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Interview„Mal nicht denken und nicht reden“

6 min

Innere Entspannung findet Wilfried Schmickler, wenn er in Domburg am Strand sitzt und auf das endlose Meer schaut. (Foto: WDR/B. Fürst-Fastré)

Was ist unser Thema, Herr Schmickler?

Lassen Sie uns über deutsche Touristen in Holland reden. Ich bin ja einer von denen. Sobald ein bisschen Zeit ist, packen meine Frau und ich die Sachen und fahren nach Zeeland. Also dahin, wo alle aus dem Köln-Aachener Raum fahren. Diese Region ist ja quasi fest in rheinländischer Hand.

Warum fahren Sie und diese Leute nicht an den deutschen Teil der Nordsee?

Holland ist Ausland, das hat dadurch einen stärkeren Urlaubscharakter. Urlaub ist doch vor allem dazu da, aus dem Alltag rauszukommen. Außerdem komme ich mit den Leuten dort sehr gut zurecht. Der Niederländer ist, würde ich sagen, zwar verbindlich und freundlich, aber er hält Distanz.

Hat das etwas mit dem Protestantismus des Landes zu tun?

Eventuell, ja. Die lassen sich nicht auf allzu schnelle Kumpanei ein. Dieses Joviale des Rheinländers kennt der Niederländer so nicht, darauf reagiert man dort auch eher empfindlich.

Was gefällt Ihnen dort außerdem?

Es ist schön, mal nichts zu denken. Und nicht zu reden. Ich rede das ganze Jahr über, und in Holland kann ich eben auch mal am Stück schweigen. Ich genieße das, und meine Frau akzeptiert das weitgehend.

Wie inszenieren Sie vor Ort Ihr Nicht-Denken?

Ich sitze im Liegestuhl, schaue auf das große, endlose Meer und den ebenso endlosen Horizont. Und schon bald wird alles relativ, alle Gedanken an irgendwelchen Stress fallen von mir ab.

Der öffentlich eher robuste Wilfried Schmickler hat eine spirituelle Ader?

Mit dem Wort wird viel Unsinn getrieben. Und ich bin auch ein viel zu einfacher Mensch für solche philosophischen Betrachtungen. Aber ja, es geht mir um eine innere Entspannung, darum, die Verhältnisse zwischen Mensch und Welt zurechtzurücken (grinst). Und dafür gibt es nichts Besseres als einen großen Himmel, wie man ihn hier in der Stadt eben nicht hat.

Respekt vor den Elementen?

Die Vorstellung, in diesem riesengroßen Sandkasten in Domburg zu sitzen, die ist schon beeindruckend. So viele Sandkörner, wie da rumliegen, so viele Planeten gibt es im Weltall! Und auf einem davon leben wir. - Solche Gedanken kommen mir, wenn ich da sitze, und das macht Spaß.

Wie lange schafft man das, ohne ein Heineken aufzumachen?

Nichts gegen Heineken, aber erst abends. Im Übrigen nutze ich die Zeit natürlich auch zum Lesen, da komme ich zuhause überhaupt nicht zu. In Holland habe ich immer eine ganze Kiste Bücher mit, und die lese ich auch weg.

Gehören Meer, Himmel und Sand bei Ihrer inneren Einkehr zusammen?

Unbedingt, und das Heineken am Ende auch! Wasser, Erde, Luft . . . und fürs Feuer stecke ich mir eine Zigarette an.

Bier ist ja im weitesten Sinne auch Feuerwasser.

(lacht) Stimmt. Jedenfalls, dieses Bild mit jenen drei Elementen in ihrer Unendlichkeit, das habe ich nur da in Domburg.

Nun wollten wir ja eigentlich über die deutschen Urlauber dort reden.

Genau, und was mich am meisten an denen nervt: dass die immer nur Deutsch reden. Die verlassen sich drauf, dass der Niederländer Deutsch kann. Das stimmt zwar, aber so benimmt man sich als Gast einfach nicht.

Ik praat een beetje Nederlands.

Das reicht ja schon, die Grundbegriffe: Guten Tag, Auf Wiedersehen. Und so schwer ist das ja auch nicht, zumal Kölsch und Niederländisch eng verwandt sind. Aber dann steht da einer in der Bäckerei und bestellt: 2 Müslibrötchen, 1 Körner, 3 Normale und ne FAZ. - Ja, woher soll das Meisje denn wissen, was in Deutschland als „normales“ Brötchen angesehen wird? Und erst recht, was die FAZ ist?

Es sind also FAZ-Leser, die sich so aufführen?

Ja, klar. Da fährt heutzutage die Mittelschicht hin. Ist auch alles sehr teuer geworden, da kostet eine Kugel Eis inzwischen 1,30.

Dass die Deutschen in Holland nicht gern gesehen sind, ist aber ein Vorurteil?

Das ist längst überholt, ja. Wenn ein Gast höflich ist und gut konsumiert, dann ist der auch willkommen. (grinst)

Legen Sie, obwohl immer am selben Urlaubsort, alljährlich ein Fotoalbum an?

Um ehrlich zu sein: Ja. Meine Frau bastelt uns über Apple so ein Album, darum haben wir von jedem Jahr in Domburg Dokumente.

Und was denken Sie, wenn Sie sich Ihre Dokumente von vor zehn, zwölf Jahren ansehen?

Manchmal denke ich: Wie kann man nur so langweilig sein wie ich?!

Schließlich hat man seine Eltern gehasst dafür, dass sie jedes Jahr in den gleichen Urlaubsort fuhren.

Jajaja. Bei uns war das Bad Salzuflen. Das hat damit zu tun, dass es damals noch Kuren gab. Und mein Vater war ja bei Bayer.

Was zeichnete Bad Salzuflen für Sie als Kind aus?

Rentner, Kranke, Kneipp-Becken, Kaffee nur in Kännchen, diese klassische, furchtbar langweilige Kurbad-Atmosphäre. Aber durch meinen Beruf habe ich heutzutage soviel Unruhe in meinem Leben, dass ich das im Urlaub nicht auch noch haben will.

Urlaubsorte üben immer einen bestimmten Zauber aus. Aber auch der verändert sich über die Jahre, nicht wahr?

Das stimmt. Und hinzu kommt: Je tiefer man in den Zauber eindringt, desto eher verfliegt er.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Du lernst also Einheimische kennen, bist stolz, dass du - vermeintlich - weiter bist als andere von außerhalb. Allmählich bildest du dir ein, du wärst hier zuhause, das sei ein Stück Heimat für dich. Aber irgendwann kommt dann doch der Punkt, wo du merkst, du hast nur an der Oberfläche gekratzt und bist eigentlich nicht näher herangekommen an diese Menschen.

Oder man stellt fest: Dieser und jener ist nicht besser als der Heinz-Willi aus Köln, nur weil er Holländisch redet.

So ist das. Die Zeeland-Ausgabe vom Heinz-Willi ist nicht anders als die kölsche. Wobei ich sagen muss: Ich habe nichts gegen die Heinz-Willis dieser Welt. Je einfacher die Kneipe, desto wohler fühle ich mich.

Für dieses seltsame Verhältnis zum bevorzugten Urlaubsort gibt es die Bezeichnung „2. Heimat“.

Ja, in Domburg liebe ich auch das Veedels-mäßige, genau wie hier in der Südstadt. Nach dem Aufstehen mache ich hier immer erst mal eine Runde um den Block und schaue, ob alles in Ordnung ist: beim Blumenhändler ums Eck, im Zeitschriftenladen Glücks-Günther, in der Buchhandlung, im Café. So rund eine Stunde brauche ich dafür auf jeden Fall, und das kann ich in Domburg inzwischen eben auch schon machen. Dafür kenne ich die Leute gut genug.

Und dann geht"s an den Strand.

Da ist dann Ruhe, genau. Gerade morgens und abends hat man den oft für sich allein. Ich kann zum Beispiel stundenlang rumsitzen und die Schlauberger-Rätsel aus dem Zeit-Magazin oder der Süddeutschen lösen.

Wenn man also die unendliche Weite des Horizonts ausgelotet hat, . . .

. . . . dann kann man auch mal wieder ein Kreuzworträtsel machen.