Interview mit Frank Busemann„...dann war ich erbarmungslos“

Frank Busemann im Jahr 2006. (Bild: dpa)
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Herr Busemann, erklären Sie uns doch mal bitte, was Sie derzeit machen . . .
Ich war vor drei, vier Jahren mit meiner Frau im Urlaub auf einer langen Wanderung unterwegs. Da hab ich gesagt, wir haben jetzt fünf Stunden Zeit, um mal ein Wort zu konstruieren, das besagt, was ich mache. Wir sind ohne Ergebnis nach Hause gekommen.
Sind Sie so desorientiert?
(lacht) Nein, gar nicht. Man kann es nur nicht so genau sagen. Es ist ein bisschen wie Mehrkampf - der setzt sich weiter fort. In Unternehmen halte ich Vorträge und veranstalte Seminare. Ich arbeite im Bereich der Präventivmedizin in einer Einrichtung in Damp an der Ostsee. Und im Sommer darf ich bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin wieder im ARD-Morgenmagazin mitarbeiten. Spezialisten würden wohl sagen, ich mache nichts vernünftig, aber von allem ein bisschen. Ach ja, ein Buch habe ich auch gerade fertiggestellt.
Ein Buch? Worüber?
Schwangerschaft.
Schwangerschaft?
Ja, aus der Sicht des Mannes. „Neun Monate aus dem Leben eines Ahnungslosen.“ Das Ding wurde gerade erst getrocknet und gepudert.
Der Ahnungslose heißt natürlich Frank Busemann . . .
Ja, und der Kleine heißt Lucas. Er ist jetzt zehn Monate alt. Die Zeit rast förmlich. Da kommt man mit dem Zählen nicht hinterher. Aber schön ist es.
So schön wie Ihr Lebensabschnitt als einer der populärsten deutschen Sportler?
Das war damals eine tolle Zeit. Die habe ich sehr genossen. Teilweise aber auch verflucht, weil es zu viel war. Ich bin da irgendwie so reingestolpert. Jetzt ist es bemerkenswert und toll, dass es so lange nachhallt.
Es hallt nach?
Ich bin nicht mit Boris Becker vergleichbar, ich führe ja ein ganz normales Leben. Manchmal guckt eben einer und denkt, irgendwo hab ich den schon mal gesehen. Und manchmal werde ich auch mit Namen angesprochen. „Ach ja, der Baumann . . .“ (lacht)
Wie kommen Sie mit dieser relativen Anonymität zurecht?
Einerseits genieße ich es, dass ich einer von vielen bin.
Und auf der anderen Seite?
Na, ich profitiere immer noch von meiner damaligen Bekanntheit. Ich finde es auch toll, dass ich davon leben kann. Nicht, dass ich damals so viel verdient hätte. Aber die ganzen Jobs, die jetzt kommen, fußen darauf, dass ich mal Zweiter geworden bin und dass sich die Leute daran erinnern.
Wir erinnern uns neben dem Olympia-Silber von 1996 vor allem an das schmerzverzerrte Gesicht Frank Busemanns. Ihre Erfolgsstory ist ja eigentlich eine schreckliche Leidensgeschichte . . .
(lächelt) Die Seminare, die ich mache, haben als integralen Bestandteil genau diese Geschichte. Jede einzelne Verletzung hatte auch ihr Gutes. Das sieht man in der Situation selber zunächst nicht. Da flucht man, da heult man, da haut man vor die Wand. Aber wenn ich das Ganze rückblickend betrachte, dann denke ich, es hat alles seinen Sinn gehabt. Sicher hätte es anders laufen können, aber auch das muss ich akzeptieren. Verletzungen gehören einfach dazu.
Aber wenn . . .
(unterbricht) Dieses Wörtchen habe ich früher etwas zu oft gebraucht. Ich habe mehrmals durchgerechnet nach Atlanta. Ich war so nah dran. Hätte ich Gold gewinnen können, wenn . . .? Nee, es war optimal. Hätte ich vier Jahre später in Sydney Gold gewinnen können, wenn ich nicht diesen Riesenfehler beim Diskuswurf reingebaut hätte? Nee, hätte ich auch nicht. Dieses Wörtchen „wenn“ gibt es im Sport nicht.
Sie haben nicht das Gefühl, etwas verschenkt zu haben?
Ich hab' nie das erreicht, was ich wirklich wollte. Ich wollte Olympiasieger werden, Weltrekordler, als erster 9000 Punkte schaffen. Kritiker können sagen, ich habe nur einen Erfolg gehabt. Da haben sie Recht. Mit dem dritten Platz bei der WM 1997 in Athen habe ich das Silber von Atlanta ein bisschen untermauert. Aber wenn man hart mit mir ins Gericht gehen will, dann kann man sagen: Atlanta nicht bestätigt. Es ist so. Trotzdem habe ich die Gewissheit, dass ich alles rausgeholt habe. Ich weiß, diese 8706 Punkte von Atlanta, das sind meine. Ich war nicht für 8707 gut, ich war nicht für 8705 gut. 8706 - das sind meine Punkte, und die habe ich auf den Punkt gebracht. Das ist ein gutes Gefühl, weil ich auch heute noch weiß, ich kann mir nichts vorwerfen. Ich hätte 9000 Punkte niemals machen können. Deshalb habe ich so gut damit abgeschlossen.
Haben Sie gelernt, über Ihr Verletzungspech zu lachen?
Jetzt kann ich es schon. Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht auch eine Form der Bewältigung ist, sich darüber lustig zu machen, dass ich nur kaputt war. Dass ich vor Atlanta schon kaputt war. Nur '96 war ich mal nicht so kaputt.
Ein körperliches Wrack holt Olympia-Silber im Zehnkampf. Was ist das für ein Mensch, der sich selbst so weit treibt?
Wenn mir was wichtig war, dann war ich erbarmungslos. Hauptsächlich gegen mich selbst. Teilweise auch gegenüber meiner Freundin, die damals, bevor es mit dem Sport zu Ende ging, sehr gelitten hat. Ich habe sie mit Füßen getreten und gar nicht gesehen, wie weh ich ihr tat. Aber wenn mir was wichtig ist und wenn ich meine, dass es sich lohnt, es zu verfolgen, dann stecke ich da hundert Prozent rein. Mein Antrieb im Sport war immer der Glaube daran, ganz Großes leisten zu können. Und ich hatte Angst davor, eines Tages einsehen zu müssen, dass ich nicht alles aus mir rausgeholt habe. Deshalb bin ich in den Schmerz gegangen.
Sind sie immer noch so?
Nein. Dann würde ich mich kaputt machen. Ich mache viele Sachen gerne. Aber ich würde niemals mehr so exzessiv daran gehen wie in meinem geliebten Sport.
Sie haben nach dem mit 33,71 Metern verpatzten Diskuswurf bei Olympia in Sydney Ihrer Freundin Katrin einen Heiratsantrag gemacht? Wieso ausgerechnet in diesem Moment?
Das war im Grunde meine schlimmste sportliche Niederlage. Sowas hatte ich noch nie erlebt. Ich war eigentlich bis zu dem Jahr sehr wettkampfstark. Es konnte kommen was wollte, ich hatte immer irgendwie eine Antwort parat. Teilweise war ich mental wie ein 30-Jähriger, der immer wusste, wie er sich verhalten sollte. Und andererseits diese Naivität, dass ich mir über Folgen keine Gedanken gemacht habe. Deswegen war ich wettkampftechnisch schon sehr, sehr alt. Und dann passierte mir auf einmal, dass ich 13 Meter unter meiner Bestleistung bleibe. Da habe ich gedacht: Der Sport ist so unglaublich unwichtig. Sie ist jetzt dabei, ist mir um die ganze Welt gefolgt, und dann war mir danach.
Hinterher zunächst aber nicht mehr . . .
Ich bin anschließend zwei Jahre in Selbstmitleid zerflossen. Da war ich mir dann doch nicht mehr so sicher, ob das alles richtig ist. Zum Glück haben wir es später nachgeholt.
Herr Busemann, hat die aktuelle Finanzkrise Sie getroffen?
(lacht) Das Schöne ist - weil wir letztes Jahr ein Haus gekauft haben, bin ich vor dem Riesencrash im großen Stil raus.
Herzlichen Glückwunsch.
Danke. Aber im Ernst: Ich bin jetzt selbstständig und habe in dem Sinne nicht wie meine Frau eine Altersabsicherung - sie ist Lehrerin. Außerdem habe ich ein Kind. Jetzt kann ich nicht mehr so rumspielen, wie ich das früher gemacht habe.
War das immer ein Spiel?
Nein, ich habe diese böse Erfahrung der Vergangenheit. Früher war einfach genug Geld da. Ich habe mir keine schnellen Autos gekauft. Ich habe mir die Nacht nicht mit teuren Discobesuchen um die Ohren gehauen. Ich habe mit meinem Hobby Sport Geld verdient. Und ich hatte das Hobby Börse. Da kann man manchmal mehr Geld verprassen als durch den Kauf teurer Autos, wenn man nicht aufpasst.
Sie selbst haben sich mal als kranken Zocker bezeichnet . . .
Das ist mir damals zwar schon aufgefallen. Aber ein Süchtiger sieht das ja nicht wirklich ein. Obwohl - ich hab s schon eingesehen, weil ich teilweise acht Stunden vor dem Fernseher gelegen habe und von zehn Uhr morgens bis um fünf am Nachmittag im Videotext die Kurse verfolgte. Ich habe mir bei Tempoläufen überlegt, muss ich da noch ein Stück mehr von kaufen und dort was verkaufen und so weiter. Da war schon eine gewisse Sucht drin. Ich habe teilweise an nichts anderes denken können. Glücklicherweise hat sich das dann auf einem nicht-ruinösen Level gehalten. Es tat schon sehr weh. Aber es gibt ja auch Existenzen, die daran kaputtgegangen sind. Bei mir war's zum Glück nicht so.
Ein breites Publikum wird Sie bei der Leichtathletik-WM in Berlin als ARD-Experte zu Gesicht bekommen. Wie gefällt es dem Sportler Busemann auf der anderen, der Medienseite?
Man macht schon tolle Erfahrungen. Es gibt Leute - ich nenne jetzt keine Namen - na, da hat mich einer als Athlet aufgeregt. Der hat gespalten. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Als ich ihn aber mal interviewen musste, habe ich gemerkt: Super! Für Journalisten sensationell! Der versteht sein Handwerk, der weiß, dass man nicht mit ja und nein antwortet, da kommt was bei rum. Es ist schon interessant, beide Seiten zu kennen.
Haben sie ein kompliziertes Verhältnis zu Tim Lobinger?
(lacht laut) Ich bin wohl wie ein offenes Buch?
Das war nicht schwer.
Na, für Journalisten ist der Tim wirklich klasse. Als Mannschaftskollege denkt man aber manchmal: Mann, Mann, Mann, muss das jetzt wieder sein? Es sagen viele, dass sie mit ihm nichts anfangen können, weil er eben die Medien für sich nutzt. Und er macht das gut. Er weiß, wie das funktioniert.
Das Gespräch führte Dirk Mesch