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„Eigentlich war's heute ziemlich ruhig“

Lesezeit 4 Minuten

BERGISCH GLADBACH. Evangelisches Krankenhaus, Station 3B, Gefäß-, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Es ist 7.20 Uhr. Assistenzarzt Dr. Tobias Greiner sitzt im Arztzimmer am Computer und schreibt einen Entlassbrief für eine Patientin. Die Rentnerin hatte nach einer Operation einen Schlaganfall erlitten und ihr Sprachvermögen verloren.

Eine halbe Stunde später: Greiner sitzt mit zwei Dutzend Ärzten im abgedunkelten Raum 244 der Radiologie. Sie diskutieren Röntgenbilder: einen frisch operierten Darmverschluss, einen „ganz schön“ heilenden Unterschenkel, Becken- und Rippenfrakturen, Raucherbeine. Sehr sorgfältig werden in jedem Einzelfall Behandlungsschritte festgelegt.

Greiner sprintet in die Ambulanz im Untergeschoss. Den Fahrstuhl benutzt der sportliche Typ - er ist aktiver Hockeyspieler - so gut wie nie: „Das geht mir zu langsam.“ Der Warteraum ist voll. Ein junger Mann hat sich die Finger der rechten Hand zwischen zwei Kartoffelkisten gequetscht. Der Mittelfinger sieht böse aus, der Nagel ist dick blutunterlaufen. Der Arzt bohrt mit einer heißen Nadel ein Loch durchs Nagelhorn, damit das Blut ablaufen kann. Es riecht ein bisschen. „Nach Grillfleisch“, grinst ein Pfleger. „Oh Mann“, sagt der Patient beim Rausgehen.

Allergisch gegen

die Blutabnahme

Hauptgruppe der Patienten sind an diesem Vormittag „Prä-Stationäre“. Sie werden auf eine Operation an Knie, Sprung- oder Handgelenk vorbereitet. Greiner fragt nach Vorgeschichte und Beschwerden, beugt und dreht Arme, Beine und Hände, erklärt den Patienten den Operationsablauf sowie mögliche Risiken und zapft ihnen Blut fürs Labor ab. „Nää!“ sagt ein stämmiger Mittvierziger. „Blutabnehmen - dat jeht nit. Da bin isch allerjisch jejen.“ Greiner redet dem Mann gut zu. Der Patient legt sich auf die Liege und verdreht die Augen. Die erste Nadel trifft die Vene nicht richtig, es fließt zu wenig Blut. „Ich muss noch mal pieksen“, sagt der Arzt. „Herr Doktor, Sie sin witzisch“, sagt der Mann. Aber es klappt. Blut fließt, der Patient überlebt.

Keine Spur von Hektik. Greiner ist von gelassener Freundlichkeit, flachst mit Pflegern und Patienten.

Nach vier Stunden und einem guten Dutzend Patienten muss Greiner im OP-Saal assistieren. Eine „Y-Operation“ geht in die vierte Stunde. Im Bauch spaltet sich die Hauptschlagader bekanntlich in die Arterien beider Beine (ein auf dem Kopf stehendes Y). Bei dem Patienten ist die Blutzufuhr ins linke Bein auf einer längeren Strecke blockiert. Chefarzt Dr. Klaus Bieber, Oberarzt Dr. Horst Führer und Anästhesist Dr. Klaus Wilhelmi haben die Bauchhöhle geöffnet und verbinden Hauptarterie und Blutgefäß im Oberschenkel mit einer Kunstarterie. Es sieht ziemlich blutig aus, aber die Chirurgen sind locker. Scherze täuschen nicht darüber hinweg, dass hier mit höchster Konzentration und einer Präzision gearbeitet wird, bei der Zehntelmillimeter entscheiden. „Manchmal hören wir dabei auch Musik“, sagt der Chefarzt.

Greiner erneuert auf der Station Verbände, spricht Patienten Mut zu. „Es gibt schönere Orte als ein Krankenhaus“, sagt er zu einer jungen Frau, die nach Hause will.

Die Last mit

der Bürokratie

Inzwischen hat seine Kollegin Dr. Karin Schneider, die an diesem Tag auf dem Notarztwagen fährt und kaum Einsätze hat, die Ambulanz übernommen. „Traumhaft“, sagt Greiner. „Jetzt kann ich Briefe schreiben.“ Die Arbeit am Computer frisst eine Unmenge Zeit. Patienten, die entlassen werden, nehmen alle Infos in einem Brief mit zum Hausarzt. Außerdem muss jeder Behandlungsschritt nicht nur dokumentiert, sondern auch kodiert werden. Er wird mit einer Nummer verschlüsselt, die für die Kostenabrechnung mit den Kassen relevant ist.

Früher Abend: Greiner legt Nadeln, also Anschlüsse für den Tropf, wechselt Verbände. Eine stark verwirrte Patientin ist abgängig, der sportliche Greiner spurtet durch die Gänge und fängt sie im Erdgeschoss ein.

21 Uhr, es wird dramatisch: Eine Patientin, kürzlich operiert, hat akute Atemnot. Geräte werden herangeschafft: Verdacht auf Lungenembolie. Greiner reagiert schnell und souverän. Die Frau wird zur Intensivstation gebracht. Kurz nach Mitternacht erfährt Greiner, dass sie über den Berg ist.

Noch mal zwei Stunden Patienten in der Ambulanz. Dann ist es 23.45 Uhr. Greiner gönnt sich die erste Pause des Tages und isst einen Salat. Seit sieben Uhr hat er von zwei Brötchen zwischendurch gelebt. „Eigentlich war s heute ziemlich ruhig“, sagt er.

Er wird noch zweimal geweckt in dieser kurzen Nacht.