Boris NotzonDer Chef-Analyst des 1. FC Köln

An der modernen Taktiktafel kann Boris Notzon jeden einzelnen Spielzug des 1. FC Köln analysieren. Der Lommersumer arbeitet 60 Stunden in der Woche für seinen Club. Video-Analysen und Scouting gehören zu seinen Aufgabenfeldern. (Foto: privat)
Copyright: Lizenz
LOMMERSUM – Dort, wo früher nur ein heruntergekommener Schuppen war, in dem Traktoren zur Rasenpflege standen, ist heute ein großes, geheimnisvoll wirkendes Fußballlabor. Die Traktoren sind mittlerweile verschwunden. Stattdessen stehen auf dem Dach des Geißbockheims zahlreiche Satellitenschüsseln und unter der Tribüne des altehrwürdigen Franz-Kremer-Stadions ist so etwas wie eine Geheimdienstzentrale entstanden.
„Fußball verändert sich nicht, aber die Technik“, sagt Boris Notzon, während er auf einen imposanten, interaktiven Monitor schreibt. Notzon hat mit der Gründung des „SportsLab“ großen Anteil daran, dass sich hinter den Kulissen des 1. FC Köln viel verändert hat. Der 31-jährige Lommersumer hat bei den „Geißböcken“ bislang eine beeindruckende Karriere gemacht. So beeindruckend, dass sein Name auch als Nachfolger des geschassten Managers Michael Meier gehandelt wird. Zwar kursieren derzeit vor allem hochkarätige Namen wie Reiner Calmund, Dietmar Beiersdorfer oder auch Jörg Schmadtke, aber gänzlich raus aus der „Verlosung“ ist Notzon wohl nicht.
Angefangen hat er während seines Sportmanagement-Studiums als einfacher Praktikant. Damals zeichnete er für den heutigen FC-Cheftrainer Frank Schaefer die ersten Spiele bei den Amateuren auf. Heute ist der begeisterte Hobbyfußballer Notzon Chef-Analyst und steht damit an der Spitze eines modernen Informationssystems zur Unterstützung von Lizenzspielerabteilung, Management, Scouting und Nachwuchskickern.
Notzon und seine Leute empfangen beinahe jede Fußball-Übertragung und sichern sie auf einem leistungsstarken Server. „Pro Woche speichern wir etwa 150 Spiele und seit 2008 haben wir knapp 20.000 Spiele auf den Festplatten. Hinzu kommen die Daten von 70.000 Fußballspielern“, erklärt der ehemalige Verbandsliga-Verteidiger, der mittlerweile wieder für seinem Heimatverein in Lommersum aktiv ist.
Doch nicht nur Spiele aus aller Welt werden analysiert, von Interesse sind auch sämtliche Spiele der Nachwuchskicker von der U 8 bis zur U 23. Auch die Partien werden aufgenommen, gespeichert und analysiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Trainingsarbeit ein. So können die Kleinsten fast wie die Profis trainieren.
Neben Notzon arbeiten noch zwei weitere hauptamtliche Kräfte bei „SportsLab“. Hinzu kommen 35 Studenten aus 15 Ländern. Jeder studentische Mitarbeiter ist für ein Land oder eine Region zuständig, verfolgt und analysiert alle wichtigen Fußballspiele in der Landessprache und fasst die Erkenntnisse in Statistiken zusammen - und mit etwas Glück entdeckt eine studentische Hilfskraft dann vielleicht den neuen Pedro Geromel.
Der Fanliebling wurde von Ricardo Tavarez, einem 22 Jahre alten Portugiesen, entdeckt. Dem für die portugiesische Liga zuständigen Tavarez waren, als er Begegnungen von Vitória Guimarães am Computerbildschirm beobachtete, frühzeitig die Verteidigungskünste Geromels aufgefallen. Der FC fackelte nicht lange und verpflichtete den jungen Verteidiger.
Notzon muss in seinen „heiligen Hallen“ aber nicht auf vertraute Gesichter aus der Region verzichten, denn mit Norman Saar, dem Verteidiger des Mittelrhein-Ligisten TSC Euskirchen, ist auch ein Kreisstädter im Scouting-Stab.
Doch beinahe wäre alles ganz anders gekommen. 2006 erstellte Notzon für den damaligen Hockeynationalmannschafts-Trainer Bernhard Peters ein Motivationsvideo, fast zeitgleich las er etwas über ein Sportlabor des AC Mailand. Darin wurde beschrieben, wie man die Leistungsfähigkeit der Profis optimieren kann. Von dieser Idee angetan, erstellte er ein eigenes Konzept, das er auch Bernhard Peters präsentierte. Peters wechselte nach der Hockey-WM zur TSG Hoffenheim, die damals noch in der Regionalliga um Punkte kämpfte. Er wollte Notzon samt dessen Konzept gleich mit nach Sinsheim nehmen. Nach einigen Treffen mit Hoffenheims Trainer Ralf Rangnick bekam der Lommersumer einen unterschriftsreifen Vertrag.
Doch dann wendete sich das Blatt zu Gunsten des 1. FC Köln. „Zwischen zwei Vorlesungen rief Christoph Daum an. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben, aber er war es wirklich“, erinnert sich der 31-Jährige. Der damalige Sportstudent flog zu den Profis ins Trainingslager und stellte sein Konzept dem FC-Kulttrainer sowie dem damaligen Manager Michael Meier vor. Nachdem sich Daum in einem knapp achtstündigen Gespräch vom Konzept überzeugen ließ und sich anschließend für Notzon stark machte, stand seine Entscheidung fest.
„Ich war als Kind schon beim FC, ich liebe den Karneval, meine Familie kommt aus der Region und deshalb hängt mein Herz am FC. Allerdings war es natürlich unangenehm, den Hoffenheimern abzusagen“, so Notzon. Eine Entscheidung, die vor allem beim FC keiner bereut haben dürfte, denn die Versorgung mit spielrelevanten Informationen hat Champions-League-Niveau.
Klingt nach viel Arbeit, ist auch viel Arbeit. Notzon arbeitet nach eigener Aussage gut 60 Stunden in der Woche. „Aber es macht einfach unglaublich viel Spaß, und das erleichtert die Arbeit ungemein. Das merkt man aber auch dem ganzen Team an“, sagt er. Wenn es ihm nicht so viel Spaß machen würde, dann hätte er wohl auch nicht das Angebot der dänischen Nationalmannschaft angenommen, das Team von Ex-FC-Trainer Morton Olson zur WM nach Südafrika begleitet und mit unzähligen Statistiken und Informationen versorgt.
Das ist Vergangenheit. Derzeit fokussiert er sämtliche Konzentration auf den Klassenerhalt der „Geißböcke“. „Die Mannschaft hat definitiv die spielerische Fähigkeit, die Klasse zu halten. Und wir werden es auch schaffen.“