Häftling knüpfte Schlinge aus Stromkabel
Siegburg - Die Justizvollzugsanstalt Siegburg bleibt in den Schlagzeilen: Nachdem sich in der vergangenen Woche zwei junge Männer in ihren Zellen erhängt hatten, sei am Wochenende eine weitere Selbsttötung verhindert worden, wurde gestern bekannt.
„Es ist schwierig, das als Selbstmordversuch zu bewerten“, kommentierte indes Ralph Neubauer, Sprecher des NRW-Justizministeriums, den Vorfall - eine Einschätzung, der auch Anstaltsleiter Wolfgang Klein nicht widersprach. Der 19-Jährige sei „auffällig“ gewesen, erklärte der Bonner Staatsanwalt Fred Apostel, und habe daher in einer videoüberwachten Zelle eingesessen. „Er hat selbst gesagt, dass er es nicht ernst meinte, dass er nur auf sich aufmerksam machen wollte“, betonte Apostel. Nachdem er aber vor laufender Kamera eine Schlinge geknüpft hatte, wurde der Häftling in einen so genannten besonders gesicherten Haftraum mit einer Sitzwache verlegt. Das Kabel eines Mehrfachsteckers habe der Inhaftierte benutzt, sagte Wolfgang Klein: In den Zellen gebe es nur eine Steckdose, oft aber mehrere elektrische Geräte.
Zwei Selbstmorde in Siegburg mit Stoffstreifen aus Bettlaken in der vergangenen Woche, am Wochenende nun der Selbstmord eines 27-Jährigen in Wuppertal an seinem Geburtstag: „Es gibt den 'Werther-Effekt' der Nachahmung auch anstaltsübergreifend“, sagte Ralph Neubauer. Ob aber wirklich die Selbsttötungen in Siegburg den Mann in Wuppertal zum Strick greifen ließen, ist unbekannt.
Großen Aufwand hatten am Mittwoch NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter und Anstaltsleiter Wolfgang Klein vor der Presse angekündigt, um einer Selbstmordserie zu begegnen: Eine achte Psychologin trat bereits am Freitag ihren Dienst in Siegburg an, weitere zusätzliche Kräfte werden befristet dort arbeiten. Auch um die Bediensteten kümmern sich Spezialisten in Einzelgesprächen.
„Die Bemühungen sind riesig“, versicherte Ministeriumssprecher Neubauer; „wir nehmen unsere Aufgabe verdammt ernst“. Zugleich verwies Neubauer auf die Gesamtzahl der Häftlinge im Land: „Täglich sitzen 18 000 Menschen in NRW im Gefängnis“, der jährliche „Durchlauf“ in den Haftanstalten liege sogar bei 30- bis 40 000 Menschen. Im Verhältnis zu dieser Zahl müsse man die der Selbstmorde betrachten, die 2006 landesweit bei dreizehn lag und im vergangenen Jahr bei elf - nach einem Höhepunkt in den 90er Jahren, als bis zu 27 Suizide (im Jahr 1997) gezählt wurden. „Es gibt in jeder Anstalt gefährdete Leute“, sagte Ralph Neubauer; gemeinschaftliche Unterbringung sei dann ebenso ein Mittel der Vorbeugung wie die Verlegung in eine videoüberwachte Zelle oder die engmaschige Kontrolle: Spätestens alle 15 Minuten wird bei so einem Häftling nachgeschaut - und das in unregelmäßigen Abständen, die auch kürzer sein können. Die beiden Selbstmörder in Siegburg seien nicht als derart gefährdet eingestuft und auch nicht so unter Kontrolle gewesen, sagte Neubauer. Und: „Wer sich wirklich töten will, der schafft es.“