Kölner MentalitätVon Kaffeebud bis Größenwahn

Metropole mit Kaffeebud-Flair: Der Kölner liebt die Gemütlichkeit, strebt gleichzeitig aber nach dem Glanz Metropole. Hier eine sommerliche Impression aus Ehrenfeld. (Archivbild: Bernd Schöneck)
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Was haben Ihnen denn die Kölner offenbart?
Sie vereinen zwei Seelen in ihrer Brust, ihre Vorliebe zur Kaffeebud-Gemütlichkeit bei gleichzeitigem Hang zur Großmannssucht und Sehnsucht nach dem Metropolen-Aufstieg. Sie schaffen meist die Quadratur des Kreises und vereinbaren beide Pole.
Die Schmitz-Säule in der Altstadt ist für Sie ein Sinnbild dafür.
Wegen der Inschriften, darunter der Name des Spenders der Säule - und dass im Jahr der Grundsteinlegung 1969 Armstrong als erster den Mond betrat, genau 389 994 Kilometer und 100 Meter von der Säule entfernt. Solche mentalen Schmitz-Säulen entdecke ich ständig. Zum Beispiel, wenn eine Zeitung schreibt: Was sind schon zig Mondlandungen dagegen, dass der 1. FC die Bayern besiegt hat?
Die Kölner greifen nach den Sternen. Macht sie das glücklich?
In meinem Buch „Deutschland auf der Couch“ habe ich die Unzufriedenheit der Deutschen mit dem eigenen Leben behandelt. Sie rennen sich im Hamsterrad des Alltags fest und verlieren dabei Sinn und Sinnlichkeit. Köln hat ein glücklicheres Lebensmodell. Gerade weil Köln es schafft, seine inneren Widersprüche produktiv auszutarieren. Das Provisorische ist den Kölnern lieber als das Perfekte. Es ist ein Kunststück, einerseits ungezwungen im Jogginganzug Brötchen zu holen . . .
. . . was schon in Düsseldorf undenkbar wäre . . .
(kichert) . . . und gleichzeitig darauf zu vertrauen, der Nabel der Welt zu sein, die bedeutendste Metropole überhaupt.
Manchmal stehen sie sich damit selbst im Weg.
Das passiert, wenn sie sich in Selbstzufriedenheit wiegen, sich verklüngeln, arrangieren, ohne eine Sache zum Erfolg zu führen. Nachdem zum Beispiel Podolski eine super Torchance verpasste, hat er gesagt: „Ich hab' gedacht, der Ball ist schon drin.“ Es ist eine Kunst, sich durch eine gekonnte Unentschiedenheit alle Optionen offen zu halten und mit optimistischer Schicksalsergebenheit zu hoffen, dass sich im ewigen Werden alles regelt.
Ewiges Werden, ewige Baustellen.
Die können nerven. Aber der Dom als ewige Baustelle zeigt: Wenn man nur lange genug wartet, erfüllen sich glorreiche Ideen. Die Gefahr des Scheiterns besteht jedoch, wenn man sich abschottet und auf Wunderheiler hofft. Die Selbstverliebtheit, verbunden mit mentalen Mauern, ist schädlich. Man muss sich auch dem Wettbewerb stellen.
Waren die Heinzelmännchen vermeintliche Heilsbringer?
Ja. Die Schneidersfrau hat sie vertrieben und als erste Psychologin Kölns den Menschen Selbstbestimmung und Durchblick beschert.
Ich dachte, die Schneidersfrau hat Köln aus dem Paradies des Nichtstuns verscheucht.
Nein. Die Schneidersfrau verscheucht die Unmündigkeit. Der Problemfall ist der Schneider. Er steht für das großmannssüchtige Köln. Er verspricht dem Bürgermeister, den Festtagsanzug in einer Nacht zu schneidern. Da versagen auch die Heinzelmännchen. Die purzeln nicht über die Erbsen, sondern über die zu hohen Erwartungen.
Haben die Kölner daraus gelernt?
Sie sind vielleicht nicht immer die Tüchtigsten, aber sie ertüchtigen sich psychologisch, sind schlau, entwickeln Gespür, wie das Leben funktioniert, gerade weil sie sich nicht immer wieder einspannen lassen wollen. Sie treten auch mal zur Seite und begucken sich die Welt, genießen.
Aber die kölsche Psyche birgt auch Schattenseiten.
Wenn mentale Mauern wachsen. Die Toleranz gegenüber ausländischen Mitbürgern ist bisweilen einem gewissen Befremden gewichen, wenn zum Beispiel Moschee-Türme in die Höhe wachsen sollen. Es gibt Toleranz, aber auch steigenden Argwohn, dass bestimmte Viertel nicht mehr so kölsch sind.
Was ist ein ganz besonderer Wesenszug?
Das, was ich mit der Transzendenz der Kölner beschreibe: Kölner tragen oft eine ganz andere Form von Religiosität im Herzen, sie sind dem Herrjöttchen geschwisterlich nah. Sie haben Strategien entwickelt, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Welche Strategien?
Sie machen das mit Humor, Psychologie und Transzendenz. Sie glauben mit unerschütterlicher Sehnsucht an ein Paradies auf Erden. Das drückt sich auch in dem Witz aus, dass Petrus den Kölner abweist mit den Worten: „Du hast ja das Paradies bereits auf Erden gehabt.“
Ist die Stadt für die Bürger das Paradies?
Früher jedenfalls, als es noch schön(er) war in Colonia. Viele haben dieses diffuse Gefühl, das Paradies schon mal erlebt zu haben, als seligen Kinderzustand. Man war umsorgt, behütet, aber die Welt stand einem offen. Die Sehnsucht danach ist immer da. Der Kölner hat sich etwas Kindliches bewahrt.
Zieht das auch „Imis“ an?
Ja. Ewige Künstler, Talente, Menschen, die hoffen, ihren Weg zu machen, ohne sich immer groß krumm zu machen.
Manchmal verpasst man dennoch das Glück.
Bei Griet und ihrem Jan hat es nicht geklappt, weil sie einfach nur abgewartet hat. Aber wenn's eng wird, kann der Kölner meistens noch etwas reißen, den Aufstieg schaffen, wie der 1. FC oder wie Jan. Er hat durch seinen Einsatz die Brücke zwischen Gemütlichkeit und Größe gebaut.
Dabei spielt der Humor eine entscheidende Rolle.
Kölscher Humor ist ein wichtiges Instrument, denn er ist trotzig und lebensbejahend. Dafür habe ich viele Belege gefunden. Trotz Bombenterror haben die Kölner zum Beispiel die Stadt besungen. Oder sich Witze erzählt.
Ein Beispiel?
Ein Delinquent wird montags morgens zum Schafott geführt. Als er am Henker vorbeigeht, sagt er: „Die Woche fängt ja gut an!“ Der Humor triumphiert über das Dasein. Er nimmt der Tragik des Lebens die Spitze. Köln ist die Hauptstadt des Humors.