sich über die Versorgung mit Mikronährstoffen und Vitaminen Gedanken machen, wenn man sich ausgewogen ernährt?

Christine Gitter ist Apothekerin und hat sich in ihrem Buch „Ist das gesund oder kann das weg?“ intensiv mit Nahrungsergänzungsmitteln beschäftigt. Damit Körper und Psyche rund laufen können, brauchen sie Vitamine, Spurenelemente und Mikronährstoffe. „Man kann es sich so vorstellen: Es sind kleine Zahnrädchen, die ineinander greifen und wenn eins wegfällt oder hakt, kann es das ganze System durcheinander bringen.“ Doch: Eine ausgewogene Ernährung sei der beste Garant für eine ausreichende Versorgung.

Einige Menschen nehmen Vitamine, weil sie denken, dass es sie vor Krankheiten schützen könnte. Ganz aktuell auch vor Covid-19. Ein Trugschluss?

„Nahrungsergänzungsmittel können nicht vor dem Coronavirus schützen, sie können per se nicht vor Krankheiten schützen beziehungsweise Erkrankungen gar heilen“, sagt Gitter. Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und die Verbraucherzentrale NRW weisen darauf hin, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht vor Coronaviren schützen können. Das Ernährungsministerium warnt ausdrücklich vor irreführender Werbung auf Nahrungsergänzungsmitteln, die suggeriere, dass sie vor Coronaviren schützen würden.  

Christine Gitter weiß: „Natürlich ist es so, dass ein zu niedriger Zinkspiegel oder ein Vitamin-C-Mangel das Immunsystem schwächt.“ Hat jemand keinen Mangel, helfe die Einnahme von Vitamin C oder Zink nicht. Heißt: „Wenn der Tank bei unserem Auto einigermaßen gefüllt ist, fährt es ja nicht schneller, weil wir noch mehr Benzin in den Tank füllen – so kann man es sich auch bei der Vitaminaufnahme vorstellen.“

Können Nahrungsergänzungsmittel uns sogar krank machen?

„Handelt es sich um gängige Vitamine, Mikronährstoffe und Spurenelemente ist die Gefahr überschaubar, wenn ich die empfohlene Höchstdosis nicht immens und über einen längeren Zeitraum überschreite.“ Wer Nahrungsergänzungsmittel einnehmen möchte, sollte vorher besser seine Werte prüfen lassen. Ein dauerhaft zu hoher Vitamin-B12-Spiegel beispielsweise, könnte das Risiko für Lungenkrebs erhöhen, erklärt Gitter. Das Bundesinstitut für Risikobewertung verweist zum Beispiel darauf, dass eine extreme Überdosierung von Vitamin D zur Bildung von Nierensteinen oder einer Nierenverkalkung führen könnte.

Christine Gitter rät bei Nahrungsergänzungsmitteln mit pflanzlichen Inhaltsstoffen zur Vorsicht. Der Grund: Die Hersteller sind nicht verpflichtet, ihr Produkt auf Rückstände von sogenannten Pyrrolizdinalkaloiden zu testen. „Das sind Stoffe, die Pflanzen selbst herstellen, um Schädlinge abzuwehren. Sie schädigen die menschliche Leber und stehen in Verdacht Krebs auszulösen“, erklärt die Apothekerin.

Woran können Verbraucher gute Präparate erkennen? Woher kann man wissen, welche Inhaltsstoffe gut sind?

„Dem Verbraucher wird es sehr schwer gemacht, denn es gibt keine gesetzlichen Vorgaben welche Kombinationen bei Nahrungsergänzungsmitteln überhaupt Sinn ergeben. Verbraucher stehen ziemlich verloren da“, meint Gitter. Die Apothekerin plädiert dafür, dass Nahrungsergänzungsmittel einen ähnlichen, nicht ganz so aufwendigen Zulassungsprozess durchlaufen müssten, wie Medikamente.

Was sich Verbraucher auch bewusst machen müssten, sei, dass jeder Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen kann: „Es ist keine medizinische oder pharmazeutische Ausbildung gesetzlich vorgeschrieben. Heißt: Auch ein Kfz-Mechaniker könnte beispielsweise Vitamine auf den Markt bringen. Schaut man sich im Internet um, was dort ungeprüft verkauft wird, stellen sich mir die Nackenhaare auf“, sagt die Expertin. Nahrungsergänzungsmittel fallen unter Lebensmittel und müssen deshalb nur beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angemeldet werden. Ihre Wirksamkeit muss anders als bei Arzneimitteln nicht nachgewiesen werden. Deshalb ist eine gesundheitsbezogene Werbung auch verboten.

Sind Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke besser als die aus der Drogerie?

Christine Gitter rät zum Kauf in der Apotheke, weil sie und ihre Kollegen eine pharmazeutische Ausbildung haben und Verbraucher besser beraten könnten, als das Verkaufspersonal in Drogerien. Die Präparate in der Drogerie seien nicht generell schlechter. Aber nicht jedes Nahrungsergänzungsmittel schaffe es in die Apotheke: „Wir schauen uns die Präparate an und wählen nur solche von seriösen Herstellern aus.“

Ein Vitaminmangel macht sich oft durch ähnliche Symptome bemerkbar. Ob mir Vitamin C, D oder Eisen fehlt, kann ich als Verbraucher schwer einschätzen. Sollte ich regelmäßige Blutuntersuchungen machen lassen? Und alle wichtigen Vitamine testen lassen?

„Es ist nicht für jedermann- oder frau sinnvoll, alle Vitamine und Spurenelemente durchtesten zu lassen. Fühle ich mich ständig müde oder schlapp, sollte ich das mit meinem Hausarzt besprechen, denn es gibt Krankheiten, die dahinter stecken können, wie etwa eine Schilddrüsenunterfunktion“, sagt Gitter. „Was ich allen Menschen empfehle, ist die Messung des Vitamin D-Spiegels.“

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Vitamin-Tests für zu Hause – eine gute Alternative?

Die Tests seien eher ungenau. Es gibt einige Fehlerquellen: falsche Blutabnahme oder ein langer Postweg. „Am Ende haben Verbraucher ein Testergebnis mit dem sie nichts anfangen können. Sie kennen die Ursache für den Mangel nicht: es könnte eine Krankheit, eine regelmäßige Medikamenteneinnahme oder eine einseitige Ernährung dafür verantwortlich sein“, erklärt die Expertin. Besser sei der Gang zum Arzt.

Wann kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll sein?

Zum Beispiel, wenn man sich hauptsächlich in geschlossenen Räumen aufhält, dann sieht es mit der Vitamin D-Versorgung nicht so gut aus. „Der Körper produziert es über die eigene Haut, das ist aber nur durch Sonneneinstrahlung möglich.“ Auch chronische Entzündungen oder Erkrankungen können sich negativ auf die Aufnahme von Vitaminen und Mikronährstoffen auswirken. Oder die Einnahme bestimmter Medikamente können die Speicher leeren. Veganer müssen zum Beispiel Vitamin B12 einnehmen.

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Christine Gitter geht in ihrem Buch „Ist das gesund oder kann das weg?” auf zahlreiche Vitamine und Nährstoffe ein. Sie erklärt, wann eine Einnahme sinnvoll sein kann und ob Nahrungsergänzungsmittel bei schweren Krankheiten helfen. Es ist im Droemer-Verlag erschienen und kostet 18 Euro.

Foto: Droemer

Veganer sollten Vitamin B12 supplementieren. Es gibt es in Lutschtabletten, Kapseln, in Zahnpasta oder in flüssiger Form. Woher wissen Verbraucher welche Form am besten ist?

„Eindeutig sagen kann ich, dass die Zahnpasta komplett sinnlos ist – die Menge reicht schlicht nicht aus, um genug Vitamin B12 über die Mundschleimhaut aufzunehmen und schlucken möchte die Zahncreme sicher niemand“, erklärt Gitter. Ob Tabletten oder flüssig; das könne nach Belieben gewählt werden. Wichtig sei, dass vegan lebende Menschen ihren Vitamin-B12-Spiegel einmal im Jahr prüfen lassen.

Was muss ich beachten, wenn ich regelmäßig Medikamente nehmen?

Die Einnahme vom Magensäureblockern (Protonenpumpenhemmer) können Einfluss auf den Vitamin-B12-Spiegel haben – er werde meist gesenkt. „Wir benötigen die Magensäure, um das Vitamin B12 aus der Nahrung aufspalten zu können.“ Entwässernde Medikamente können den Elektrolythaushalt beeinflussen, also Natrium, Magnesium und Kalium. „Die werden in den meisten Fällen vermehrt ausgeschwemmt, deshalb sollten die Werte regelmäßig vom Arzt geprüft werden“, sagt Gitter. Eine Kortisoneinnahme kann einen Kalziummangel nach sich ziehen.

Aber auch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln kann sich negativ auf die Wirkung von Medikamenten auswirken. „Beispielsweise sollte Eisen nie zusammen mit Schilddrüsenhormonen genommen werden. Man sollte die Schilddrüsentablette am Morgen nehmen und das Eisen am Abend“, erklärt die Apothekerin.

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