Neuer BandDas gute, alte Hanni und Nanni-Prinzip
Das sollte mal einer wagen, zehnjährigen Mädchen auf einer Party Dosenpfirsiche, Ölsardinen, Fleischpasteten und Kondensmilch zu servieren - und zwar in genau dieser Reihenfolge. Für Hanni und Nanni sind dies die kulinarischen Höhepunkte einer jeden Mitternachtsfeier im Schlafsaal. Und um die werden „Lindenhof“-Schülerinnen offensichtlich heute noch beneidet.
Die berühmten Zwillinge müssten heute stramm auf die Rente zugehen, nimmt man das Datum ihres ersten Auftritts in Deutschland (1965) und ihr Alter bei Eintritt ins Internat (etwa zwölf Jahre) an. Ihre Schöpferin, Bestsellerkönigin Enid Blyton, verstarb bereits vor 40 Jahren. Trotzdem erschien gerade der nunmehr 26. Band der Internatsserie im Schneider Buch-Verlag. Auch aus der Reihe „Die fünf Freunde“, die erstmals 1953 in Deutschland zu lesen war, soll im August bei cbj ein neuer Band erscheinen.
Wie das möglich ist? In den Verlagen gibt man darüber nicht gerne Auskunft - es gilt, die Illusion zu wahren, die Titel stammen noch aus der Feder der legendären Autorin höchstselbst. Tatsächlich aber ist der berühmte, handgeschriebene Schriftzug „Enid Blyton“ mittlerweile ein eingetragenes Warenzeichen, unter dem ein britischer Verlag lukrativ Lizenzen vergibt, neue Enid-Blyton-Erzählungen zu schreiben - im Stil und in der Motivwahl möglichst nah am Original, versteht sich.
So findet sich im Impressum des neuen „Hanni und Nanni und das Zirkusabenteuer“ der Hinweis „Deutscher Text: Brigitte Endres“, die „Fünf Freunde“-Abenteuer schreibt seit Jahren die deutsche Autorin Sarah Bosse mit großem Erfolg fort. Auch die „Dolly“-Reihe wird in schöner Regelmäßigkeit von der Kinderbuchautorin Rosemarie von Schach weiter geschrieben. Der Erfolg gibt den Verlagen recht: 14 Millionen Hanni und Nanni-Bücher wurden seit 1965 allein in Deutschland verkauft - seit Generationen kommt kaum ein leselustiges Kind um Enid Blyton herum.
Und das, obwohl im Heimatland der Schriftstellerin in schöner Regelmäßigkeit Anti-Blyton-Debatten geführt werden: Die Werke seien triviale Massenproduktionen, hieß es schon in den 50er Jahren. Einige englische Buchläden verbannten die Blyton-Werke gar aus dem Bestand - mit der Begründung, dass sie durch ihre Masse die qualitätsvolle Jugendliteratur verdränge. In den 70er und 80er Jahren kommt der Vorwurf des Sexismus (nur die Mädchen machen Hausarbeit) und des Rassismus (die Bösewichte sind häufig „Zigeuner“) hinzu.
In Deutschland und auch in Frankreich, wo die Blyton-Reihen ebenso erfolgreich weitergeschrieben werden, diskutiert man nicht. Man liest. Im Laufe der Jahrzehnte werden die Geschichten immer wieder behutsam modernisiert - aus dem Grammophon im Gemeinschaftsraum wird ein Plattenspieler und man hört Schlager statt Jazz.
Wer den neuesten Band „Hanni und Nanni und das Zirkusabenteuer“ aufschlägt, gerät in einen entsprechend zeitlosen, völlig technikleeren Raum. Zwar trainieren die Mädchen keinen Dauerlauf mehr, sondern gehen joggen. Ansonsten ist alles beim Alten: Die Hausmutter droht mit ihrer braunen Ekelmedizin, die Mamsell findet alles „fürchterlich“, die Internatsleiterin ist immer noch unverheiratet und die Zwillinge sorgen dafür, dass noch jeder Quertreiber sich ins Internatsleben integriert. Als Internatsschülerin Carlotta beim Brand eines Zirkuszeltes in Gefahr gerät, werden die Zwillinge nicht per SMS, sondern per Rauchzeichen informiert - sie sehen den Feuerschein aus dem Schlafsaalfenster. Solche dramaturgischen Kniffe in einem Jugendroman aus dem Jahre 2008 sind den strikten Vorgaben des englischen Lizenzgebers geschuldet. An die müssen sich übrigens auch die Filmemacher halten, die „Hanni und Nanni“ gerade fürs Kino (u.a. mit Katharina Thalbach, Hannelore Elsner, Heino Ferch; Start 2009) umsetzen: Im Film müssen die Mädchen beim Internatseinzug ihre Handys abgeben. Dosenöffner für die Pfirsiche sind erlaubt.