RechtsfrageWarum kann es Jahre dauern, bis ein Urteil vollstreckt wird?

Das Urteil ist gesprochen – aber bis zur Vollstreckung kann es noch dauern.
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- In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
- Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
- Diesmal erklärt Pia Lorenz, warum es länger, manchmal sogar Jahre dauern kann, bis ein Urteil vollstreckt wird.
Köln – Aus einem Bilanzbetrugsverfahren erfolgte ein Urteilsspruch am LG Mannheim am 31. März des vergangenen Jahres. Bis heute ist aus diesem Urteil keine Vollstreckung vollzogen worden. Ist das in Ordnung? Lässt unser Rechtssystem diese zeitliche Verzögerung zu, auch falls Berufung gegen dieses Urteil erhoben wird?

Pia Lorenz ist Geschäftsführerin der Lawgentur in Köln. Zuvor war die Rechtsanwältin 11 Jahre lang Chefredakteurin des digitalen Rechtsmagazins „Legal Tribune Online“ .
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Die Rechtsfolgen, die ein Richter im Urteil ausspricht, können grundsätzlich erst vollstreckt, also mit staatlicher Hilfe durchgesetzt werden, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Erst dann ist es endgültig und unanfechtbar in der Welt. Rechtskraft tritt ein, wenn innerhalb einer bestimmten Frist niemand Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt. Dann geht die Rechtsordnung davon aus, dass alle Beteiligten die Entscheidung akzeptieren. Legt ein Beteiligter Berufung oder Revision ein, wird das Urteil erst rechtskräftig und vollstreckbar, wenn auch die übergeordneten Gerichte es überprüft haben.
Im Strafrecht, wo der Staat dem Angeklagten eine Straftat zur Last legt und ihm mit gegebenenfalls massiven Geld- oder sogar Freiheitsstrafen droht, gibt es von dieser Regel keine Ausnahme. Sonst müsste ein Angeklagter womöglich in Haft, obwohl sich in der nächsten Instanz herausstellt, dass er unschuldig ist. Keine Vollstreckung ist die Untersuchungshaft, die bei schweren Straftaten vor und während des Prozesses angeordnet wird, wenn Flucht- oder Verdunklungsgefahr besteht. Sie soll vielmehr verhindern, dass der Angeklagte sich dem Strafprozess entzieht.
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Da Sie von einem „Bilanzbetrugsverfahren“ sprechen, gehe ich davon aus, dass Sie eine Verurteilung wegen Bilanzfälschung meinen, also eine strafrechtliche Verurteilung zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe wegen der Verfälschung von Jahresabschlüssen eines Unternehmens. Dagegen ist jedenfalls noch eine Revision möglich, entweder zum Bundesgerichtshof, wenn das Landgericht Mannheim das erste Gericht war, das mit der Sache befasst wurde, oder aber zum Oberlandesgericht, wenn das Landgericht als zweite Instanz über die Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts entschieden hat. Die Strafe kann also, wenn jemand Revision eingelegt hat, erst dann vollstreckt werden, wenn das höchste Gericht im Instanzenzug entschieden hat. Leider dauern Strafverfahren, die sich über mehrere Instanzen ziehen, häufig relativ lang. Es können gut und gern einige Jahre vergehen, bis ein Urteil rechtskräftig wird. Und so lange dauert es dann eben auch, bis daraus vollstreckt werden kann.
Rechtsmittel einlegen
Im Zivilrecht, einem Prozess zwischen privaten Beteiligten oder Unternehmen, in dem es nur um Geld oder Sachen geht, kann eine Partei dagegen vorläufig vollstrecken, auch wenn Rechtsmittel eingelegt wurden. Steht im Urteil, dass ein Unternehmen eine Maschine herausgeben muss, urteilt das Gericht auch, wie die klagende Firma sich diese schon jetzt - notfalls per Gerichtsvollzieher - holen kann. Sie muss dazu in der Regel eine Sicherheit leisten, denn die zweite Instanz könnte ja anders entscheiden. Und beide Seiten könnten während des Instanzenzugs in die Insolvenz gehen.
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Wenn das LG Mannheim also jemanden zivilrechtlich wegen einer Bilanzfälschung verurteilt hat, kann der Gläubiger unter den im Urteil angeordneten Voraussetzungen vorläufig vollstrecken, auch wenn Rechtsmittel eingelegt wurden. Er muss das aber nicht. Er kann auch bis zum Abschluss aller Instanzen warten. Gewinnt er dann, kann er vollstrecken, ohne Sicherheiten hinterlegen zu müssen.