Ein Cocktail aus Sex, Mord und Korruption
BERLIN / LEIPZIG. Martin Klockzin erwartete an jenem Tag 1994 keinen Besuch, als es an der Tür seiner Leipziger Wohnung klingelte. Als Klockzin im Türrahmen stand, trafen ihn Schüsse in Lunge, Bauch und Becken. Dass er überlebte, grenzt an ein Wunder. Die Justiz arbeitete zunächst zügig. Drei Täter wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, ein weiterer zu zwölf Jahren. Erstaunlicher war, dass die als Auftraggeber Verdächtigten, zwei Immobilienhändler aus dem Allgäu, später mit der Zahlung einer Geldstrafe davon kamen.
Inzwischen haben sich in Leipzig weitere erstaunliche Dinge zugetragen, das ganze Bundesland wird von einer Affäre erschüttert, deren Ausmaß unabsehbar ist. Nur so viel ist klar: Es geht um Korruption, Betrug, Prostitution. Und es geht um Mord und dubiose Selbstmorde. Womöglich geht es auch um die Mafia.
Gerade erst beginnen die offiziellen Ermittlungen. Auch das gehört zu den Merkwürdigkeiten, denn seit langem gibt es Anhaltspunkte für organisiertes Verbrechen in Sachsen.
Darum geht es: Seit Jahren hatte der Landesverfassungsschutz Indizien und Hinweise über kriminelle Netzwerke, verdeckte Immobiliengeschäfte und Amtsmissbrauch von sächsischen Beamten gesammelt. 100 Aktenordner mit zusammen 15 600 Blatt Papier, von denen niemand Notiz nehmen wollte. Dann brachte der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig Fahrt in die Angelegenheit. Mit dem Argument, die Daten seien rechtswidrig erhoben worden, verlangte er nicht die Aufklärung der Affäre, sondern die Vernichtung der Akten.
Doch Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) ließ die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags entscheiden. Die votierte für die Übergabe an die Staatsanwaltschaft. Das ist inzwischen geschehen. Da aber offiziell außer den fünf Parlamentariern niemand Einblick genommen hat, aber etliche Insider zumindest Teile der Berichte kennen, wabern nun Gerüchte. Danach stehen Immobiliengeschäfte der Stadt Leipzig im Zentrum der Ermittlungen.
Anstoß an dubiosen
Praktiken genommen
Martin Klockzin jedenfalls war 1994 Hauptabteilungsleiter der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft. Er nahm Anstoß an dubiosen Praktiken, vollständig sanierte Bauten an Nachnutzer zu Schleuderpreisen abzugeben. 40 Millionen D-Mark seien, so die Ermittler, der Stadt verloren gegangen. Sollte dem „Spielverderber“ Klockzin ein Denkzettel verpasst werden? In den Akten ist offenbar auch von Sex-Partys die Rede, an denen zwischen 1993 und 2005 hohe Vertreter aus Lokalpolitik und Rathaus teilgenommen haben sollen. Es habe Beziehungen zwischen Politik und dem Rotlichtmilieu gegeben, über denen die schützende Hand der Justiz geschwebt habe.
Und es gibt mysteriöse Todesfälle. 1996 verschwand die Leipziger Justizangestellte Barbara Beer spurlos. Ihr Schädel und Teile ihrer Leiche wurden drei Jahre später gefunden. Sie soll illegalen Immobiliengeschäften auf die Spur gekommen sein. Seit 1996 gilt auch der Leipziger Immobilienmakler Martin Mielke als verschwunden. Sein Auto wurde blutverschmiert aufgefunden, die Ermittlungen verliefen im Sande.
Im Dunkeln bleibt auch der Tod von Walter Bullinger. Der Stuttgarter Bänker kam 1991 nach Leipzig, wurde CDU-Stadtrat und arbeitete bei der Allgemeinen Hypotheken Bank für Sachsen und Thüringen. Er nahm sich 1999 in seiner Wohnung mit dem Revolver das Leben.
Im sächsischen Plauen kam im gleichen Jahr der Kripochef unter fraglichen Umständen ums Leben. Er stand im Verdacht, unsaubere Immobiliengeschäfte geduldet und als Gegenleistungen sexuelle Dienstleistungen genossen zu haben. Und immer wieder ist davon die Rede, dass die Justiz mindestens bewusst weggesehen haben könnte.
Als wäre das alles nicht genug, soll in den Unterlagen des Verfassungsschutzes davon die Rede sein, dass die Mafia - der kalabresische Zweig, die „Ndrangheta“ - die Leipziger Boomzeiten der frühen 90er für Geldwäsche im großen Stil benutzt habe.
Diesen Sumpf trocken zu legen, traut der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) der Justiz des Landes nicht mehr aus eigener Kraft zu. Die Bundesanwaltschaft bestätigte, dass gestern Unterlagen aus Sachsen bei ihr eingegangen seien. Da Teile der sächsischen Justiz befangen sein könnten, soll Karlsruhe die Übernahme der Ermittlungen prüfen. Chancen werden dem Ansinnen aber kaum eingeräumt.