Recht und OrdnungUnterlassene Hilfeleistung – Warum das so hart bestraft werden kann

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Fahrradunfall Symbolbild

Wer in bestimmten Situationen nicht hilft, kann sich strafbar machen. (Symbolbild)

  • In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
  • Eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und zwei Rechtsanwältinnen erläutern regelmäßig aktuelle Rechtsfragen.
  • Diesmal erklärt Staatsanwältin Laura Hollmann, warum unterlassene Hilfeleistung genauso hart bestraft werden kann wie das Begehen einer Tat.

Ganz ausdrücklich ist es im Paragrafen 323c des Strafgesetzbuchs geregelt: Die Vorschrift stellt die unterlassene Hilfeleistung in einer spezifischen Gefahrenlage unter Strafe, beispielsweise nach einem Verkehrsunfall oder einer Naturkatastrophe. Sie richtet sich an jedermann, also auch an bis dahin Unbeteiligte. Voraussetzung ist nur, dass die Hilfe erforderlich und den Umständen nach zumutbar ist.

Wer sich als Helfender selbst in erhebliche eigene Gefahr brächte, ist nicht zum Eingreifen verpflichtet: Ein Nichtschwimmer muss nicht in den See springen, um einen Ertrinkenden zu retten. Dem Augenzeugen eines Verkehrsunfalls aber dürfte es in der Regel zuzumuten sein, zumindest den Notruf zu wählen. Unterlässt er dies, macht er sich strafbar.

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Foto: David Young

Laura Hollmann ist als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf tätig und dort für erwachsene Intensivtäter und Umfangsverfahren zuständig. Sie ist sie stellvertretende Pressesprecherin der Behörde.

Daneben gibt es noch eine weitere Regelung, die das Unterlassen unter gewissen Umständen unter Strafe stellt: Gemäß Paragraf 13 des Strafgesetzbuchs ist nämlich auch das „Begehen durch Unterlassen“ strafbewehrt. Gemeint sind die Fälle, in denen jemand rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter „Erfolg“ nicht eintritt und es dennoch unterlässt. Entgegen der ersten Assoziation ist „Erfolg“ im Strafrecht selten etwas Positives – vielmehr sind damit Tod, Gesundheits- oder Vermögensschaden eines anderen gemeint, also das, was durch die Verbotsnorm gerade verhindert werden soll.

Beispiel: Bademeister können sich wegen Totschlags strafbar machen

Wegen dieser Vorschrift kann sich wegen Totschlags nicht nur derjenige strafbar machen, der jemand anderen erschießt – also durch aktives Handeln tötet – sondern unter Umständen auch derjenige, der den Tod trotz bestehender Verpflichtung nicht verhindert. Dann eben durch Unterlassen. Um an das oben genannte Beispiel anzuknüpfen: Der Bademeister, der, obwohl es ihm möglich wäre, nicht ins Wasser springt, um den Ertrinkenden zu retten, und weiß, dass derjenige ohne Hilfe sterben wird, kann sich wegen Totschlags strafbar machen – einfach indem er nichts tut.

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Es stellt sich daher die Frage, wer in welcher Situation für etwas einzustehen hat. Der juristische Fachausdruck dafür ist die „Garantenstellung“. Im Laufe der Zeit haben Rechtsprechung und Lehre einige Kriterien entwickelt, die eine solche Garantenstellung begründen und so eine mögliche Strafbarkeit des Unterlassenden zur Folge haben: So sollen Ehepartner Gefahren von einander und Eltern solche von ihren Kindern abwenden. Ärzte und Krankenpfleger haben eine Verpflichtung gegenüber ihren Patienten. Polizeibeamte müssen in der Regel bei gravierenden Rechtsverstößen eingreifen, auch wenn sie gerade außer Dienst sind. Schulleiterinnen und Schulleiter sind verpflichtet, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen vor Gesundheitsschäden zu schützen.

Eine Garantenstellung kann sich zudem aus der sogenannten Ingerenz ergeben – etwa wenn jemand die Gefahr, in die ein anderer gerät, selbst herbeigeführt hat. Der betrunkene Autofahrer, der einen Radler anfährt und lebensgefährlich verletzt, muss alles ihm Mögliche tun, um das Leben des Unfallopfers zu retten.

Diese Auflistung ist längst nicht abschließend. Letztlich muss – wie immer im Strafrecht – der Einzelfall geprüft werden. In letzter Zeit wurde zum Beispiel diskutiert, ob sich Kirchenobere strafbar machen können, wenn sie ihnen bekannte Missbrauchstäter im Priesterstand nicht wirksam kontrollieren oder aus dem Verkehr ziehen.

Die Rechtsfolgen für Untätigkeit können erheblich sein: Das Begehen durch Unterlassen kann genauso bestraft werden wie aktives Tun. Der Arzt, der seinen lebensgefährlich verletzten Patienten nicht operiert, obwohl es ihm möglich und zumutbar gewesen wäre, und der es billigend in Kauf nimmt, dass der Patient deshalb verstirbt, kann nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern auch wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren verurteilt werden.

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