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Kurz: „Wir dürfen nicht angreifbar sein“

Lesezeit 6 Minuten

Wenn ab Samstag die Tour de France rollt, werden ARD und ZDF im Wechsel von dem Rad-Spektakel berichten. 41 Mal hat Herbert Watterott den Tour-Tross begleitet. Nun beerbt ihn Florian Kurz. Das Gespräch mit ihnen zeichnete Dirk Mesch auf.

Frage: Herr Kurz, müssen wir Sie nun beglückwünschen oder eher bemitleiden, ausgerechnet in diesem Jahr die Radsport-Kommentatoren-Legende Herbert Watterott am Tour-Mikrofon zu beerben?

Kurz: Ich glaube, viel schwieriger könnte der Einstieg als Live-Kommentator nicht sein.

Watterott: Da beneide ich ihn nicht. Ich kann ihm nur mit auf den Weg geben, gut vorbereitet zu sein und trotzdem ein bisschen Freude zu haben.

Frage: ARD und ZDF stehen bei der diesjährigen Tour unter spezieller Beobachtung . . .

Kurz: Ja, dieses Jahr wird jeder ganz besonders darauf schauen, wie wir das Ganze darstellen. Sicherlich ist es ein Ziel der ARD, das Rennen aus journalistischer Sicht möglichst kritisch zu präsentieren, auch um sich nicht angreifbar zu machen. Gerade über meine Rolle des Kommentators kommt es uns aber genau so darauf an, den Leuten irgendwie den Spaß an der Sportart zu vermitteln - trotz allem was vorgefallen ist. Schließlich wird dort ja auch noch drei Wochen lang Rad gefahren. Da muss man einen Spagat schaffen. Wir wollen immer noch zeigen, dass es eine tolle Sportart ist, die die Leute faszinieren kann.

Frage: Die vor allem aber wohl die Leute betrügt und belügt . . .

Watterott: Das ist eben schade, dass es so weit gekommen ist in der öffentlichen Wahrnehmung. Man muss sich natürlich diesen Dingen stellen. Man muss auch vehement dagegen vorgehen, sonst ertrinkt man ja. Es ist nur traurig, was überall anklingt. Ist einer gut, sagt man gleich: Wer weiß, ob da nicht wieder was . . .

Frage: Aber da ist doch auch immer wieder was . . .

Kurz: Ich weiß jetzt auch noch nicht, wie ich darauf reagieren soll, wenn einer wie Floyd Landis im letzten Jahr plötzlich da vorne weg fährt. Da kommt man gar nicht umhin, den Bezug auf das Vorjahr herzustellen, weil einem ansonsten garantiert als Live-Reporter vorgeworfen wird, dass man das unkritisch darstellt.

Watterott: Aber man kann ja nur behaupten, was man weiß. Die Franzosen sagen dazu: On dit que - Man hat gehört, dass . . . Aber beim Fernsehen sollte man es sich nicht zueigen machen, sich an Spekulationen zu beteiligen. Das habe ich nie gemacht. Deshalb habe ich vielleicht auch ein bisschen weniger über Doping geredet als andere.

Kurz: Ich bin in dem Sinn ja Kummer gewohnt. Meine erste Tour für die ARD war die von 98, die mit dem großen Festina-Skandal. Von daher ist das Rennen für mich immer mit Dopingskandalen verbunden gewesen.

Frage: Nicht gerade motivierend, oder?

Kurz: Der Radsport hat es sich selber zuzuschreiben, dass er so in der Presse steht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Situation in anderen Ausdauersportarten - sei es im Biathlon oder im Skilanglauf - anders ist, dass sie da alle völlig sauber sind. Ich glaube, die anderen Sportarten sind ganz dankbar, dass sie nicht so im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und dass sich das im Moment alles über den Radsport ergießt.

Watterott: Aber natürlich bezieht sich das auch auf andere Sportarten. Christina Obergföll hat nach ihrem Speerwurfeuroparekord gesagt: ,Ich muss mich ja fast schon entschuldigen, dass ich mal was Außergewöhnliches geleistet habe. Das ist das Traurige.

Frage: Müssen Sie inzwischen Dopingexperte sein, um Ihren Job gut zu machen?

Kurz: In der Vorbereitung auf die Tour de France geht bestimmt ein Drittel der Zeit drauf, in Sachen Doping auf dem neuesten Stand zu sein. Man muss halt davon ausgehen, dass es einem bei der Tour wieder begegnet.

Frage: Was wird Ihren Zuschauern in den kommenden, voraussichtlich drei Wochen Tour-Berichterstattung begegnen?

Kurz: Die ARD hat das komplette Sendekonzept für diese Tour de France relativ kurzfristig umgestellt. Es war vorher schon klar, dass Doping in diesem Jahr einen massiven Sendeanteil haben würde - viel mehr, als das früher der Fall war. Und es ist jetzt, da es keinen Marcel Wüst als ARD-Radsport-Experten mehr gibt, so geplant, dass wir jeden Tag einen wechselnden Gast haben werden mit einer gewissen Kompetenz. Sei es, dass er den Sportbezug hat oder aus der Analytik kommt wie zum Beispiel Ralf Meutgens, der das Buch ,Doping im Radsport geschrieben hat. Als Marcel Wüst ausschied habe ich gedacht: Vielleicht steht dann ja der Herbert Watterott als Co-Moderator neben Michael Antwerpes (lächelt) - beleumundet, nie gedopt zu haben.

Watterott (lacht): Ich fänd das gut - nach 41 Jahren am Mikrofon Wer weiß, vielleicht muss ich da ja noch hin.

Frage: Und wenn niemand von Ihnen hin muss und die deutschen Fernsehanstalten den angedrohten Tour-Ausstieg wahrmachen?

Kurz: Definitiv ist es so, dass ich erst glaube, das Rennen zu kommentieren, wenn ich wirklich in der Sprecherkabine am Start in London sitze. Bis dahin warte ich mal ab.

Frage: Wann wird boykottiert?

Kurz: Das wissen die Sender wohl selber nicht so genau. Aber ich gehe davon aus, dass man sich entschlossen hat, das Ereignis zu übertragen. Über einen möglichen Ausstieg müsste dann aktuell entschieden werden. Ich weiß, dass es eine Absprache zwischen ARD und ZDF gibt. Wenn der eine Sender raus geht, dann auch der andere. Das kannst du keinem Fernsehzuschauer verkaufen, dass der eine Sender überträgt und der nächste macht es nicht.

Frage: Herr Watterott, seit 1965 haben Sie von der Tour de France 42 Mal berichtet . . .

Watterott: . . . 41 Mal. Einmal war ich krank, nachdem ich mir beim Giro d Italia das Pfeiffer'sche Drüsenfieber eingehandelt hatte. Das war vor 25 Jahren.

Kurz: Das höre ich zum ersten Mal, dass du ein Jahr gefehlt hast . . .

Watterott: Ja, ich war damals sehr traurig. Aber Ernst Huberty, mein Chef, tröstete mich und meinte: Sie können noch so oft die Tour de France fahren . . .

Frage: Herr Watterott, Sie haben also 41 Mal die Tour de France begleitet. Jetzt sind sie nur noch Zuschauer. Tut das weh?

Watterott: Ich sage mir: Ich bin pensioniert, habe die Tour 41 Mal gefahren - ein Rekord, den mir keiner mehr wegnimmt, auch wenn das nebensächlich ist. Nun ist es so. Erschwerend kommt hinzu, dass die Thematik, die jetzt en vogue ist, so sehr im Vordergrund steht und auch im Vordergrund stehen muss - nachdem wir wissen, was passiert ist -, dass sie eines bewirkt: Man sagt nicht mehr: Mensch, jetzt freut man sich jeden Morgen auf die nächste Etappe. Nein, jetzt muss man wahrscheinlich sagen: Wer weiß, was heute wieder auf einen wartet. Und das ist eigentlich nur schade.