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1994: „Da kann man ihn ja nicht decken”

4 min

Immer mitten drin: Abwehrrecke Jürgen Kohler (2.v.r.) im Eröffnungsspiel der WM 1994 gegen Bolivien.

In unserer Serie sprechen wir mit Fußballern aus der Region über die großen Turniere. Mit Jürgen Kohler unterhielt sich Martin Sauerborn über die WM in den USA.

Herr Kohler, ich würde gerne mit Ihnen über die 79. Minute des Viertelfinals sprechen.

Ja, das war ein schöner Kopfballtreffer von Yordan Letchkov, der damals ja beim HSV spielte. Eine unglückliche Situation, weil mit Icke Häßler ausgerechnet unser kleinster Spieler gegen Letchkov stand.

Warum dieses Missgeschick?

Normalerweise spielte Thomas Berthold rechts, aber in diesem Fall hat er auf der anderen Seite eingegriffen. Dadurch kam die Unordnung und die war das Problem.

Apropos Probleme, Sie hatten keine mit Ihrem Gegenspieler Hristo Stoitchkov, damals Superstar beim FC Barcelona?

Kaum. Vor dem Spiel hatte Berti Vogts mir gesagt, ich sollte Stoitchkov aus dem Spiel nehmen. Er hat, glaube ich, von 20 Zweikämpfen gegen mich 18 verloren.

Aber das wichtige 1:1 erzielt . . .

Das war ein direkter Freistoß, da kann man ihn ja nicht decken. Und er zirkelt das Ding auch super rein.

. . . wobei Bodo Illgner im Tor schlecht aussah?

Das kann ich nicht beurteilen, ich habe nie im Tor gespielt. Und ein Torwart hat ja immer seinen eigenen Blickwinkel.

Überlegen gespielt gegen stehend k.o. wirkende Bulgaren. Warum hat die deutsche Elf das Spiel 1:2 verloren?

Wir hatten bis zum 1:1 eine gute Leistung gezeigt. Wenn der Schiedsrichter das meiner Ansicht nach reguläre Tor von Rudi Völler zum 2:0 gibt, ist das Ding gegessen und wir stehen im Halbfinale. So sind wir gegen die Bulgaren für alle unsere Fehler während des Turniers bestraft worden.

Stimmt, die Mannschaft konnte nie wirklich überzeugen?

Die WM ist nicht so optimal gelaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das hatte viele Gründe.

Welche?

Aufgrund von Verletzungen im Vorfeld der WM musste umgestellt werden. Das hat Unruhe ins Team gebracht. So kam etwa Lothar Matthäus noch mit zur WM, obwohl er lange verletzt und Olaf Thon gesetzt war. Dann hat sich Thon aber verletzt und Lothar war dabei. Oder, dass ein Maurizio Gaudino sehr gut trainiert und nicht gespielt hat, obwohl Andy Möller seine Form nicht fand. Außerdem stand Berti enorm unter Druck, weil Franz Beckenbauer 1990 gesagt hatte, dass die deutsche Mannschaft auf Jahre hinaus unschlagbar sei.

. . . und es gab Stefan Effenberg und seinen Stinkefinger im Spiel gegen Südkorea?

Menschlich war Stefans Reaktion nach den Beschimpfungen der Fans nachvollziehbar, aber als Profi muss man natürlich auf solche Provokationen anders reagieren können.

Es heißt, der Spielerrat und Berti Vogts hätten sich gegen eine Suspendierung von Effenberg ausgesprochen. Es sei eine Entscheidung von DFB-Präsident Egidius Braun gewesen?

Davon weiß ich nichts. Ich habe in meiner Karriere nie Einfluss auf Entscheidungen außerhalb des Platzes genommen. Ich habe mich auf das Wesentliche konzentriert und das findet auf dem Rasen statt.

Gab es nicht auch Ärger zwischen Vogts und den Spielerfrauen?

Ja, da war etwas mit den Frauen von Illgner und Häßler. Aber wir waren ja auch geradezu hermetisch abgeriegelt, konnten nicht raus und haben kaum etwas von Land und Leuten gesehen.

Im Gegensatz zur WM 1990 in Italien?

Richtig, das war eine ganz andere Atmosphäre. Irgendwie heimischer, weil viele von uns ja auch in Italien gespielt haben und wir dicht an Deutschland waren. Die USA sind halt weit weg von zu Hause.

. . . und Sie hatten mit dem Klima zu kämpfen?

Allerdings. Gegen Südkorea in Dallas hatten wir mittags bei Spielbeginn so um die 50 Grad. Da haben uns schon bei der Hymne die Socken gebrannt.

War die WM in den USA eine Enttäuschung für Sie?

Unsere Leistung war sicher zu keinem Zeitpunkt optimal. Das beste Spiel war noch das 1:0 gegen Bolivien. Aber ich habe bei dieser WM genauso wichtige Erfahrungen gesammelt wie 1990 und 1998. Und auch ein Stefan Effenberg hat seine Lehren gezogen und ist danach groß rausgekommen.

Welche positive Erinnerung haben Sie an das Turnier ´94?

Ein Besuch mit meiner Familie bei einem amerikanischen McDonald´s. Das war schon beeindruckend.

Herr Kohler, vielen Dank für das Gespräch.