Hannelore Holsträter aus Frechen ist im Rheinland die einzige anerkannte Gutachterin des Bundesverbandes der Grafologen. Sie sagt: „Die Handschrift drückt immer etwas von der Persönlichkeit eines Menschen aus. Wer gegen vorgegebene Ordnung ist, schreibt bewusst ausgefranst. Wer selbstbewusst ist, schreibt so, wie nur er es lesen kann. Andererseits geben sich Menschen, die auf Harmonie angelegt sind, Mühe, leserlich zu schreiben.“
Die Besonderheit des eigenen Schriftzuges gilt als Ausdruck von Persönlichkeit und persönlichem Willen. Nicht ohne Grund ist der „letzte Wille“ handschriftlich zu verfassen. Fans reißen sich um ein Original-Autogramm ihres Idols. Ein Maschinen-geschriebener Liebesbrief dürfte die Gefühle eher einfrieren. Nicht zuletzt Polizei- und Justizbehörden kooperieren mit anerkannten Grafologen, um Täterprofile zu erstellen.
In diesem Spezialgebiet ist Ehemann Borwin Holsträter tätig. Er analysiert die Echtheit von Unterschriften oder gibt Hinweise zur Persönlichkeitsstruktur von Kriminellen: „Die Handschrift ist wohl die stärkste Ausdrucksform des Menschen. Gefolgt von Körpersprache und Physiognomie. Die Schreibweise ist so einmalig wie der Fingerabdruck“, sagt Holsträter. Gelegentlich gelingt es Kriminellen, eine Unterschrift unter einem Scheck zu fälschen, doch dann sind es maximal zwei Wörter: Vor- und Nachname. „Aber einen Fließtext von beispielsweise einer DIN A4-Seite identisch nachzuahmen, ist nicht möglich“, erklärt Hannelore Holsträter. Deshalb verlangt sie bei Schriftproben mindestens diese Textlänge. Auf den Inhalt des Textes kommt es nicht an. Es könnte sich um einen Liebesbrief, eine Bauanleitung für ein Regal oder die Abschrift eines Märchens handeln. Auch zu welcher Tageszeit der Text geschrieben wird, ist für das Urteil unbedeutend.
Hannelore Holsträter: „Wir Grafologen achten besonders auf das Schriftbild. Zu allererst ist der so genannte Schriftrand zu nennen, als der nicht beschriebene Raum auf der linken und rechten Seite des Blattes. Weniger von Bedeutung sind die ausgesparten Flächen oberhalb und unterhalb eines Schriftblocks auf der Seite. Wir unterscheiden zehn Formen. Wer beispielsweise einen breiten Linksrand lässt, zeigt ästhetisches Empfinden, Qualitätsgefühl und Großzügigkeit. Ist der Linksrand schmal, so gelten eher die Attribute: Bescheidenheit und Sparsamkeit.“
Neben der „Randbetrachtung“ vervollständigen Aussagen zum Raumbild, dem Bewegungsbild und dem Formbild der Schrift die Gesamtaussage. Grafologen berücksichtigen dabei für jeden Buchstaben eine untere, eine mittlere und eine obere Zone. Für jeden dieser Bereiche gibt es mehr als 25 einzelne Deutungsvarianten. In der Kombination sind es fast unzählbare Verknüpfungen. Es werden deshalb auch nicht einzelne Buchstaben isoliert betrachtet, sondern das gesamte Schriftbild. Die Zahl der Bewerbergutachten nimmt zu. „In einem Vorstellungsgespräch kann sich ein Anwärter buchstäblich gut verkaufen“, so Holsträter, „aber seine Handschrift ist aussagekräftiger“.
Zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte müssen Firmen für die Anfertigung einer Analyse vorher das Einverständnis des Stellensuchenden einholen. Nach mindestens sechs Stunden Gutachterarbeit kann Hannelore Holsträter ihr etwa drei Seiten langes Urteil verfassen. Der Name des Schreibers bleibt für sie bis zum Schluss anonym. „Allerdings brauche ich drei Grundinformationen: Das Geschlecht, das Alter und den Beruf.“ Außerdem ist die Unterschrift von elementarer Bedeutung. „Sie macht gut 30 Prozent des Gutachtens aus.“
Eine Schriftkorrektur ist nur sehr schwer möglich. Alle Linkshänder, die gerade in den 70er und 80er Jahre umgetrimmt wurden, mit der rechten Hand zu schreiben, sind nach Ansicht der Grafologen eines Teils ihrer Persönlichkeit beraubt worden. Wer mit der „lateinischen Ausgangsschrift“ (50er Jahre) groß geworden ist, tut sich schwer, die „vereinfachte Ausgangsschrift“ (seit 1973) anzunehmen. Mit viel Konzentration lässt sich eine gewisse „Schrift-Hygiene“ erreichen.
Aber eine persönliche Handschrift bleibt eine persönliche Handschrift, so wie jeder Mensch einmalig ist.
Buchtipp: „Handschriften deuten“ von Dr. Helmut Ploog, Schlütersche Verlagsbuchhandlung, 9,80 Euro.