Kieler Virologe: Ohne Maßnahmen wären Krankenhäuser voll
Kiel – Für eine Entwarnung in der Corona-Krise gibt es nach Überzeugung des Kieler Virologen Prof. Helmut Fickenscher bisher gar keinen Grund. „Würde man die Schutzmaßnahmen aufheben, hätten wir höchstwahrscheinlich in kurzer Zeit volle Krankenhäuser”, sagte der Leiter des Instituts für Infektionsmedizin der Universität Kiel der Deutschen Presse-Agentur. Dann könnten wegen Überlastung nicht einmal mehr simple Unfälle angemessen behandelt werden. „Die Bremsung muss aufrechterhalten werden”, sagte Fickenscher, der auch Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) ist.
Dass die Zahl der Infektionen nicht mehr so stark steigt, sei schlicht die Folge der strengen Schutzmaßnahmen. „Die Entwicklungen in New York und in Großbritannien führen uns ja vor Augen, wie extrem schwer etwas wieder eingefangen werden kann, wenn es außer Kontrolle geraten ist.” Beeindruckt habe ihn, wie schnell Schleswig-Holstein die Schutzmaßnahmen festgelegt habe, sagte Fickenscher. Andere Länder hätten viel länger gebraucht. Allerdings habe der Norden insofern auch Glück gehabt, dass es hier anders als in Hamburg bei Aufkommen der Krise keine Skiferien gab und der Karneval hier auch keine Rolle spiele.
„Ohne die frühen Schutzmaßnahmen wäre die Zahl der Erkrankungen früher gestiegen, die Krankenhäuser hätten sich nicht so gut vorbereiten können und wir hätten die Intensivstationen voll gehabt”, sagte Fickenscher. „So konnte der Start der Epidemie gut gebremst werden.”
Eine Diskussion über Anpassungen in kleinen Schritten sei jetzt ganz wesentlich, sagte Fickenscher. „Eine Exitdebatte muss ständig geführt werden, damit man die jeweiligen Argumente verstehen kann.” Dabei spielten so viele Faktoren eine Rolle, dass man mit jeder Entscheidung auch aufs Glatteis geraten könne. Viele schwere Fehler seien denkbar. „Wenn man jetzt zum Beispiel sofort alle Schulen wieder komplett öffnen würde, hielte ich das für einen großen Fehler”, sagte Fickenscher. „Mit solchen Situationen bestehen ja noch keine Erfahrungswerte.”
Weiter notwendig seien Optimierungen in Alten- und Pflegeheimen, sagte Fickenscher. „Dort kann Personalknappheit zum Problem werden und natürlich haben Hilfskräfte weniger spezifische Kenntnisse im Umgang mit der Erkrankung.” Nicht hinreichend geschulte Mitarbeiter anzulernen, bedeute eine zusätzliche Herausforderung.
Für denkbar halte er Lockerungen im Handel, sagte Fickenscher. „Aber viele könnten dort jetzt auch nicht arbeiten, weil die Kinderbetreuung fehlt”, sagte der Mediziner angesichts der geschlossenen Kitas.
„Für völlig kontraproduktiv halte ich eine Schutzmaskenpflicht für alle.” Solche Masken würden in Kliniken und Pflegeheimen dringend benötigt. „Dort sind sie absolut essenziell.” Masken selbst zu nähen sei ein liebes Angebot, diese könnten aber auch eine falsche Sicherheit vorgaukeln. Schutzmasken wirkten nur dann, wenn beim Tragen das Atmen schwerfällt, also eine Filtration stattfindet. „Die Schutzmasken im Krankenhaus und im Altersheim müssen aber die standardisierten technischen Anforderungen verlässlich erfüllen”, sagte Fickenscher. „Wer Schutzmasken angeboten bekommt, sollte dringend darauf achten, dass man ihm keine Fake-Ware andreht.” (dpa/lno)