„Anstößiges Verhalten“ auf Grabrelief
PARIS. Der berühmte, 200 Jahre alte Pariser Friedhof Pere Lachaise ist nicht nur eine Oase der Ruhe mitten im hektischen Trubel von Paris, wo zerbrochene Steinsarkophage und schiefe Grabplatten zwischen alten Eichenbäumen dahindämmern. Er ist auch eine Pilgerstätte. Schließlich liegen auf dem weitläufigen Gelände zahllose Berühmtheiten begraben - von Molière über Balzac, Chopin, Delacroix, Ingres, Proust bis hin zu Maria Callas, Edith Piaff, Yves Montand und Jim Morrisson.
Allerdings kann der Kult um einige der Toten so ausgefallen sein, dass die Friedhofsverwaltung einige Grabstätten unter Bewachung stellen musste. Eine ist die letzte Ruhestätte von Jim Morrisson. Bereits vor einem Jahr wurde der Doors-Sänger - seit 32 Jahren tot - hinter Gitter gesteckt und seither von einem uniformierten Aufpasser bewacht. Groupies aus aller Welt hatten an seinem Grab regelmäßig Alkoholgelage veranstaltet.
Hinter Gittern aber ruht seit neustem auch Victor Noir. Noch nie gehört? Nun, Victor Noir hieß eigentlich Yvan Salomon, war Journalist und starb wegen seiner anti-kaiserlichen Einstellung eines sehr frühen Todes. 1870 jagte Prinz Pierre Bonaparte, Vetter von Napoleon III., dem gerade 22-jährigen Victor eine Kugel in den Kopf. Da der Journalist jedoch einen Bildhauer zu seinen Freunden zählte, kam er zu einer ganz besonderen Grabplatte. Als auf dem Rücken liegendes Halbrelief in Bronze verewigte Jules Dalou den jungen Mann - lebensgroß und in den Kleidern seines Todestages.
Die Mode um 1870 freilich wollte, dass die Herren in recht eng anliegenden Beinkleidern herumliefen. Und glaubt man Bildhauer Dalou, dann war sein Freund Noir „unten herum“ ausgesprochen gut bestückt. Absolut unübersehbar jedenfalls ist die Bronzeausbuchtung im Schritt der liegenden Skulptur. Diese Beule nun hat das Grabmal von Victor Noir zu einer Pilgerstätte für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch gemacht.
Die Legende, dass eine Berührung der Skulptur von Unfruchtbarkeit heile, tauchte zwar erst vor etwa 50 Jahren auf. Seither jedoch nahm der Strom weiblicher Besucher der Grabstätte ständig zu. Besucherinnen wohlgemerkt, die es nicht bei einem stillen Gebet belassen. Vielmehr pflegen sich die Damen ekstatisch auf das Halbrelief zu werfen - was in der Vergangenheit zu einer Häufung von Klagen pikierter Friedhofsgänger führte.
Die Friedhofverwaltung beließ es übrigens nicht bei einem Gitter, mit welchem das Grab von Victor Noir nun eingezäunt ist. Ein Schild weist zusätzlich darauf hin, dass „anstößiges Verhalten“ strafrechtliche Konsequenzen habe. Denn die halbhohen Gitter werden wahrhaft fanatischen Pilgerinnen wohl nur wenig Einhalt gebieten.