Er war der Hohepriester des Soul

Ray Charles ist im Alter von 73 Jahren gestorben.
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„Ich wurde arm im Süden geboren, ich bin schwarz, ich bin blind, ich habe Drogen genommen, aber all das war wie eine Schule für mich - und ich wollte ein guter Schüler sein. Ich bereue nichts.“ Es mag wie ein Klischee klingen, aber Ray Charles hat den „American Dream“ erlebt. Niemand konnte ahnen, dass aus dem mittellosen Halbwaisen einer der höchstbezahlten Stars im Musikgeschäft wurde.
Ray Charles gehört neben Elvis Presley und Chuck Berry zu den wenigen Archetypen, die die amerikanische Popmusik hervorgebracht hat. Als Sänger, Pianist und Komponist führte er Elemente der kirchlichen Tradition in die westliche Musik ein und gab einer ganzen Musikrichtung, dem Soul, Gestalt. Für Frank Sinatra war er gar „das einzige Genie im ganzen Showbiz“. Dazu Ray Charles: „Der Pianist Art Tatum - das war ein Genie. Und Einstein. Ich nicht.“
Ray Charles (Robinson) wurde am 23. September 1930 in Albany, Georgia, geboren. Mit sechs Jahren verlor er aufgrund eines grünen Stars langsam das Augenlicht, nachdem er Zeuge wurde, wie sein jüngerer Bruder in der Wanne ertrank, in der seine Mutter die Wäsche fremder Leute wusch. Auf einer Blindenschule studierte er Musik, zog schon mit 15 als Pianist quer durch den Süden. In Bars spielte er zunächst einen kultivierten Cocktail-Swing à la Nat King Cole, erst als Ray Charles mit einigen Bluesmusikern zusammenkam, veränderte sich sein Sound schlagartig.
Besessen von einem urtümlichen leidenschaftlichen Stil, der dem Gospel-Shouting der Baptisten Kirche ähnelte, nahm er seinen ersten großen Plattenerfolg auf: „I ve Got A Woman“. Hier gelang bereits die perfekte Vereinigung all jener Elemente, die zum Markenzeichen von Ray Charles werden sollten: ein kraftvolles Piano, eine heiß swingende Band, und natürlich der unverwechselbare Gesang. Mit seinem vollkehligen Krächzen und schrillen Falsettschreien löste sich Charles von der gefälligen Musik früherer Jahre.
Er besaß nun eine beinahe zügellose Sinnlichkeit, die jedem Anhänger der Gospelmusik nicht unvertraut erschienen wäre, doch im Kontext des Pop stellte sie eine Revolution dar. So schuf Charles erst die Voraussetzung für den Erfolg von Künstlern wie James Brown, Sam Cooke oder Otis Redding, um das zu kreieren, was als „Soul“ bekannt wurde. Für Ray Charles selbst erreichte diese Bewegung 1959 ihren Höhepunkt mit „What d I Say“: ein ziemlich konventionelles Blues-Grundmotiv mit einem Latin-Rhythmus und einem sechsminütigen Lobgesang auf eine durch und durch irdische Liebe.
Der Song war eine Art weltliche Beschwörung eines realen Gottesdienstes - Wehklagen und Stöhnen inklusive. Viele Radiostationen setzten ihn auf die schwarze Liste, er wurde dennoch Ray Charles erster Millionenhit. Dass er sich jeder Kategorisierung verwehrte, bewies der Sänger 1962 mit dem überraschendem Schwenk zur Countrymusik, der ihm mit „I Can t Stop Loving You“ einen Riesenhit bescherte.
Seither hat sich Ray Charles oft mit Alben begnügt, die mit einer sterilen Mixtur aus nostalgischen Shownummern und Streichersirup aufwarteten. Sah man den weißhaarigen Künstler zuletzt auf der Bühne, war kaum noch etwas zu spüren von der fast animalischen Energie, die den „High Priest of Soul“ einmal ausgezeichnet hat. 1994 in Köln etwa sang er nur knapp 70 Minuten, und als der damalige Philharmonie-Chef Franz Xaver Ohnesorg die aufgebrachten Fans beruhigen wollte, wurde er mit Kleingeld beworfen.
Nur noch selten hörte man diese fast quälend raue Stimme, die auch eine ganze Generation weißer Rockmusiker inspirierte. Joe Cocker bekannte: „Als wir Jungs spät nachts mit unseren Transistorradios wach lagen, kam eine Stimme aus dem Äther, die mein ganzes Leben veränderte: die von Brother Ray.“ Am Donnerstag ist Ray Charles an den Folgen einer Leberkrankheit in Beverly Hills gestorben.