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„Ödeldödel“ aus der DDR befreit

Lesezeit 3 Minuten

Rübergemacht! Familienidylle mit Holger (l.), Ingo (M.) und Egbert Bethke (r.). Der Vater - ein Mitarbeiter im DDR Innenministerium - ahnt nicht, dass seine Söhne später einmal die DDR verlassen wollen.

Klare Sicht, gutes Wetter - dieser Maitag ist ideal für die Flucht aus der DDR. Die Geschwister Holger und Ingo Bethke machten schon vor Jahren „rüber“, nun wollen sie ihren Bruder Egbert aus dem ungeliebten Überwachungsstaat holen. Mit zwei selbst zusammengebauten Ultraleichtflugzeugen. Von Köln aus planen sie ihren spektakulären Coup und starten an jenem schönen Morgen in Berlin um 4.30 Uhr. Per Funk halten sie am 26. Mai 1989 unter dem vereinbarten Codewort Kontakt mit Egbert, der im Treptower Park kauert: „Ödeldödel, bist du da?“ Ödeldödel ist da, steigt ein. Die Maschine startet. Holger filmt das Finale aus der Luft im zweiten Flieger und zurück geht’s über die Mauer. Die Leichtgewichte landen vor dem Reichstag. Am Ku'damm begießen die wieder vereinten Brüder die dritte gelungene Flucht in der Familie mit Bier.

„Wir hatten das Ganze zwei Jahre lang geplant“, erinnert sich der Kölner Imi Holger Bethke (43) an den großen Tag. „Freiheitsdrang und wohl auch etwas Abenteuerlust“ waren es, die den gelernten Elektriker vor 20 Jahren zum Rübermachen bewegten. Wenn sich am heutigen 17. Juni zum 50. Mal der Volksaufstand in der damaligen DDR jährt, denkt auch er an die Zeit zurück, als er den Stasi-Staat verließ. Das ZDF zeigt zum Jahrestag heute um 20.15 Uhr eine Reportage von Steffen Bayer und Ulrike Grunewald über spektakuläre Fluchten, darunter auch die der Bethkes, über Versuche, Wege durch den Eisernen Vorhang in die Freiheit zu finden.

Der Westen feiert die „Teufelskerle“, als Holger und Ingo Bethke nur wenige Monate vor dem Fall der Mauer ihren Bruder holen. „Ick bin froh, det ick det damals jemacht habe. In der DDR wurde einem alles vorjeschrieben, ick hatte unter Repressalien der Stasi zu leiden. Und hier in Köln bin ick immer jut parat jekomm“, erinnert sich berlinernd Monteur Holger an seine eigene Flucht. „Liebe Eltern, seid nicht böse, aber ich möchte mein Leben so gestalten, wie es mir gefällt“, schrieb der damals 24-Jährige in einem Abschiedsbrief. Dann schoss er nachts mit Pfeil und Bogen von einem Ostberliner Haus ein Stahlseil über die Mauer. Sein Helfer im Westen war Bruder Ingo, ehemaliger DDR-Grenzsoldat. Der floh schon 1975 über die Elbe, ließ sich in Köln nieder und verdiente hier in einer Kneipe seinen Lebensunterhalt. Zurück blieben die Eltern, beim DDR-Innenministerium beschäftigt, und Egbert.

Die beiden Neu-Wessis fanden in Köln ein Zuhause und bauten sich eine neue Existenz auf. „Das war nicht immer leicht, aber ich wusste, auf was ich mich einlasse“, so Holger Bethke. In der Kneipe „Al Capone“ heckten sie schließlich den Plan der ungewöhnlichen Familienzusammenführung aus. Nur wenige Monate vor dem Mauerfall 1989 startete dann der Ödeldödel-Einsatz, der die Stasi zu ahnungslosen Statisten degradierte. Das Trio durchquerte den gesperrten, streng kontrollierten Luftraum unbeschadet.

„Ich würd’s wieder wagen, alles war gut geplant“, versichert Holger Bethke und klingt ein bisschen stolz. „Und mit den Kölnern verstehe ich mich gut.“ Allerdings sei das Zusammenwachsen von Ost und West nach dem Mauerfall nicht ideal verlaufen. „Manche fühlten sich überfahren, waren nicht genug vorbereitet, und auch das mit dem immer noch erhobenen Solidaritätszuschlag ist unglücklich.“ Auf seiner Wunschliste für die Zukunft stehen vor allem Gesundheit und ein Lottogewinn. Keine Flucht mehr.