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Christbäume vom Himmel

Lesezeit 4 Minuten

Wie sieht das Weihnachtsfest 1944 aus? Es regnet Christbäume vom Himmel, die Flak liefert Kugeln, Goebbels erzählt Märchen, das deutsche Volk zündet Kerzen im Keller an und wartet auf die Bescherung von oben.

Dieser Witz machte im Dezember 1944 in Deutschland die Runde. Mit den „Christbäumen“ waren Leuchtkörper gemeint, die damals britisch-amerikanische Bomberverbände abwarfen. Die markierten beim Herabsinken die Zielgebiete. Galgenhumor auch in Berlin, wo die „Empfehlung“ für das Fest lautete: „Denk praktisch, schenk einen Sarg.“ Fast jede Familie hatte Kriegsopfer zu beklagen, die Städte lagen in Trümmern: Der Krieg war verloren.

Sippenhaft

im Kinderheim

Zu Weihnachten versuchte Propagandaminister Goebbels erneut, das deutsche Volk von einem bevorstehenden Sieg zu überzeugen. Im Westen, so Goebbels, hole man gerade zum großen Gegenschlag aus. Das Oberkommando des Heeres sah das nüchterner. Im Generalstab fürchtete Heinz Guderian, dass Rundstedts Vorstoß gegen die Amerikaner in den Ardennen die Ostfront schwächen könnte.

Derweil versuchte die NS-Propaganda, die Bevölkerung mit besinnlichen Bildern auf die sechste Kriegsweihnacht einzustimmen. Als Sonderzuteilung wurde auf der Lebensmittelkarte vermerkt: Jeder Erwachsene erhält zwei Eier. Für Kinder und Jugendliche zusätzlich 125 Gramm Süßwaren. Trost in Erinnerungen an bessere Zeiten suchten die Menschen und fanden Halt in traditionellen Werten.

Die Kirchen aller Bekenntnisse waren überfüllt. „Es gab Weihnachten 1944 kein Bäumchen und auch keine Kerzen. Keiner von uns hatte dafür Stimmung“, erinnert sich Hildegard Daub, die das Fest wegen der Fliegeralarme in einem Siegener Bunker verbrachte.

Im Radio wurden vornehmlich von Blut-und-Boden-Dichtern verfasste Weihnachtslieder wie „Hohe Nacht der klaren Sterne“ von Hans Baumann aus dem Jahre 1936 gespielt, „Julkugeln“ sollten als pseudogermanischer Weihnachtsschmuck Glitzer in die Stuben bringen.

Am Heiligen Abend 1944 fuhr General Heinz Guderian, Generalstabschef des Oberkommandos des Heeres, im letzten geheimen Feld-Hauptquartier Hitlers im Westen vor.

Dieser „Adlerhorst“ lag in den Wäldern bei Ziegenberg, kaum 40 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt. Dabei trug Guderian eine Einschätzung seines Abwehroffiziers Gehlen von „Fremde Heere Ost“ seinem obersten Chef vor, dass die Rote Armee wahrscheinlich am 12. Januar zum Großangriff über die Weichsel ansetzen werde.

Die Wirklichkeit hatte mit den Hirngespinsten Hitlers, der Churchill an den Verhandlungstisch zwingen wollte, längst nichts mehr zu tun. Die Mordmaschinerie lief aber weiter und sollte gegenüber der Bevölkerung weiter verheimlicht werden.

Im verschneiten Auschwitz schwanden dem Häftling Primo Levi die Kräfte. „Aber nun“, so schreibt er, „hat der letzte Kampf begonnen. Und kein Zweifel kann mehr bestehen, dass es der letzte ist.“

Doch selbst an den düstersten Orten der Nazidiktatur gab es Hoffnung. Im Frauen-KZ Ravensbrück organisierten Häftlinge zu Weihnachten 1944 eine geheime Feier für die Kinder. Für viele der Kleinen sollte es das letzte Fest sein, das sie erlebten. Besonders widersprüchlich gestaltete sich das Weihnachtsfest 1944 für 46 Kinder der Männer des 20. Juli. Die Kinder befanden sich in Sippenhaft in einem abgelegenen Kindererholungsheim in Bad Sachsa im Südharz.

Ihre Väter hießen Stauffenberg, Tresckow, Hofacker, Trott zu Solz, Lehndorff, Goerdeler. Geleitet wurde das Heim von Schwestern der NS-Volkswohlfahrt, der NSV, die von der SS vergattert worden waren, über die Identität und Herkunft ihrer Zöglinge strikte Geheimhaltung zu wahren.

An Weihnachten 1944 sangen die NSV-Schwestern den Kindern „Ihr Kinderlein kommet“ und beschenkten die jungen Sippenhäftlinge. „Das Heim hatte fabelhaft viel für jeden aufgebracht. Alle schwammen in Seligkeit - nirgends mehr sah man traurige Gesichter“, erinnerte sich Christa von Hofacker in einer Dokumentation des ZDF.

Schwer bewaffnet

in die gute Stube

Eine trügerische Idylle: Als die kleine Christa den geschmückten Tannenbaum bestaunte, war es genau vier Tage her, dass ihr Vater, Oberstleutnant Cäsar von Hofacker, Stauffenbergs Mann in Paris, in Berlin-Plötzensee gehenkt worden war. Ihre Mutter und ihre ältesten Geschwister saßen bereits im KZ, einer ihrer Onkel, Claus Graf Schenk von Stauffenberg, war bereits am Abend des 20. Juli erschossen worden, am 10. August auch dessen Bruder Berthold.

Allein in Aachen, der einzigen bereits von den Alliierten eroberten deutschen Stadt, blieb 1944 die Kriegsweihnacht erspart. Hier verlebte man das Fest in Freiheit.

Kurz vor Weihnachten traf sich dort ein junger Aachener mit lange vermissten Freunden, um Weihnachtslieder einzuüben, als es plötzlich heftig klopfte. Amerikanische Soldaten, die auf der Straße auf den Gesang aufmerksam geworden waren, standen schwer bewaffnet vor der Tür.

Sie fragten, ob sie kurz hereinkommen dürften, um den friedlichen Liedern zu lauschen.