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Gereimte Verse fürs Magenwohl

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ERFTSTADT. Kaum ein anderer Markenartikel ist mit so vielen gereimten Zweizeilern beworben worden wie das alte Heilmittel Bullrich-Salz. Sprüche wie „Ja, schon der Jäger aus Kurpfalz nahm oft und gerne Bullrich-Salz“, „Lässt dir der Magen keine Ruh, nimm Bullrich-Salz - das hilft im Nu“ oder der umstrittenste aller Verse: „So nötig wie die Braut zur Trauung, ist Bullrich-Salz für die Verdauung“ dürften noch in manchen Ohren klingeln. Dass dieser wahrscheinlich älteste deutsche Markenartikel aber mehr als ein Vierteljahrhundert lang in Lechenich hergestellt worden ist, scheint kaum bekannt zu sein.

Der in Berlin lebende Autor Matthias Gerschwitz hat nun die 180-jährige Geschichte des Heilmittels aufgearbeitet und in dem 228-seitigen Buch „Bullrich-Salz: Marke - Mythos - Magensäure“ vorgelegt. In einem der 23 Kapitel beschreibt Gerschwitz, wie es dazu kam, dass die Heilmittel-Erfindung des Berliner Apothekers Wilhelm Bullrich von 1956 bis zum Verkauf der Marke 1982 auch in Lechenich hergestellt wurde.

Ins Rheinland umgezogen

Der Lizenznehmer des Berliner Bullrich-Unternehmens, Frederic Monnier, verlegte seinen Firmensitz 1955 kurzerhand in die rheinische Stadt Lechenich, als seinem Mitgesellschafter in Bevensen der Konkurs drohte. Allerdings musste die ins Auge gefasste Vorburg der ehemaligen Landesburg der Stadt Lechenich, damals noch kein Stadtteil von Erftstadt, zuvor wieder aufgebaut werden, nachdem sie zwar den Krieg unbeschadet überdauert hatte, aber 1947 abgebrannt war.

Die Produktion von Bullrich-Erzeugnissen in Lechenich beginnt im Mai 1956. Während aus dem Berliner Stammhaus nach dem Krieg nur der West-Berliner Markt beliefert werden konnte, bediente Monnier von Lechenich aus das gesamte Gebiet der Bundesrepublik.

Der Prokurist Paul Wever zeigte sich zwar nicht zufrieden mit dem geschäftlichen Erfolg des Lizenznehmers und warf ihm vor, zu wenig Werbung zu machen. Dennoch stellten die Lizenzgebühren, die Monnier aus Lechenich entrichtete, den größten Teil des Unternehmensgewinns dar, da sich das Vertriebsgebiet des Berliner Stammhauses an der Kurfürstenstraße nach dem Krieg auf den Westen einer geteilten Stadt beschränkte.

Noch einmal wichtig wurden die Lizenzeinnahmen aus Lechenich, als die Firma in den 1970er Jahren mangels Kapital für dringend erforderliche Modernisierungen an den Rande eines Konkurses geriet. Der persönlich haftend Gesellschafter, Paul-Michael Spielhagen entschloss sich 1981 dazu, das Unternehmen aufzugeben. Auf eine unscheinbare Zeitungsanzeige meldete sich die Delta-Chemie, und Bullrich wechselt den Besitzer. Am 1. Januar 1982 endete somit auch die Lechenicher Geschichte des Markenartikels.

Werbung für Bullrich-Salz wurde vor allem in den Jahren 1936 bis 1963 im öffentlichen Raum betrieben. So waren Straßenbahnen besonders beliebte Träger von Werbesprüchen und Abbildungen für das Magensäure stoppende Natriumbicarbonat. Denn nichts anderes ist das kultige Salz, dessen Wirkung der Apotheker Bullrich 1827 im Selbstversuch entdeckt hatte.

Matthias Gerschwitz schrieb seine Chronik wie ein Drehbuch zu einer Fernseh-Seifenoper. Familienfehden, Erbstreitigkeiten, Betrug, Beleidigungen, Klagen um Patente und Vermögenswerte bis hin zum Mord - menschliche Abgründe hat die unscheinbare blau-weiße Packung ausgelöst. Der Autor schildert all diese Einzelheiten zum „Amüsemang“ seiner Leser.

Matthias Gerschwitz: Bullrich-Salz: Marke - Mythos - Magensäure, Sachbuch, 228 Seiten, 180 Abbildungen, 19,90 Euro.