BestattungTrauergästen die Leviten gelesen
KOMMERN – Seit über 30 Jahren ist der Kommerner Bestatter Richard Ernst nun im Geschäft. „Ich bin Kreisverbandsvorsitzender der Bestatter, ich bin im Landesverband aktiv und komme als Prüfer für den Bundesverband mit vielen Kollegen zusammen, wo man so manche Geschichte hört. Aber so etwas habe ich noch nie gehört.“ Geschweige denn, dass es in der über 100-jährigen Geschichte des Kommerner Familienunternehmens so etwas gegeben hat. In Kommern und Mechernich gab es gestern kaum ein anderes Thema als die morgendliche Abschiedsfeier in der Trauerhalle Ernst.
Abschied nahm eine große Menschenschar von einem Angehörigen, Freund und Mitbürger, der auch durch sein soziales Engagement einige Bekanntheit in der Stadt Mechernich erlangt hatte. Rund 200 Leute quetschten sich in die Trauerhalle, an deren Stirnseite die Urne und ein großes Foto des Verstorbenen aufgestellt waren. Da aber weitere 100 Trauergäste drinnen keinen Platz gefunden hatten, übertrug der Bestatter die Zeremonie mit einer Beschallungsanlage auch nach draußen vor die Trauerhalle.
Gleich zu Beginn der Abschiedsfeier wurde deutlich, dass diese keineswegs einen gewohnten und üblichen Gang nehmen würde. Unterlegt mit selbst zusammengestellter Musik, richtete der Verstorbene nämlich selbst die Worte an die Trauergemeinde. Sowohl die Fotos als auch seine Abschiedsworte, die er auf zwei CDs aufgenommen und mit der Musik unterlegt hatte, hatte er vor geraumer Zeit dem Bestatter mit genauen Instruktionen für den Ablauf der Verabschiedungsfeier im Falle seines Dahinscheidens übergeben. Auf keinen Fall wolle er, dass jemand neben seiner Urne stehe und eine Trauerrede über ihn halte.
Kein Blatt vor den
Mund genommen
Ernst: „Es wurde mucksmäuschenstill, als plötzlich seine Stimme aus den Lautsprechern ertönte.“ Und mucksmäuschenstill blieb es eine ganze Stunde lang - wenn auch die Farbe aus so manchem Gesicht wich. Denn der Verstorbene, schon zu Lebzeiten dafür bekannt, ein Mensch der klaren Worte gewesen zu sein, nahm auch in der Abschiedsrede kein Blatt vor den Mund. Und dabei sprach er nicht nur vorbehaltlos über sich und das eigene Leben, er richtete auch das Wort an Angehörige, Freunde und an Mechernicher Mitbürger. „Es war sehr ergreifend“, sagte Ernst. Nicht nur das. Der Verstorbene nutzte seine letzten Worte, um manch einem seiner Mitbürger mit deutlichen Worten aus der Urne heraus die Leviten zu lesen und deren aus seiner Sicht negative Wesenszüge oder Verfehlungen anzuprangern. Auf diese Weise erfuhr so mancher Mechernicher posthum, was der Verstorbene von ihm gehalten hatte.
So ungewöhnlich wie die Trauerfeier selbst war auch das Ende. Nachdem die Stimme verstummt war, habe atemlose Stille geherrscht. „Dann sind die Leute aufgestanden und haben lange applaudiert“, sagte Ernst, der gemeinsam mit dem Bruder des Verstorbenen danach die Urne zur Bestattung zum Iversheimer Friedwald brachte. Dorthin folgte ihnen auch die Hälfte der Trauergäste, die an der Verabschiedungsfeier teilgenommen hatten.
Bestatter Ernst, der den Verstorbenen gekannt hatte, hatte gewusst, was auf die Trauergäste zukommen würde. Er hatte sich zuvor die CDs angehört und die Familie informiert, dass die Worte des Verstorbenen teils recht drastisch ausgefallen seien. Die Familie habe das aber akzeptiert. Er habe im Leben stets klar seine Meinung gesagt, dann solle er das auch bei seinen eigenen Abschiedsworten dürfen.