Aus dem Archiv„Stephan ist immer um mich herum“
Vor fünf Jahren, am 31. März 2001, wurde Stephan Schramma, der Sohn von OB Fritz Schramma, durch einen tragischen Verkehrsunfall getötet. Mit Stephans Mutter Ulla und seiner damaligen Verlobten Claudia Breu sprach Stefan Volberg.
Frage: Wie geht es Ihnen?
Breu: „Phantastisch“, sage ich oft auf diese Frage - nein, das ist natürlich gar nicht so. Ich habe fünf harte Jahre gekämpft und dachte, das schaffe ich. Aber gerade jetzt ist es wieder schwer. Als wir am Sonntag zum Jahrgedächtnis in die Kirche gegangen sind, war ich ganz fertig, dabei sollte man denken, es muss doch mal besser werden.
Schramma: Ich habe meinen Weg finden müssen. Anfänglich hatte ich einen schweren Durchhänger, bis mir meine Tochter Claudia einen Brief geschrieben und darin gesagt hat: „Stephan hätte das nicht gewollt.“ Da wurde mir klar, dass ich ja zwei Kinder habe. Und ich habe mich erinnert, dass mein Bruder starb, als ich 30 war; danach hat meine Mutter nichts mehr gemacht, nichts gegessen. Ein halbes Jahr später war auch sie tot.
Frage: Wenn man gerade nicht an Stephan denkt - überfällt einen dann plötzlich das Bewusstsein, dass er tot ist?
Breu: Nein. Wenn man ein Stück Schokolade sieht, denkt man daran, was er gern gegessen hat, bei einer Farbe oder bei Musik, welche er geliebt hat.
Schramma: Man denkt ständig an ihn. Ich kann bis heute keine Cornflakes essen, die er so sehr mochte und die ich ihm manchmal morgens zubereitet habe.
Breu: Ich habe das Gefühl, dass Stephan immer um mich herum ist.
Schramma: Wie es neulich in einer Todesanzeige hieß: „Die Liebe höret niemals auf.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf.
Frage: Haben Sie sich mit Stephans Tod abgefunden?
Breu: Man hat es akzeptiert und muss sehen, wie man damit klarkommt.
Frage: Ohne die Trauer von Claudia Breu kleinreden zu wollen: Ist es das Schlimmste, was einem passieren kann, das eigene Kind zu verlieren?
Schramma: Ja. Dass das Kind vor einem stirbt, ist die falsche Reihenfolge. Wenn ich an Stephans Grab gehe, denke ich manchmal: Eigentlich müsste doch er an mein Grab kommen!
Frage: Sie sind beide umgezogen. Hat Ihnen das geholfen?
Schramma: Ich konnte damals einfach nicht mehr. Es lief der 3. Prozess gegen die beiden Unfallfahrer. . .
Frage: . . . die mit einer Bewährungsstrafe davonkamen. Was empfinden Sie denen gegenüber?
Schramma: Einfach Hass. Ich bin nicht auf Rache aus. Aber wenn ich daran denke, wie die gähnend im Gericht saßen. . . Die haben vermutlich längst ihren Führerschein wieder und werden auf die Menschheit losgelassen. Nein, da bin ich nicht wie Mutter Teresa, vergeben kann ich denen nicht.
Breu: Ich empfinde gar nichts. An die verschwende ich keinen großen Gedanken.
Schramma: Ich war damals in unserem Haus in Ossendorf ständig präsent, hatte jeden Tag 30 Leute auf der Matte stehen, die mir für meinen Mann ausrichteten, er solle sich um diesen oder jenen schief liegenden Kanaldeckel kümmern. Da sind die Leute erbarmungslos gedankenlos, die sprachen meinen Mann sogar auf dem Friedhof mit solchen Sachen an. Ich habe meinem Mann die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: Ich muss hier weg, ich brauche eine Höhle, in die ich mich zurückziehen kann.
Frage: Und die haben Sie in dem neuen Haus gefunden?
Schramma: Ja.
Breu: Ich bin umgezogen und habe alle Sachen von Stephan mitgenommen. Da gibt es aber viele, die einem Ratschläge geben wollen.
Schramma: Jeder muss da selbst entscheiden. Claudia Breu, mein Mann, unsere Tochter Claudia, ich: Jeder trauert anders. Das ist wie mit körperlichen Schmerzen, die auch jeder allein aushalten muss. In der Trauer ist letztlich jeder allein.
Frage: Gibt es bestimmte Gelegenheiten oder Termine, bei denen die Erinnerung besonders schmerzlich ist?
Schramma: Die Woche vor dem Jahrgedächtnis oder Stephans Geburtstag im August.
Breu: Bei mir ist es der Frühling, wenn alle sich auf das schöne Wetter freuen, da kriege ich die Krise.
Frage: Hilft Ihnen Ihr christlicher Glaube?
Schramma: „Großer Gott, wir loben Dich“ könnte ich nicht singen, da würde ich ersticken. Ich frage mich oft: Wofür wurde ich so bestraft? Stephans Tod hat bei mir Zweifel geweckt. Allerdings: Wir sind nicht die einzigen Eltern, denen das widerfahren ist. Ich bin von meinen Eltern zur Disziplin erzogen worden, und diese Disziplin hat mir auch geholfen, wenn ich dachte: Reiß dich zusammen, weine nur zu Hause, bloß nicht draußen.
Frage: Woran können Sie sich freuen?
Breu: Ich habe gerade ein Fotobuch gestaltet, das zeigt, was ich bin und woraus ich Kraft schöpfe: Malerei, Schneiderei, Kochen, Backen, Gäste, Blumen, Garten, Silberschmiedearbeiten, Tee machen, Musik hören. Dafür hatte ich vor dem Unfall durch meinen Job als Augenoptikermeisterin wenig Zeit.
Schramma: Ich kann mich intensiv an der Natur freuen oder daran, wenn es meiner Familie gut geht, und an Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind. Da gibt es eine Freundin, mit der kann ich wie mit Stephan über alles reden. Meine Arbeit als Vorsitzende der Opferhilfe ist manchmal belastend, aber wenn man jemandem helfen kann, der völlig am Boden war und sich wieder bekrabbelt, dann ist das ein Superlohn.
Frage: Gibt es auch freudige Erinnerungen an Stephan?
Schramma: Natürlich, wenn man an Späße denkt, die er gemacht hat, dann lacht man.
Breu: Man erinnert sich an schöne Sachen. Traurig und schlimm ist, was jetzt ist. Aber es wäre heute nicht so schlimm, wenn es damals nicht so schön gewesen wäre.